Preußischer Hirschfänger für die Feuerwerker und Kanoniere der Artillerie aus der Regierungszeit König Friedrichs I. um 1705


Geschichte


Feuerwerker bildeten ehemals mit den Büchsenmeistern, Konstablern etc. die erste Rangklasse der Artilleristen, welche die Wurfgeschütze, Mörser und Böller zu bedienen sowie die Munition und sonstige Kunstfeuerwerk anzufertigen hatten. Sie standen unter den Zeugmeistern und erhielten vierfachen Sold.

Die besten Feuerwerker erhielten die größten Mörser, zwei gehörten zu einem Hauptmörser und einer zu den kleinen Mörsern. Bis ins 18. Jahrhundert blieben die Feuerwerker berufsmäßig , beeiferten sich, es in Meisterstücken einander vorzutun. Später wurden die Feuerwerker den Artillerie-Korps als Unteroffiziere einverleibt; sie behielten ihre Bestimmung, obgleich nicht mehr ausschließlich, da in den meisten deutschen Heeren die Verfertigung von Kunstfeuern allen Artilleristen gelehrt wurde.

König Friedrich I. von Preußen
In Preußen wird unter des Kurfürst Georgs Wilhelms Artillerie 1 Feuerwerker aufgezählt. Unter dem großen Kurfürsten existierte 1 Feuerwerksmeister; der Stückjunker jeder Kompanie war gewöhnlich Feuerwerker. Unter Friedrich I. finden sich 1689: 1 Feuerwerksmeister, 22 Feuerwerker exklusive Stückjunker; unter Friedrich Wilhelm I. hatte die Feldartillerie 30 Feuerwerker; zum Stabe der 4 Garnisons-Artillerie-Kompanien gehörten 1 Kap. und Feuerwerksmeister und 7 Feuerwerker. Unter Friedrich (der Große) II. gehörte je1 Feuerwerker zur Bedienung der Haubitzen. Jedes Feldartillerie-Regiment hatte 10 Oberfeuerwerker und 20 bis 32 Feuerwerker, die Festungsartillerie 124 Feuerwerker

In der neueren und älteren Literatur gab es zwar Hinweise auf die Verwendung von Hirschfängern bei der preußischen Artillerie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, eine genaue Beschreibung oder Abbildung dieser frühen Blankwaffe sucht man vergebens. So schreibt Gerd Maier1 : „Die preußischen Artilleristen führten einer Zeichnung unbestimmter Herkunft zufolge anfangs hirschfängerartige, kurze Säbel mit konischem Griff, gerundetem Bügel und terzseitiger Pariermuschel“.

Heinrich Müller2 gibt an: „Nach einem Bericht über die Kolberger Artillerie-Kompanie von 1705 trug der Kanonier ein Degen mit messingnem Gefäß. Ein gelbledernes gelaschtes Leibgehenk. Eine Pulverflasche mit einem schmalen Riemen von gelbem Leder und mit Messing beschlagen. Hirschfänger. Diese zuletzt, ohne Erläuterung auggeführte Waffe dürfte von einigen statt des Degens getragen worden sein. Sie eignet sich besser als der Degen, Strauchwerk zu beseitigen und Reisig für Faschinen zu schlagen.“

Müller gibt als Quelle das Werk von Curt Jany „Geschichte der Königlich Preußischen Armee“ aus dem Jahre 1928 an. Im ersten Band dieses Werkes wird aus einem Musterungsbericht der Kolberger Artillerie-Kompanie von 1705 über die Bekleidung und Ausrüstung der Artillerie unter anderem zitiert3:

“Des Korporals Montierung: ..., einen messingen übergültedeten Degen, ein gelbledern Gehenke mit Messingschnallen, das Kurzgewehr, auf dessen einer Seite ein Adler mit der königlichen Krone, unten Magazyn Royal, auf der anderen Seite FR mit der königlichen Krone, unten Suum euique, gestochen.

Der Kanonierer Montierung besteht in .. ... Eine Zündrute. Ein Degen mit messingenem Gefäß. Ein gelbledernes gelaschtes Leibgehenk. Eine Pulverflasche mit einem schmalen Riemen von gelbem Leder gelascht und mit Messing beschlagen. Hirschfänger.“

Diese Angaben wiederum hat Jany wie aus den Literaturangaben ersichtlich anscheinend aus den früheren Werken von Schöning und Malinowsky-Bonin entnommen, welche 1840/42 bzw. 1844/45 erschienen sind.

