Die Oldenburger Kavallerie-Kolbenpistole M 1850

System Thouvenin von J.H. Wichmann


Geschichte


Text: Udo Lander

Über die Bewaffnung des Oldenburger Militärs im 19. Jahrhundert ist bis heute nur sehr wenig publiziert worden. Speziell die seltene Pistole der dortigen Kavallerie und Artillerie während der Zeit des Deutschen Bundes erscheint es wert, näher beleuchtet zu werden.

Neubeginn

Das Herzogtum Oldenburg war erst 1773 aus dem dänischen Staatsverband entlassen worden, wurde aber 1811 von napoleonischen Truppen okkupiert. Es konnte daher – auch nicht in der nur kurzen Rheinbundzeit, bzw. als unmittelbarer Bestandteil des Kaiserreichs Frankreich – vor 1813 nennenswerte militärische Entwicklungen vorantreiben. Seit 1815 Großherzogtum bestand sein Hauptterritorium aus Gebieten im Nordwesten des Reiches, einem kleinen Gebiet in Ostholstein, dem Fürstentum Lübeck, zu dem nicht die Freie Stadt Lübeck gehörte (!) und dem weit entfernten Fürstentum Birkenfeld an der Nahe. Mit seinen ca. 234.000 Einwohnern hatte das Großherzogtum, seit 1820 Mitglied im Deutschen Bund, im Kriegsfall und auf Anforderung der Bundesregierung in Frankfurt a.M. 1.688 Infanteristen, 311 Kavalleristen, 157 Artilleristen/Trainsoldaten und 22 Pioniere zu stellen, insgesamt also 2.178 Mann. Der Aufbau dieser Truppe war dem Generalmajor Wardenburg übertragen. Dieser war während der Befreiungskriege Brigadier in der „russisch-deutschen Legion“ gewesen, die der oldenburgische Großherzog im Namen des russischen Zaren im Jahr 1812 aufstellen ließ. Zunächst wurde ein Infanterie-Regiment mit zwei Bataillonen aufgestellt, was der Beginn der eigentlichen Geschichte des Oldenburger Militärs und damit auch die Geschichte seiner Bewaffnung war.

Hanseatische Brigade

Im Jahr 1834 schloss das Großherzogtum Oldenburg mit den Freien Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck eine Militärkonvention zum Zweck der Bildung einer gemeinschaftlichen Brigade. Für diese Hanseatische Brigade wurde in der Folge ein neues Exerzierreglement ausgearbeitet und in Oldenburg kam es auf Grund der Forderungen der Kriegsmatrikel des Deutschen Bundes in dieser Zeit auch zur Errichtung eines Reiter-Regiments. Für ein solches Regiment in Stärke von 560 Pferden waren am 13. Februar 1849 die Mittel bewilligt worden und am 01. und 02. Mai 1849 begann mit der Einstellung von 200 Rekruten schließlich die Formation des Regiments, welches dann zusammen mit einem Infanterie-Regiment, einem leichten Bataillon in Birkenfeld und einem Artillerie-Korps mit 12 Geschützen das Oldenburger Kontingent bildete, welches mit den Truppen der Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck im Deutschen Bundesheer die III. oldenburgisch-hanseatische Brigade in der II. Division des X. Armeekorps bildete. Die Montierungs- und Ausrüstungsbeschaffung dazu sollte zunächst nur für die Dienstgrade und 240 Mannschaften beschafft werden, die entsprechenden Verträge aber so geschlossen werden, dass eine sukzessive Nachlieferung bis zu einer Stärke von 560 Mann zu denselben Bedingungen erfolgen konnte

Inlandsproduktion

Offensichtlich hatten den Oldenburger Beschaffern die im benachbarten Hannover, aber auch in Hamburg eingeführten Pistolen mit ansteckbarem Kolben imponiert, der einen karabinermäßigen Gebrauch dieser Waffen erlaubte. Da Crause in Herzberg Produzent dieser Kolbenpistolen war, hätte es eigentlich nahegelegen, auch die von Oldenburg ins Auge gefassten Pistolen dieses Typs für das neue Reiterregiment in Herzberg fertigen zu lassen. Aber der regierende Großherzog August I. von Oldenburg hatte mit einer Ordre vom 26. April 1849 unter Punkt 4 verfügt, dass „alle Ausrüstungsgegenstände, soweit dieses im Interesse der Sache und ohne größeren Kostenaufwand geschehen kann, aus dem Lande bezogen werden müssen“. Damit kam die Herzberger Gewehrfabrik des Philipp Crause, der bereits Auswahlmuster vorgelegt hatte, als Lieferant nicht in Frage und der ortsansässige Regiments-Büchsenmacher J. H. Wichmann wurde mit der Lieferung der oldenburgischen Kolbenpistolen für das Reiterregiment und für die Berittenen des Artilleriekorps beauftragt. Wichmann hatte schon 1844 an der allgemeinen Deutschen Gewerbeausstellung in Berlin teilgenommen, wo er für ein Paar Scheibenpistolen und eine Kavalleriepistole nach Angaben des oldenburgischen Oberstleutnants von Weltzien eine öffentliche Belobigung erhalten hatte. Dieser Oberstleutnant von Weltzien hatte schon um 1840 ein Mittelschloss-Perkussionsgewehr für die Infanterie vorgeschlagen, von denen dann 1844/45 sowohl 900 lange als auch 300 kurze Muster bei Crause in Herzberg bestellt wurden. Anzunehmen ist, dass bei den ersten Versuchen mit diesen Mittelschlossgewehren neben Crause in Herzberg auch der Regimentsbüchsenmacher J.H. Wichmann in Oldenburg beteiligt war.

