Das Württembergische Zündnadelgewehr M 1857/67
Geschichte
Am 24. Juli 1866 bei Tauberbischofsheim, wo die Württemberger das erste und einzige Mal in preußisches Zündnadel-Schnellfeuer gerieten, zeigte es sich, dass ein schnellfeuernder Hinterlader mit geringerer Treffsicherheit einem zwar genau, aber zu langsam schießenden Vorderlader ganz außer-ordentlich überlegen ist. 26 Offiziere und 657 Mann an Toten und Verwundeten kostete das Gefecht von Tauberbischofsheim die Württemberger, nur 10 Offiziere und 116 Mann die Preußen. Weder in Österreich noch in Süddeutschland hatten die maßgebenden Persönlichkeiten dies glauben wollen. Vor dem Krieg versuchte man im Gegenteil das preußische Zündnadelgewehr als eine im Felde unbrauchbare Spielerei lächerlich zu machen.
Nach diesen schmerzlichen Erfahrungen wurden die Versuche mit Hinterladern wieder aufgenom-men. Am 22.1. 1867 nahm eine gemischte bayerisch-württembergische Kommission die Arbeit auf, um ein geeignetes System zu finden. Der Verschluss von Albini/Brändlin wurde bevorzugt und sollte angenommen werden, aber inzwischen hatte sich die politische Lage durch die Luxemburger Frage zugespitzt. Ein Krieg mit Frankreich lag in der Luft.
Nunmehr konnte Oberst Albert von Suckow, ein Offiziere des Generalstabs den Widerstand des Ge-nerals v.Hardegg, der in Übereinstimmung mit Kammermehrheit ein Milizsystem nach Schweizer Vorbild durchsetzen wollte, und ebenso den Widerstand des Kreises um Königin Olga brechen und notwendige Reformen durchsetzen. Die allgemeine Wehrpflicht mit zweijähriger Dienstzeit wurde beschlossen und unter Hinweis auf eine einheitliche Bewaffnung und Kalibereinheit der Staaten des Bundes das Zündnadelsystem und das Exerzierreglement Preußens eingeführt. Zur Ausbildung der württembergischen Soldaten wurden von Preußen 6000 kurhessische Zündnadelgewehre leihwei-se zur Verfügung gestellt, welche zuvor an Baden ausgeliehen waren. Da man aber wegen der preu-ßenfeindlichen Stimmung am Hof und im Land nicht wagte preußische Instruktoren zu berufen, wur-den badische Offiziere und Unteroffiziere zur Einübung der Gewehrgriffe und des preußischen Exer-zierreglements ins Land geholt. Es wurden aber auch württembergische Offiziere in Preußen ausge-bildet. Für die Reiterei wurden zum Beispiel fünf Offiziere zu den beiden Garde-Dragoner-Regimentern nach Berlin kommandiert.
Nach dem die Entscheidung zugunsten des preußischen Zündnadelsystems gefallen war, wurde die Umänderung der Vorderladergewehre angeordnet.
Die Infanteriegewehre M 1857 wurden auf das Zündnadelkaliber von 15,43 mm aufgebohrt, mit dem Verschluss der preußischen Jägerbüchse M/65 versehen und teilweise neu geschäftet. Alle Beschlagteile wurden verwendet, der Ladestock wurde durch Veränderung zum Reinigungs-/Entladestock (die Wade entfiel, und den Abschluss bildete nun das für die damals üblichen Reinigungsstöcke typische, gezahnte Endstück für das Halten von Reinigungsdochten aus Werg). Das Quadrantenvisier (200 bis 900 Schritt) des Gewehrs 1857 blieb zunächst, wenn auch leicht verändert.
Die Arbeiten wurden teils in der staatlichen Gewehrfabrik Oberndorf, teils bei privaten Fabrikanten und Handwerkern durchgeführt. Da die Kapazität der Gewehrfabrik in Oberndorf nicht ausreichte, wurden außerdem noch Aufträge zur Umarbeitung an den Regimentsbüchsenmacher Peters u. die Maschinenfabrik A. Grohs in Stuttgart und den Fabrikant A. Katz in Ludwigsburg vergeben.
