Beeindruckendes Argument - eine doppelläufige Steinschlosspistole von Mouillard aus Abbevillé/F
Geschichte
Text Udo Lander
Der Wunsch, bei einer Feuerwaffe im Bedarfsfalle mehr als nur einen Schuss parat zu haben, ist sicherlich schon so alt, wie die Feuerwaffe selbst. Die vielhundertjährige Geschichte der Feuerwaffen kennt zahlreiche, meist untaugliche Versuche, diesem Wunsch Rechnung zu tragen, doch erst die Konstruktion des Colt-Perkussionsrevolvers in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit bis zu sechs Schuss in der Trommel brachte leidlich akzeptable Ergebnisse, wenn bei diesem System auch noch viele Unzulänglichkeiten in Kauf zu nehmen waren. Die Erfindung der Metallpatrone mit Rand- oder Zentralzündung brachte dann endlich den Durchbruch. Ihr Siegeszug war nicht aufzuhalten und in kürzester Zeit standen unzählige unterschiedlichste, meist sehr zuverlässige Magazin- und Repetiersysteme zur Verfügung, welche die Feuerkraft einer Waffe in vorher ungeahntem Maße steigerte.
Das Einfachste kann sich durchsetzen
In der Zeit der Vorderlader hatte man nicht sehr viele Möglichkeiten, den Wunsch nach dem zweiten oder gar dritten Schuss zu erfüllen. Zwar hat es immer Tüftler gegeben, die mit aufeinandergesetzten Ladungen oder mit drehbaren Pulvermagazinen experimentiert haben, aber ein echter Durchbruch blieb diesen unausgereiften und alles in allem sehr unzuverlässigen Systemen auf Dauer verwehrt. Am zuverlässigsten und sicherlich auch am einfachsten zu fertigen war über lange Zeit hinweg die Anordnung von zwei Läufen nebeneinander, manchmal auch übereinander, deren Ladungen meist durch zwei rechts und links angeordnete Schlösser gezündet wurden.
Die hier vorgestellte Steinschlosspistole mit waagrecht angeordneten Läufen und Seitenschlössern entspricht diesem System. Dieses war bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts bekannt, verschwand dann aber aus nicht bekannten Gründen um 1625. Erst um 1710 tauchte es erneut auf, wurde in der Folgezeit recht beliebt und erlebte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seine Blütezeit. Allerdings blieb das System mit den zwei neben- oder übereinanderliegenden Läufen dem zivilen und jagdlichen Bereich vorbehalten. Im militärischen Bereich spielten die mehrläufigen Systeme sowohl bei Lang- als auch bei Faustfeuerwaffen keine oder eine nur sehr untergeordnete Rolle. Sie waren einfach zu teuer.
Die doppelläufige Pistole ist ausweislich der Signatur auf ihren Schlossblechen von einem Büchsenmacher namens MOUILLARD gefertigt worden, welcher in Abbeville an der Somme für die Jahre von 1823 bis 1855 nachweisbar ist
Boutet lässt grüßen
Auffallend an der doppelläufigen Pistole ist ihre sehr große formale Ähnlichkeit mit gleichartigen, wenn auch weit kostbarer ausgeführten Stücken aus der „Manufacture de Versailles“, deren besondere Werkstatt für Luxuswaffen in der Zeit von 1792 bis 1818 unter der künstlerischen Leitung von Nicolas Noel Boutet wahre Kunstwerke hervorbrachte.
Die Perfektion und technische wie dekorative Finesse der in Versailles gefertigten Gewehre, Karabiner und Pistolen wurde so zum Vorbild für viele andere Büchsenmacher in Frankreich, aber auch im Ausland und es wundert nicht, dass der Boutet-Stil auch noch in der Zeit en vogue war, als Boutet längst aus der Manufaktur ausgeschieden war.
