Preußisches Kadettengewehr entsprechend dem Muster des Infanteriegewehres M 1740/73


Geschichte


Text: Udo Lander (Auszug aus Wirtgen, Arnold; Die preußischen Handfeuerwaffen, Modelle, Manufakturen, Gewehrfabriken 1814-1856 Steinschloss- und Perkussionswaffen)

Dieses kleine, nicht einmal ein Meter lange Gewehrchen mit Bajonett, bei dem sogar noch der originale Lederriemen erhalten ist, entspricht bis auf die Dimensionen in nahezu allen Details dem normalen Infanteriegewehr M 1740/73. Lediglich die Anzahl der Ladestockröhrchen differiert: Während das Infanteriegewehr vier Röhrchen besitzt, von denen die vorderen drei entsprechend der Erfordernisse beim Gebrauch des zylindrischen Ladestocks aufgetrichtert sind, hat das Kadettengewehr nur drei Röhrchen, von denen die beiden vorderen mit einem Mündungstrichter versehen sind.

Auffallend an diesem Kadettengewehr ist die überaus geringe Gesamtlänge von lediglich 910 mm. Dies gab im Zusammenhang mit dem vergoldeten Schwanzschraubenblatt Anlass zu der Überlegung, es könnte sich dabei um ein sogenanntes „ Prinzengewehr“ handeln, also eine Waffe, die speziell für den noch jungen Spross einer königlichen Familie gefertigt worden ist. Diese Annahme setzt aber voraus, dass es während der Regierungszeit Friedrichs des Großen, dessen Monogramm auf dem Daumenblech des Kadettengewehrchens in der üblichen Weise eingraviert ist, im preußischen Kadetten-Korps einen solchen Adelsspross gegeben hat. Doch in den einschlägigen Auflistungen der Zeit von 1740 bis 1786 ist ein Prinz als Angehöriger des preußischen Kadetten-Korps nicht verzeichnet. Auch die Überlegung, es konnte sich bei diesem kleinen Gewehrchen um ein persönliches Requisit von Friedrich selbst handeln, als er noch Kind und Prinz war, ist nicht stichhaltig. Zum einen wurde das Gewehr eindeutig erst nach der Einführrung des zylindrischen Ladestocks 1773 und der damit zusammenhängenden, trichterförmigen Ladestockröhrchen gefertigt, zu einer Zeit also, als Friedrich schon seit Jahrzehnten dem Kadettenalter entwachsen war. Zum andern steht das Monogramm »FR« auf dem Daumenblech nun mal für »Fridericus Rex« und nicht für »Fridericus Princeps«!

Das Gewehrchen entstand entsprechend der Herstellerangabe »S et D« zwischen 1773 und 1775 in der Gewehrfabrik Potsdam-Spandau unter der Leitung von Splitgerber & Daum und hat ganz offensichtlich alle Endkontrollen und den Probebeschuss durchlaufen, der für die Waffen der Armee vorgeschrieben war. Insbesondere der mit den Adlerstempeln auf dem Lauf dokumentierte Beschuss aber macht nur Sinn, wenn das Gewehr auch tatsächlich zum scharfen Schiessen vorgesehen war. Dies führt in der Konsequenz zu der Feststellung, dass dieses, aber auch alle anderen Kadettengewehre, soweit sie die preußischen Beschussstempel vorweisen, nicht nur zum Exerzieren, sondern tatsachlich zum scharfen Schuss mit speziell für diese kleinen Kaliber angefertigter Munition verwendet worden sind.

Dass mit den Kadettengewehren tatsachlich geschossen wurde, obwohl ihre Kaliber naturgemäß sehr deutlich von dem der regulären lnfanteriewaffen abwich, geht unter anderem daraus hervor, dass anläßlich der Beisetzung des 1727 gestorbenen Kommandeurs des Kadetten-Korps Oberstleutnant v. Finkenstein in der Potsdamer Garnisonskirche die Kadetten mit "Patronen feuerten'". Darüber hinaus sind in allen Ausgabeverzeichnissen des Kadetten-Korps jener Zeit zahlreiche Beträge für Reparaturen an Taschen, Gewehren etc. angesetzt, die nur durch den fleißigen Gebrauch der Armaturgegenstände hervorgerufen worden sein können.



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