Exerziergewehr aus dem Neupreußischen Gewehr 1809/12


Geschichte


Text Udo Lander

Die Exerziergewehre

Hauptrequisit des Exerzierdienstes war generell das Infanteriegewehr, welches zum „Griffekloppen“ unabdingbar war, wenngleich sich diese Dauerhandhabung für den Zustand der Gewehre mehr als abträglich erwies. Zahllose Beschädigungen bis hin zur völligen Unbrauchbarkeit der Waffe für den Feldgebrauch waren das ernüchternde, weil ins Geld gehende Ergebnis und so verwundert es nicht, dass das preußische Kriegsministerium bemüht war, für Abhilfe zu sorgen. Zwar wollte man auf den Exerzierdienst nicht verzichten – wie sonst hätte man die Soldaten in Friedenszeiten beschäftigen sollen – doch hielt man es für angebracht, für diesen Dienst spezielle Gewehre an die Truppe auszugeben, bei denen der Gesamtzustand und der Erhalt der Schießtauglichkeit nicht unbedingt im Vordergrund zu stehen hatte. So ordnete das preußische Kriegsministerium im Jahr 1844 die Fertigung spezieller, heute sehr seltener Exerziergewehre aus Altbeständen an.

Auftrag zur Auswahl und Fertigung

Für die preußische Armee begann das Perkussionszeitalter mit der Kabinettsordre vom 10. September 1839, nach der die vorhandenen Steinschlosswaffen armeekorpsweise auf die neue Zündungsart umgebaut werden sollten. Zuerst waren dabei die Depotbestände zu bearbeiten, die dann nach Fertigstellung bei der Truppe gegen die dort noch vorhandenen Steinschlossgewehre auszutauschen waren.

Bei dieser Aktion sollten diejenigen Infanteriegewehre M 1809/12, welche nach fast 25-jährigem Dienstgebrauch wegen ihres schlechten Zustandes nicht mehr für den Feldgebrauch und für die reguläre Umänderung in Frage kamen, in den Gewehrfabriken gesammelt und an die Artilleriedepots übergeben werden. Dort war am 21. August 1844 eine Weisung des Kriegsministeriums eingegangen, wonach von diesen Waffen die am besten erhaltenen Stücke ausgewählt und perkussioniert werden sollten. Die Art der Perkussionierung unterschied sich jedoch deutlich von derjenigen, welcher die in den Gewehrfabriken perkussionierten Gewehre unterzogen wurden. Somit waren die in den Artilleriedepots aptierten Gewehre also Waffen 2. Wahl und nur noch für den Exerzierdienst bestimmt. Allerdings sollten die Waffen nach Möglichkeit so funktionsfähig sein, dass damit übungsmäßig noch scharf geschossen werden konnte.

Änderungen

Beim Umbau des Steinschlosses M 1809/12 hin zum perkussionierten Exerziergewehr hat man die Pulverpfanne nicht gänzlich entfernt, sondern zur Lagerung des Zündstollens lediglich verkürzt und ausgehöhlt. Der Steinschlosshahn jedoch blieb komplett erhalten. Zwischen den Hahnlippen aber wurde dort, wo normalerweise der Flintstein eingesetzt war, ein eisernes Schlagstück platziert, welches von der Hahnlippenschraube und einer zusätzlichen Schraube fixiert wurde, die von der oberen Hahnlippe aus in das Schlagstück führte. Fest verankert wurde das Ganze wie bisher üblich durch den Anpressdruck der Hahnlippenschraube.

Am Lauf hat man das Zündloch erweitert und dort einen Zündstollen mit seitlicher Reinigungsschraube eingesetzt, welcher nach fertiger Montage bündig in der Pfannenhöhlung saß und so gegen den Schlag des Hahns von unten her gestützt wurde. Hinter dem Zündstollen wurde am Schloss außen ein kleiner, eiserner Feuerschirm angebracht, welcher durch eine von der Schlossblechinnenseite eingesetzte Schraube gehalten wurde, die am Steinschloss den eisernen Feuerschirm am Schlossblech befestigt hat, welcher an der gegossenen Messingpfanne zusätzlich angebracht war und zu den Charakteristika des Infanteriegewehr M 1809/12 gehörte. Beim hier gezeigten Exemplar ist die Außenkante dieses Feuerschirms etwas beschädigt. Das Standvisier auf dem Schwanzschraubenblatt ist erst ab Ende 1844 angebracht worden, die bereits ausgelieferten Gewehre hat man entsprechend nachgerüstet.

