Eine Perkussions-Scheibenpistole der hannoverschen Büchsenmacher-Manufaktur Tanner


Geschichte


Text: Gerd Häussermann

Die Perkussions-Scheibenpistole

Bei der abgebildeten Waffe handelt es sich um eine Perkussions-Scheibenpistole aus der Fertigung eines Mitgliedes der Familie Tanner. Die Pistole ist auf den Zeitraum zwischen ca. 1850 – 1860 zu datieren und wurde als Wettkampfpistole oder als Trainingspistole eingesetzt.

Die Waffenmanufaktur Tanner

Betrachtet man die Blütezeit der Waffenmanufaktur und der Büchsenmacherkunst der Familie Tanner, ist außer dem Gründer Peter Tanner und dessen Sohn Johann Casimir Tanner aus Schwarzburg-Sondershausen, später Herzberg/Hannover, welcher die Tannersche Waffenmanufaktur in Hannover begründete, ein besonderes Augenmerk auf Carl Daniel Tanner und dessen Söhne zu richten.

Perkussions-Marinepistole von Tanner, Hannover, ca. 1840Johann Casimir Tanner errichtete in Herzberg/Hannover eine Feuerwaffenwerkstatt für Georg II., König von England und Kurfürst von Hannover.

Mit der Umsiedlung nach Hannover hatte Johann Casimir Tanner viele namhafte und bestens geschulte Handwerker aus den sächsischen und thüringischen Büchsenmacherzentren (Gotha, Suhl, Eisenach, usw.) ebenfalls zur Umsiedlung nach Hannover bewegen können. Die hauptsächlichen Waffenproduktionen umfassten überwiegend militärische Feuerwaffen.

Wenigere aber dafür besonders hochwertige zivile Waffen, insbesondere Luxuswaffen zur Jagd, sind parallel in dieser Zeit entstanden. Die hier beschriebene Scheibenpistole gehört zu diesen und stammt aus der Schaffenszeit von Carl Daniel Tanner und seinem Sohn Hermann Tanner.

Der Büchsenmacher und Graveur Carl Daniel Tanner arbeitet in der Herzberger Gewehrfabrik, als er 1816 die Tochter des Rademachermeisters und Braubürgers aus Herzberg, Fräulein Wilhelmine Reinhausen heiratete. Im Jahre 1826/27 trat Carl Daniel Tanner aus der Gewehrfabrik aus, erwarb eine Konzession bei der Hildesheimer Landdrostei zur Anstellung von sechs Gesellen, zur anfänglich eigenen Fertigung von Jagdwaffen. Noch 1827 verhandelte Carl Daniel Tanner mit der Kriegskanzlei der Stadt Hannover über die Gewährung eines Darlehens über 10.000 Taler zur Einrichtung eines Etablissements, welches ihm auf 13 Jahre gewährt wurde. Seine Frau, die Grundeigentum in Herzberg besaß, wurde Mitschuldnerin. Carl Daniel Tanner eröffnete sein Geschäft unter dem Firmennamen C. D. Tanner.

Im Jahre 1854 entstand aus der C. D. Tanner die Firma Carl Daniel Tanner & Sohn, die er mit seinem Sohn Hermann gründete.

Firmensignatur C. D. Tanner & Sohn, 1854Außer seinem Sohn Hermann hatte Carl Daniel Tanner noch zwei weitere Söhne, nämlich Ferdinand und Ernst Heinrich Daniel Carl Tanner. Beide traten als Teilhaber nach dem Tode des Vaters in den väterlichen Betrieb ein, wo sie unterschiedliche Vertretungen und Aufgaben übernahmen. Das Oberjagd-Departement wollte sich nicht entschließen einem der drei Söhne den Titel des Hofrüstmeisters zu verleihen. Dies war bedingt durch ein angeblich unklares Verständnis des Ortsbezuges der Tannerschen Firmenbezeichnung. -Hannover und Lüttich-

Das Geschäft in Hannover wurde noch bis 1866 unter der Firmenbezeichnung -C. D. Tanner & Söhne- weitergeführt. Der älteste Sohn Hermann Tanner übersiedelte später nach Petersburg, wo er eine Gewehrfabrik leitete. Seine Brüder, Ferdinand und Ernst Heinrich Daniel Carl Tanner arbeiteten ihrerseits in ihrer Zweigstelle, einer Gewehrfabrik in Lüttich. Hier stellten sie überwiegend militärische Waffen für Russland und Serbien her.

Nach Hannovers Annektierung durch Preußen 1866 übernahm A. Scheidt als Prokurist die Leitung der Firma in Hannover. Als in Belgien die Waffenherstellung mit der Fabrique Nationale zum Staatsmonopol erhoben wurde endete auch die Waffenproduktion im Tannerschen Unternehmen in Lüttich. Das Unternehmen scheint um 1855 aufgegeben worden zu sein.