Weiterhin ist zu vermuten, dass es sich bei der oben erwähnten und von v. Weltzien vorgeschlagenen Kavalleriepistole um das Muster der hier gezeigten Kolbenpistole handelte.

Fertigungszahlen

Über die Menge der von J. H. Wichmann in Oldenburg gefertigten Perkussionspistole mit Anschlagschaft sind leider keine exakten Stückzahlen nachgewiesen. Das oldenburgische Dragoner-Regiment hatte zunächst 4 Eskadrons mit je 6 Gefreiten und 77 Mannschaften, doch die 4. Eskadron wurde am 1.Dezember 1850 wieder aufgelöst und das Regiment auf die nach der Bundeskriegsverfassung gerade noch zulässige, geringste Stärke von nur 225 Mann gebracht. Unter Zugrundelegung der Stärke des Dragoner-Regiments von 225 Mann kann man davon ausgehen, dass zumindest diese Anzahl an Pistolen gefertigt wurde. Da auch die Berittenen der Artillerie eine solche Pistole erhielten, dürfte die Produktionszahl inklusive einer gewissen Zeughauseserve wahrscheinlich etwa 470 Pistolen betragen haben.

Das Ovalzugsystem

Nicht nur in Oldenburg, sondern auch in den kleinen Staaten des X. Bundes-Armeekorps, in Braunschweig und den drei Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck galt das vom braunschweigischen Major Berner entwickelte Ovalzug-Prinzip als ballistisches Ei des Kolumbus, geeignet zur Lösung aller militärischen Feuerwaffenprobleme. Sogar das sonst immer sehr auf nationale Eigenständigkeit bedachte England hängte sich an diesen norddeutschen Trend und führte mit der „Brunswick“-Rifle das Ovalzugsystem ein. Beim im X. Armeekorps eingeführten Ovalzug-System besaß der Lauf nur zwei gegenüberliegende, kantig eingeschnittene Züge. In diese Läufe wurden jedoch gewöhnliche Rundkugeln, zum Teil mit Pflaster geladen. Allerdings hat man bei den Mitgliedern des X. Armeekorps die Chance vertan, für ein einheitliches Kaliber zu sorgen. Während z.B. die braunschweigischen Ovalzug-Waffen ein Kaliber von 15,9mm hatten, besaß das Oldenburger Gewehr ein Kaliber von 17,1mm und die Kolbenpistole aus der Wichmann-Fertigung hingegen hatte nur ein Kaliber von 14,3mm.

An Munition zum Scheibenschießen erhielt das Oldenburger Reiter-Regiment jährlich für jeden Offizier, Unteroffizier und Reiter 30 scharfe Patronen und 20 Platzpatronen für jeden Unteroffizier und Reiter. Die weiteste Distanz, auf die nach der Scheibe geschossen wurde, betrug 100 Schritt. Verwendung fand die oldenburgische Papierpatrone. Im Ganzen in den Lauf eingeführt platzte ihre Hülle beim Kontakt mit dem Dorn, so dass das Pulver austreten konnte und sich um den Dorn anlagerte.

Die Kolbenpistole

Der Pistolenlauf besteht aus Damaststahl, welcher nach hinten durch eine Patentschwanzschraube mit Baskülhaken abgeschlossen wird. Auf dem Laufgrund, an der Basis der Patentschwanzschraube ist ein Thouvenin ‘scher Dorn eingeschraubt. Die Baskülscheibe wird zum einen durch die Kreuzschraube und einen Querstift im Schaft fixiert. Integriert in die Basküle ist ein seitlich verschiebbarer Sicherungsbolzen nach hannoverschem Vorbild, dessen Handhabe jedoch deutlich zu klein und daher nur schwer praktikabel erscheint. Dieser Sicherungsbolzen begrenzt im eingelegten Zustand den Hahnweg kurz vor dem Auftreffen auf das Piston. Direkt an der Nahtstelle zwischen Baskülscheibe und Patentschwanzschraube ist ein Standvisier aufgesetzt, das zugehörige Eisenkorn findet sich auf dem Mündungsring. Das rückliegende Perkussionsschloss wird von zwei Schrauben im Schaft fixiert. Unter den Schraubenköpfen sind Messingunterlagen eingelassen. Der zur Pistole nummerngleiche Ansteckschaft wird mit einem Haken mit gefederter Sperrklinke und zusätzlich einer zweiarmigen Blattfeder in die Rückenschiene der Kolbenoberseite montiert. An seiner Sattelstange läuft ein Karabinerring.

Verwendung

Entsprechend ihrer Stempelung "2 E 76" (2. Eskadron, Waffennummer 76) an der linken Schaftseite gehörte die vorliegende Pistole zum oldenburgische Dragoner-Regiment. In der Truppe verblieben die Kolbenpistolen bis 1861, sie wurden danach an US-amerikanische Aufkäufer veräußert und im dortigen Bürgerkrieg verschlissen, was zusammen mit ihrer geringen Produktionsmenge ihre heutige Seltenheit erklärt. Anzumerken ist abschließend, dass auch der Kolben der Hamburger Spitzkugel-Dornpistolen 1855 und 1861 an die Wichmann-Pistole ansteckbar ist, deren Kolben sich jedoch zumindest in der Form der Backe unterscheidet: Während die Kolbenbacke der oldenburgischen Pistole kantig gearbeitet ist, wurde derjenige der Hamburger Pistole rund ausgeführt.

Die Kolbenpistole gab es laut Peter Galperin in zwei Varianten: 1. Typ mit dem Korn als Teil des Bundes und einem Kolbenring als Teil des Rahmens, der 2. Typ mit separatem Korn und ohne Kolbenring. (Peter Galperin 1983)



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