Nach diesen Ausführungen wurden von den Bedienungsmannschaften der preußischen Artillerie Anfang des 18. Jahrhunderts statt des Degens auch Hirschfänger getragen. Dies wird auch durch E. Schön4 in der „Geschichte des Deutschen Feuerwerkswesen“ von 1936 bestätigt. Schön bezieht sich wie Jany auf die Werke von Schöning und Malinowsky-Bonin5 und zitiert unter anderem aus der dort aufgeführten Musterrolle der Artillerie zu Pillau vom 4. Juli 1709:

„Feuerwerker und Korporal trugen einen blauen Rock mit einer Reihe vergoldeter Messingknöpfe und goldenen Knopflochschleifen. Das Futter war strohgelb, ebenso Weste und Kniehose, die Strümpfe waren weiß, die Schuhe breit; dazu wurden gelaschte Lederhandschuhe, ein weißes Halstuch und ein dreieckiger Hut mit goldener Tresse und Kokarde getragen. Ein Überrock vertrat die Stelle des Mantels der Kanoniere. Ähnlich war die Uniform der Kanoniere, die Knöpfe waren von Messing, die Hosen von Bockleder; um die weißen Strümpfe trugen sie lederne Knieriemen, um den Hals ein rotes, seidenes Tuch; die Troddel am Degen bestand aus Kamelhaaren.

Der Feuerwerker war damals mit einer Flinte bewaffnet, der Korporal mit einem spontonartigen Kurzgewehr ohne Luntenklemmen, Unteroffiziere und Kanoniere trugen den Luntenspieß, der auf beiden Seiten mit der königlichen Krone und auf dem halbmondförmigen Teil mit der Inschrift „Königliche Artillerie Potzdam“ versehen und 2,44 m, davon die Klinge 26 cm lang war. Daneben wurde der Hirschfänger sowie eine Pulverflasche am gelben Lederriemen mit 2 Räumnadeln über der Schulter getragen“

Schön schreibt dann weiter:

„Unter König Wilhelm I. wurde vieles an den kostbaren Uniformen geändert.... 1731 erhielten die Bombardiere eine Art von Grenadiermütze von schwarzer Wachsleinwand, vorn mit einem messingenen Schilde und gelben Granaten geziert. Die gesamte Artillerie erhielt Gewehre, auch die Bombardiere; die Unteroffiziere führten Luntenspieße, die 1740 aber abgeschafft wurden......

Unter König Friedrich II. änderte sich nur wenig an der Bekleidung; der Zuschnitt wurde zunächst noch knapper, doch durch die Bekleidungsvorschrift von 1750 wieder vollkommener....

1754 erhielt die Artillerie als Bewaffnung den sogenannteren Pallasch ( nach Windsheimer Artilleriepallasch vor 1745 ) mit Korbgefäß und Lederscheide, der am weißen Koppel unter dem Rock getragen wurde. Offiziere und Unteroffiziere waren mit einem Rohrstock versehen, der gewöhnlich am Brustknopf hing. Der Artilleriepallasch hatte eine Länge von 71,9 cm, wovon 59 cm auf die Klinge kamen; diese war gerade und zweischneidig. Das Messinggefäß hatte einen Hauptbügel mit rechtwinklig abgebogener Parierstange und einem weit ausgeschweiften Seitenbügel und wog 1,1 kg einschließlich der Scheide, die aus braunem Leder bestand.

Die Gewehre, die zu Anfang der Regierung des großen Königs die gesamte Artillerie trug, wurden für den Feldgebrauch abgeschafft und nur noch im Wachdienst benutzt“.

Die Primärquellen all dieser Veröffentlichungen sind der Musterungsbericht der Kolberger Artillerie-Kompanie von 1705 und die Musterrolle der Artillerie zu Pillau vom 4. Juli 1709, welche in den Werken von Schöning und Malinowsky-Bonin auszugsweise erwähnt wurden. Nach diesen Angaben wurde der Hirschfänger von den Feuerwerkern und Kanonieren bis zur allgemeinen Einführung des Artilleriepallaschs geführt. Im Gegensatz zu dem als Nachfolgemodell angeführten Artilleriepallasch ist der Hirschfänger nirgends beschrieben; auch Schöning und Malinowsky-Bonin hatte offensichtlich auch 1840 kein Exemplar mehr vorgelegen. Hingegen wird der bei Schön beschriebene Artilleriepallasch in den Werken von Maier6, Müller7 und Windsheimer8 beschrieben und abgebildet. Die bei Schön angegebenen Maße stimmen mit den Angaben der anderen Autoren überein. Auch liegen in privaten und öffentlichen Sammlungen identische Exemplare vor. Lediglich das Datum der Einführung ist umstritten, so wird nach neueren Forschungen die Einführung des Artilleriepallaschs von Windsheimer auf eine Zeit vor 1745 festgelegt.

Nicht nur in Preußen wurden in dieser Zeit Hirschfänger bei der Artillerie geführt, so schaffte man schon 1666 in Österreich die langen Büchsenmeister-Rapiere ab und ersetzte sie durch kurze Hirschfänger, welche wiederum 1748 von einem gelbmontierten Grenadiersäbel angelöst wurden9.