Kurios gestaltetes Schloss

Die beschriebene Scheibenpistole ist eine „Hinterlader“ Perkussionspistole.

Als besonders auffallend erstreckt sich das Schloß, entgegen normal gebräuchlichen einseitigen Schlossausführungen über die gesamte Breite der Pistole, wobei die rechte und die linke Seite des Schlosses aus symmetrisch ausgeführten Schlossplatten bestehen. Beide Schlossplatten sind auf der Oberseite mit einer, sich über die gesamte Breite erstreckende Deckplatte verbunden. Der Hahn ragt seitlich aus der rechten Schlossplatte heraus, was den Vorteil einer ungestörten Visierlinie ermöglicht.

Zwischen Lauf und Schloss befindet sich ein Kammergehäuse das aus einem Stück mit der oberen Platte und dem Lauf verbunden ist. Die obere Platte erfüllt an ihrem griffseitigen Ende zusätzlich die Funktion einer Schwanzschraube, womit das Schloss am Griff befestigt ist.

Schwanzschraube mit Kammergehäuse und Lauf

Am hinteren Ende des Laufes befindet sich ein Kammergehäuse mit einer horizontalen, quer eingebauten und um 90° schwenkbaren Walze, welche den Schwenkverschluss bildet. Im Schnittpunkt zwischen Lauf und Walze ist eine vertikale Bohrung durch die Deckplatte eingebracht, die bei geschwenkter Walze eine Kammer zur Aufnahme des Projektils freigibt.

Ansicht von oben in abeschossenen Zustand

Ein weiteres Kuriosum ist das Zündsystem der Pistole. Zur Zündung wird ein separates Übertragungsglied ähnlich eines Schlagbolzens/Schlagstifts benutzt, auf welches einerseits ein Zündhütchen aufgesteckt wird und auf der gegenüberliegenden Seite, bei Schussabgabe vom Hahn getroffen wird.

Schwenkverschlusss und Übertragungsglied

Das Übertragungsglied ist funktionell ein Schlagbolzen, der im Bereich der Zündhütchenaufnahme als Fünfkant ausgebildet ist. Dies dient dazu, dass das Zündhütchen einen sicheren Halt auf dem Endstück des Schlagbolzens erhält. Am entgegengesetzten Ende ist dieser Schlagbolzen mit einem geschweiften Hebel ausgeführt, wobei der geschweifte Hebel zur besseren Handhabe an seinem freien Ende einen Kugelzapfen aufweist. Nahe dem Schlagstift ist der geschweifte Hebel mit einem Anschlagnocken ausgeführt, der im schussfähigen Zustand unter einen Sicherungshaken des Schlosses greift. Es soll somit verhindert werden, dass der Schlagbolzen aus der Bohrung gleiten kann und keine sichere Schussabgabe mehr gewährleistet ist.

Walze des Schwenkverschlusses Übertragungsglied/Schlagstift und Walze

Lauf und Handlage der Pistole

Ein weiteres markantes Erkennungsmerkmal ist die Ausrichtung des Laufes zum Schloss bzw. zur Flucht der gesamten Pistole. Es fällt hierbei auf, dass der Lauf nicht wie üblich in einer durchgehenden Flucht, einer geradlinigen Verlängerung von Schloss zu Lauf ausgerichtet ist. Die Flucht zwischen Schloss und Lauf weist einen Knick auf, wobei der Lauf leicht nach unten geneigt ist.

Die Anordnung und Ausführung von Griff, Abzug, die Positionierung des Schlosses und der leicht nach unten gerichtete Lauf bewirken bei der Handhabe der Pistole, dass diese fast automatisch in einer nur von der Größe der Hand des Schützen abhängigen idealen Position zu liegen kommt. Die hierbei zu verfolgende Visierungslinie über Kimme und Korn verläuft entsprechend des nach unten geneigten Laufes, welcher aber parallel zur Visierungsline liegt.

Waffemit Walze in Ladestellung Waffemit noch zu schwenkendem geschweiften Hebel in "Schußstellung"

Die Pistole ist zur Hälfte in Nussbaumholz geschäftet ausgeführt und weist im Griffbereich eine sehr fein gearbeitete Fischhaut-Verschneidung auf.

Ladung

Wie bereits beschrieben handelt es sich bei der Pistole um eine Perkussions-Hinterlader-Pistole. Als Zündmittel wird ein Zündhütchen verwendet, wobei das Projektil als Rundkugel ausgebildet ist. Eine Pulverladung wurde nicht benötigt. Ähnlich den Salonpistolen wird das Projektil /Kugel ausschließlich durch den erzeugten Druck bei der Zündung des Zündhütchens durch den Lauf getrieben.

Die Kombination aus hervorragender ergonomischer Gestaltung, ausgefallener und ideenreicher Technik in exzellenten und exaktesten Ausführungen, schaffen in Verbindung mit höchsten künstlerischen Anforderungen eine einzigartige Pistole in technischer Funktionalität und Design.



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