Das Infanteriegewehr M/71


Geschichte


Text: H. M.

Das Zündnadelgewehr wurde 1841 in Preußen und nach 1866 in allen anderen Bundesstaaten mit geringen Änderungen die Standardbewaffnung. Entscheidende Erfolge wurden während der Feldzüge gegen Dänemark 1864 und Österreich 1866 erzielt. Aufgrund der neuen Hinterladerkonstruktion, wodurch eine Papierpatrone geladen wurde, konnte die Feuerkraft um ein Vielfaches gesteigert werden.

Der Sieg über Frankreich 1870/71 ergab sich aufgrund der personellen Übermacht der Deutschen, denen nur halb so viele französische Kämpfer gegenüber standen.

Die Württembergische Infanterie war mit einem aus dem Vorderlader Mod. 65 zum Hinterlader aptierten Zündnadelgewehr und mit dem Zündnadelgewehr M/68, einer Neuanfertigung aus Oberndorf, bewaffnet.

Die Franzosen hatten durch geschickte technische Weiterentwicklung mit Ihrem Chassepot-Gewehr und dessen ballistischen Leistungen einen technologischen Fortschritt von etwa 25 Jahren. Die Ursachen liegen in der verbesserten Gasabdichtung und in dem Kaliber von 11mm.

In Preußen wurden deshalb ab 1868 an der Militärschießschule Spandau neben einer Weiterentwicklung und Modifikation umfangreiche Untersuchungen mit verschiedenen neuen Waffenmodellen durchgeführt. Dazu zählt u.a. auch das Werdergewehr M/69, ein Hinterlader im Kaliber 11mm mit Metallpatrone. Auch in Oberndorf wurde eifrig an einer Neukonstruktion gearbeitet. Aus Mangel an Aufträgen verpflichteten sich die Gebr. Mauser für den Agenten der Firma Remmington Samuel Norris zu arbeiten. Nach mehrjähriger Entwicklungstätigkeit entstand schließlich im Jahre 1967 ein Prototyp. Über die Kontakte von Norris kamen auch die Gebr. Mauser in Verbindung mit der preußischen Militärschießschule Spandau. Weil Norris seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkam, kehrten sie Lüttich 1870 den Rücken, um in Oberndorf seine Fabrikation auszubauen.

Im selben Jahr reiste Wilhelm Mauser nach Spandau, um seine preußischen Kontakte wieder aufzunehmen. Am 10. Mai schreibt er seinem Bruder nach Oberndorf: „Dass in Preußen ein neues Gewehr angeschafft wird, steht fest, und sicher steht das unserige am nächsten. In der Einfachheit steht es einzig da von all den vielen Gewehren welche sie haben. Es werden auch nur noch mit sehr wenigen Versuche vorgenommen...“ Am 18.09.1871 berichtet der bayrische Militärbevollmächtigte Oberst Theodor Kries aus Berlin, die Kommission halte den Werder-Mechanismus für nicht genügend, man beklage überdies die starke Laufverschmutzung und die schlechten Reinigungsmöglichkeiten. Am 7. November legte die Kommission Lauf- und Schaftlänge und das Kaliber von 11 mm fest. Zwar gilt der Zylinderverschluss von Mauser als unbestrittener Favorit, jedoch ist laut Prüfungskommission die Ausführung der Sicherung nicht befriedigend gelöst. Nach Verpflichtung, das Sicherungsproblem zu lösen, fällt die Vorentscheidung am 02.12.1871 zugunsten des M/71. Am 22. März 1872 kann Wilhelm in Spandau zwei Alternativschlösser vorlegen, von denen eines den Vorstellungen entspricht. In einer Note des preußischen Kriegsministeriums heißt es schließlich: „Hiernächst haben Seine Majestät der Kaiser und König mittels allerhöchster Cabinets-Ordre vom 22. März die Probe zu dem Infanteriegewehr M/71 zu bestätigen und allergnädigst zu befehlen geruht, daß für die Neubewaffnung der Infanterie der Armee dergleichen Gewehre angefertigt werde...“ Der Befehl zur Umbewaffnung erfolgte dann durch Kabinettsorder vom 22.Juni 1873.

In Bayern wurde zunächst die Verwendung des Werderschlosses M/69 (Fallblockverschluss ähnlich Martini-Henry) beim Lauf M/71 angestrebt. Aus bekannten Schwierigkeiten bei dieser Aptierung des Werdergewehrs auf die Patrone M/71 wurde durch königliche Ordre vom 11. August 1877 auch das Mausergewehr in Bayern eingeführt. Das Gewehr M/71 bildet nun die Standardbewaffnung ganz Deutschlands.