Des weiteren wurden von der Maschinenfabrik Klett & Cie in Nürnberg (ab 16. April 1873 Maschinenbau AG Nürnberg = MAN) Zündnadelschlösser, Nadelrohre, Nadelbolzen, Spiralfedern und Ge-wehrzubehör bezogen. Die königlichen Hüttenwerke Wasseralfingen lieferten rohe Schlosshülsen und die Firma R. Ried in Ludwigsburg Zündnadeln.
Auf einigen Hülsen der umgeänderten Gewehre befindet sich der Stempel K & C. Es sind dies die von der Firma Klett & Cie, hergestellten Schlösser, welche von, dem Regimentsbüchsenmacher Peter, der Stuttgarter Maschinenfabrik A. Grohs und dem Fabrikant A. Katz in Ludwigsburg für die Umänderung der Gewehre verwendet wurden.
Produktionszahlen des Zündnadelgewehre M 1857/67:
24500 Stück wurden umgeändert und zwar
durch die Gewehrfabrik Oberndorf: 11500 Stück (1867/68: 6000, 1868/69: 5500 ),
durch den Regimentsbüchsenmacher Peters u. die Maschinenfabrik A. Grohs in Stuttgart: 8000 Stück und
durch die Fabrik A. Katz in Ludwigsburg: 5000 Stück
Klett & Cie in Nürnberg lieferte 13000 Schlösser (auf der Hülse mit K & C bezeichnet), 3800 Kammerreiniger, 15200 Schraubenziehergriffe, 19000 Schraubenzieher und 19000 Nadelrohrreiniger mit Stift
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurden auch in Württemberg die Zündnadelgewehre mit dem verbesserten Verschluß nach Beck versehen.
Aptierung nach Beck
Bereits 1868 konnte der preußische Werkführer Beck ein verbessertes Zündnadelschloss entwickeln. Dabei wurde der Lauf durch eine Kautschukdichtung im Verschluss gasdicht abgeschlossen. Der in die Luftkammer reichende Teil des Nadelrohres wurde abgeschnitten und durch einen beweglichen Stahlpuffer ersetzt, der durch eine Schraube im vorderen Kammerteil festgehalten wurde. Unter diesem Puffer lag die Kautschukdichtung.
Für das aptierte Zündnadelsystem wurde auch eine neue Patrone eingeführt. Sie enthielt ein auf 21g erleichtertes, verkleinertes Langblei im Kaliber 12 mm mit einer Länge von 24,6 mm. Es war damit gelungen, aus den großkalibrigen Gewehren ein kleinkalibriges Geschoss zu verschießen. Auch der Boden der Patrone wurde verstärkt und zwischen zwei Lagen Papier ein gefettetes Leinenscheibchen mit kreuzförmigem Einschnitt für den Nadeldurchgang eingelegt. Das Fett sollte die Zündnadel kühlen und reinigen. Da die Pulverladung unverändert (4,8 g) blieb, erreichte das um 30% erleichterte Ge-schoss eine deutlich höhere Anfangsgeschwindigkeit. Sie steckte die Flugbahn und erweiterte den Wirkungsbereich von 800 auf 1200 Schritt.
Für die neue Patrone wurde auch ein neues Visier benötigt. Das alte Quadrantenvisier wurde durch das preußische Visier ersetzt. Dieses hatte ein Standvisier für 200, eine kleine Klappe für 300 Meter und ein Leitervisier mit einem großen und durchbrochenen Schieber mit doppelter Kimme. Die untere Kimme des Schiebers gibt die Elevation für die näheren Entfernungen bis 800 Meter, die obere für die weiteren bis 1200 Meter, wenn der Schieber auf die entsprechend nummerierten Teilstriche der Leiterbalken gestellt wird.