Nach den bis hier beschriebenen Fakten war es doch sehr überraschend, als im Jahre 2003 in Handel ein Hirschfänger auftauchte, welcher auf dem Stichblatt mit "ARTILLERIE ROYALE" und überkröntem "FR" graviert ist. Der Gravur nach und den obigen Ausführungen müsste man den Hirschfänger also in die Regierungszeit von König Friedrich I. einordnen, welcher von 1688 bis 1701 als Kurfürst Friedrich III. und von 1701 bis 1713 als Friedrich I. der erste König von Preußen regierte. Er hatte sich am 18. Januar 1701 im großen Saal des Königsberger Schlosses die Königskrone selbst auf Haupt gesetzt und führte nun den Titel Friedrich I., König in Preußen. Auch Behörden und Armee nennen sich jetzt königlich, der Gesamtstaat heißt fortan Königreich Preußen. In dieser Zeit wird auch beim Militär die Bezeichnung ROYALE für königlich eingeführt. So findet man auf Infanteriegewehren aus der Zeit von Friedrich I. die Laufbeschriftung „MAGASIN ROYAL“ oder „MAGASIN ROYALL“,10. Nach Jany11 weisen vom Jahre 1705 ab die „Generalbestände“ des Artilleriematerials eine große Artilleriefahne aus. Sie bestand aus weißer Leinwand von über 7 Fuß Länge und fast derselben Breite und zeigte in Malerei den gekrönten preußischen Adler in einem großen Kranze von grünen Lorbeerzweigen, darunter auf einem blauen Bande die Inschrift „ARTILLERIE ROYAL“, sie ist abgebildet bei Fiebig12, Unsterbliche Treue, das Heldenlied der Fahnen und Standarten des deutschen Heeres.

Auch ist aus der Regierungszeit von König Friedrich I. (1701-1713) eine Helmbarte als Stangenwaffen der Unteroffiziere nachweisbar13. Die Waffe besteht aus einer dreikantigen Stoßklinge, die nach einem Ring in eine achtkantige Tülle übergeht. In diese ist eine Beilklinge eingeschoben, die auf der anderen Seite als etwas nach unten gerichteter Schlagdorn herausragt. Die Ränder sind gewellt. Auf dem Blatt ist die von Zweigen umgebene, sehr einfach gehaltene Herrscherchiffre „FR“ mit Krone eingeätzt. Darunter befindet sich der Herrscherspruch des ersten Königs „SUUM CUIQUE“ (Jedem das Seine). Auf der Rückseite ist die Herkunft „MAGASIN ROYAL“ eingeätzt. Darüber sind noch Reste eines geätzten preußischen Adlers erkennbar. Maße: 390/280 mm; Breite der Hauklinge: 110 mm. Diese Stangenwaffen wurden nicht mehr in der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm I. (1713-1740) verwendet und an das Fürstbistum Münster verkauft. ( Privatsammlung )

Es existiert auch ein Sponton für Artillerieoffiziere mit „FR“-Chiffre unter Krone und dem Spruchband „ARTILLERIE: ROYALE.“, welches seiner Form nach dem Infanterie-Sponton nach 1740, aus der Zeit von Friedrich dem Großen entspricht. Es wird deshalb auch von Müller14 und Windsheimer15 diesem Zeitraum zugeordnet, obwohl diese Beschriftung mehr in die Zeit von Friedrich I. passen würde16

Der hier beschriebene preußische Hirschfänger für Feuerwerker und Artilleristen hat ein feuervergoldetes Bügelgefäß mit leicht s-förmiger Parierstange, flache Knaufkappe und einen leicht gebogenen Hirschhorngriff. Das terzseitig waagerecht abstehende muschelförmiges Stichblatt ist auf der Oberseite mit "ARTILLERIE ROYALE" und auf der Unterseite mit überkröntem "FR" graviert. Eine gerade Rücken-Keilklinge mit 2-schneidig auslaufender Spitze. Sie ist beidseitig in der oberen Hälfte mit Zierätzungen versehen. darstellend Waffentrophäen mit Rankenwerk und auf der Quartseite mit Rankenwerk und einem Rothirsch. Eine Scheide ist nicht mehr vorhanden.

Wenn man davon ausgeht, dass der vorstehend beschriebene Hirschfänger ein Exemplar aus der Zeit ist, so diente er wohl auch für die später bei den Fußjägern eingeführten Modelle von 1750/60, 1773 und dem ersten aufpflanzbaren Hirschfänger M 1784 als Vorbild, da diese mit ähnliche Bügelgefäßen versehen waren. Auch der dänische Artilleriehirschfänger Modell 1760 hat ein ähnliche Bügelgefäß mit Muschel und einem Griff aus Hirschhorn.


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