Nach dem Friedensschluss 1871 wurden die ersten zwanzig Probegewehre gemäß der von Mauser entwickelten Konstruktion in Spandau durch Handarbeit hergestellt. Die Gewehrfabrik sah sich ganz neuen Anforderungen gegenüber. Die Fertigung aller Gewehrteile verlangte eine bis dahin nicht gekannte Genauigkeit. Die geforderten Leistungen konnten nicht mehr durch Handarbeit erbracht werden. Neue Maschinen mussten gekauft werden. Einspannvorrichtungen mussten hergestellt, genaue Maßtafeln, Untersuchungs-, Abnahmevorschriften bearbeitet und Schablonen, Lehren und Messgeräte für jedes Gewehrteil angefertigt werden.

Die Lehre für das Laufkaliber betrug 10,95 mm bis 11,10 mm. Die Lauffertigung verlangte eine Toleranz von +/- 0,05 mm. Die Maschinen wurden in Hartford (USA) von der Firma Pratt und Whitney gekauft. Zunächst wurden die zum Schmieden der Gewehrteile in Gesenken erforderlichen Maschinen geliefert. Danach erfolgte die Lieferung von Fräsmaschinen zur Herstellung der Schlossteile, so dass das Nacharbeiten von Hand auf ein geringes Maß reduziert werden konnte. Zum Schluss trafen die Maschinen zur Fertigung der Hülse, des Visiers und der Garnitur ein. Dieser Vorgang dauerte von Herbst 1872 bis Anfang 1874.

Eine deutsche Pressemitteilung vom 31. Juli 1873 berichtet über das neue Infanteriegewehr M/71:

Hinsichtlich des neuen Mausergewehres teilen die deutschen Nachrichten mit, daß das preußische Kriegministerium einer bedeutenden Anzahl in- und ausländischer Gewehrfabriken den Auftrag zur Anfertigung von vorläufig 1 Million Gewehren, d. h. einer vollständigen Kriegsausstattung erteilt habe. Die einzelnen Gewehre werden getrennt in den ausländischen Fabriken gefertigt. Die Gewehrfabrik in Spandau, obgleich durch Befehl, die gesamten Geschosse für das Mausergewehr zu pressen, sehr in ihrer Leistungsfähigkeit beschränkt, liefert jetzt etwa 100 Stück täglich, wird ihre Produktionskraft jedoch bis auf das Doppelte zu steigern im Stande sein. Französischen Technikern soll es nach der Zeichnung der einzelnen Teile des Gewehres gelungen sein, eine Kopie desselben herzustellen. Die französische Armee wird jedoch das Füsil Chassepot beibehalten.

Fürst Bismarck soll besonders auf die schnelle Beschaffung des Mausergewehres hingewirkt haben.“

Wie immer, wenn ein neues Gewehr eingeführt wurde, stand die Produktion unter großem Zeitdruck. Es lag auf der Hand, dass die drei preußischen Gewehrfabriken Spandau, Erfurt und Danzig den Heeresbedarf innerhalb der vorgegebenen Frist von fünf Jahren nicht decken konnten. Das preußische Kriegsministerium vergab deshalb eine Reihe großer Aufträge an fremde Firmen (siehe Tabelle).

Überblick über die Hersteller und Herstellungszahlen.

Hersteller

Produktionsbeginn
Produktionsende
Stückzahlen
Preis [Mark]
Spandau
Ende 1872
ca.1877
1875 - 63.000
-
Erfurt
1873
-
1875 - 60.000
-
Danzig
1873
-
1875 - 57.000
-
Amberg
Mai 1872
1884
168.000
57
AGH Suhl
-
Februar 1876
180.000
-
Mauser
Dezember 1873
Juli 1879
100.000
66-55
ÖWG Steyer
-
bis Mitte 1876l
100.000
-
Birmingham
-
-
75.000
55

Ab 1876 konnte die Fertigung des Gewehrs in der Gewehrfabrik Spandau bereits eingeschränkt werden. Die maximale Stückzahl wurde 1875 erreicht. Sie betrug 63000 M/71. Zu dieser Zeit erreichte die Beschäftigungszahl in Spandau mit 1300 Arbeitern ihren Höchststand (1876 nur noch ca. 900 Arbeiter). Amberg lieferte bis 1875 ca. 90000 Stück plus zusätzlich 45670 in 1876. Im Jahre 1878 war die Umbewaffnung des preußischen Heeres bzw. der Infanterie abgeschlossen. M. Thierbach schreibt in seinem Buch: „Die Bewaffnung der Truppen mit diesem Gewehren fand nach und nach, je nach der Fertigstellung desselben statt, so daß im Jahre 1875 die gesamte deutsche Infanterie damit ausgerüstet war.“ Aufgrund der Tabelle scheint dieses Datum zweifelhaft zu sein.



Geschichte Techn. Daten Bestempelung Literatur Zum Anfang