Das hier vorgestellte Gewehr zeigt an der Laufunterseite die Stempelung „B“ und daneben die Jahreszahl „1845“ eingeschlagen; daraus kann abgeleitet werden, dass dieses Exerziergewehr im Jahr 1845 entweder im Artilleriedepot Berlin oder Breslau auf die Perkussionszündung umgebaut worden ist. Da aber die Waffe laut Truppenstempelung am Kolbenblech als Nr.71 an die 3. Kompanie des 1. Garde-Regiments ausgegeben worden ist, welches in unmittelbarer Nachbarschaft zu Berlin, in Potsdam stationiert war, kann als Umänderungsort das Artilleriedepot Berlin vermutet werden.

Stückzahlen

In die Umänderungsarbeiten an den Exerziergewehren waren neben dem Artilleriedepot Berlin auch die Depots in Köln, Breslau, Magdeburg und Posen eingebunden. Zur Abnahme und Endkontrolle der fertigen Waffen war dazu in jedem Depot eine „Königliche Kommission zur Abnahme der percussionierten Exerziergewehre“ eingerichtet worden, die jeweils aus einem Offizier und einem technischen Kontrolleur bestand.

Wie viele Exerziergewehre in diesen verschiedenen Artilleriedepots tatsächlich perkussioniert und endabgenommen wurden, ist nicht nachweisbar. Einzig für das Artilleriedepot Berlin ist dokumentiert, dass man dort von September 1844 bis Dezember 1846 insgesamt 6.430 Gewehre als zur Perkussionierung geeignet ausgewählt, davon aber 331 Stück endgültig verworfen hat, so dass letztendlich im Berliner Depot 6.099 Stück zu Exerziergewehren umgebaut wurden.

Berücksichtigt man, dass im Deutschen Historischen Museum Berlin ein Exerziergewehr mit an der Laufunterseite eingeschlagenem Fertigungsjahr 1843 und dem Buchstaben „B“ für Berlin existiert, dann kann man davon ausgehen, dass der Umbau zumindest im Artilleriedepot Berlin bereits 1843, also weit vor Erteilung des Auftrags vom August 1844 vermutlich probeweise begonnen hat. Damit aber dürfte die oben genannte Stückzahl von 6.099 Gewehren noch geringfügig nach oben zu korrigieren sein. Ende des Umbaus in allen Depots war schließlich im Dezember 1846.

Unruhige Zeiten

1848 standen die Zeichen auf Sturm. Aus Frankreich schwappte die Revolution nach Deutschland über und in der Folge erzwang die revolutionäre Bevölkerung Berlins in einer Barrikadenschlacht den Abzug des Militärs. Am 15. April 1849 stimmte der preußische König Wilhelm I. seinem Kriegsminister Graf von Kanitz zu, zumindest die Füsilierbataillone mit Zündnadelgewehren auszurüsten. Dafür standen in den Depots bereits 45.000 Gewehre und 22 Millionen Patronen zur Verfügung. Im Juni war es dann tatsächlich so weit: Die Zündnadelgewehre sind an das 1. und 2. Garde-Regiment zu Fuß, das Garde-Reserve-Regiment und an 3 Füsilier-Bataillone ausgegeben worden.

Doch trotz dieser allmählich einsetzenden, aber radikalen Umbewaffnung auf einen Hinterlader, dessen exerziermäßige Handhabung sich diametral von derjenigen bei einem Vorderlader unterschied, befanden sich die perkussionierten Exerziergewehre noch immer in der Truppe. Eine Anordnung des preußischen Kriegsministeriums vom 15. Juni 1849 belegt dies. Danach sollten aus dem bei der Truppe und in den Depots vorhandenen Gesamtbestand an Exerziergewehren diejenigen Stücke ausgewählt werden, welche noch zum scharfen Schuss und damit zum Defensionsgebrauch bei der Landwehr geeignet waren. Damit es keinesfalls zu Verwechslungen kommen konnte, hat man die noch tauglichen Gewehre an der rechten Kolbenseite nahe der Kolbenkappe mit einem „D“ über einer Krone (= Defension) gekennzeichnet. Da die vorliegende Waffe, diesen Stempel nicht besitzt, ist davon auszugehen, dass sie zumindest bis zur Ausgabe der Zündnadelgewehre tatsächlich nur noch für den reinen Exerzierdienst in der 3. Kompanie des 1. Garde-Regiments verwendet wurde. Danach aber dürfte das Stück vermutlich ausgemustert worden sein – eine Weitergabe an die Landwehr ist nicht sehr wahrscheinlich, da ein entsprechender Truppenstempel an diesem Gewehr nicht vorhanden ist.

Die noch zum scharfen Schuss tauglichen Stücke sind nach 1849 aber zum großen Teil an die Landwehrtruppen abgegeben worden, zumindest wird dies durch Truppenstempelungen an den wenigen heute noch existierenden Exerziergewehren M 1809/12UM dokumentiert.


Soldat mit Exerziergewehr


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