Boutets Schlösser zeigen zahlreiche , bis dahin unbekannte, technische Verbesserungen. So führte Boutet die Kette als bewegliches Glied zwischen Hauptfeder und Nuss zur Verminderung der Reibung und damit zur Beschleunigung der Zündung ein, ein Detail, das auch die Pistole von Mouillard an beiden Schlössern aufweist. Auch zeichnete Boutet für den gespornten Hahn verantwortlich, der am Hals geringfügig breiter und damit kräftiger ist als der alte Typ mit dem Schwanenhals die Bruchgefahr an dieser Stelle war damit entscheidend reduziert. Auch dieses nicht übersehbare und vor allem höchst charakteristische Detail findet man an der doppelläufigen Pistole von Mouillard.
Auch die Schaftform der Mouillard-Pistole entspricht ganz dem von Nicolas N. Boutet propagierten Stil. Der Kolben der von ihm gefertigten Pistolen verlief nahezu im rechten Winkel zur Laufachse und die Knäufe endeten flach mit einer Kalotte ohne Sporen, die sich bisher an beiden Seiten des Kolbens erstreckt hatten.
Mode à la Versailles
Am häufigsten unter den von Boutet hergestellten Pistolen ist das normale Offiziermodell anzutreffen. Sowohl die Offiziere der verschiedenen mit Frankreich verbündeten Truppen, als auch die höheren Chargen des französischen Offizierkorps erhielten dieses Modell, so dass man davon ausgehen kann, dass eine recht große Anzahl davon produziert worden ist.
Sicherlich aber haben sich auch weniger begüterte Subalternoffiziere nach solchen Pistolen umgeschaut, allerdings dürften Boutet-Erzeugnisse für die meisten unerschwinglich gewesen sein. Aber der von Boutet geprägte neue Stil sorgte in den einschlägigen Kreisen für hohe Aufmerksamkeit, zumal auch die von den Manufakturen in Versailles und Maubeuge gefertigten Ordonnanzpistolen für Offiziere diese Mode beförderten, so dass man sich auch in der französischen Provinz sehr rasch bemühte, diesem Trend Rechnung zu tragen und gewinnbringend auszunutzen: Die dort entstandenen Pistolen zeigten zwar nicht die mit einem hohen Nimbus behafteten Signaturen und Stempel der Versailler Manufaktur, doch formal und technisch waren sie durchaus vergleichbar und daher akzeptabel. Wichtig war doch nur, dass der vorherrschenden Mode genüge getan war, die Waffen etwas hermachten, im Sattelholster gut aussahen, gute Qualität hatten und dazu auch noch erschwinglich waren. Das alles traf auf diese Waffen und damit auch auf die von Mouillard in Abbeville gefertigte Pistole zu, die sich allerdings durch den Doppellauf von den normalen Offizierpistolen unterscheidet und mit dieser Ausstattung damals sicherlich auch nicht zu den besonders preisgünstigen Anschaffungen gehörte. Sie ist sicherlich als Teil eines Paares anzusehen, das irgendwann im Verlauf der vielen Jahrzehnte seiner Existenz getrennt wurde
Zivile Verwendung?
Denkbar ist natürlich auch eine rein zivile Verwendung dieser Pistole als notwendige Verteidigungsmöglichkeit während der Reise zu Pferd oder in der Kutsche, doch spricht die Tatsache, dass die Waffe in späterer Zeit niemals auf das Perkussionssystem umgebaut, also nicht modernisiert wurde, eigentlich dagegen. Wäre die Pistole zu diesem Zweck angeschafft worden, hätte man sie bei nach wie vor unveränderter Bedrohungslage auf den Landstrassen um 1835/40 sicherlich von einem Büchsenmacher auf das Perkussionssystem umbauen lassen und die Pistole weiter verwendet.
Tatsächlich aber ist diese Umänderung nicht vollzogen worden, was dafür spricht, dass der dem Offizierkorps angehörende Eigentümer dieser Pistole verstorben ist, eine weitere Verwendung der Waffe daher nicht mehr gegeben war und eine Modernisierung folglich unterblieb.