Ledenica - Silberpistole aus Albanien-Montenegro um 1800


Geschichte


Text Udo Lander

Eigenständiges

Überall auf dem Balkan haben der starke Einfluss des Orients und altes kulturelles Erbe Europas den Weg bereitet für die Entwicklung spezieller, tragbarer Feuerwaffen, die außerhalb des Osmanischen Imperiums völlig unbekannt waren. Die Produktion von Steinschlosswaffen in den Waffenwerkstätten des Balkans war sehr stark beeinflusst von den Produkten norditalienischer Büchsenmacherkunst und begann in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Läufe und Schlösser norditalienischer Jagdwaffen waren auf dem Balkan eine höchst begehrte Ware, die in großen Mengen in die Länder des Balkans exportiert und anfänglich in Albanien, später auf dem gesamten Balkan verarbeitet wurden.

Heimlichkeiten

Im Osmanischen Reich war es Zivilsten, speziell Christen verboten, Waffen zu tragen und die Durchsetzung dieser Gesetze war in Zeiten von allfälligen Konflikten umso rigoroser. Dies führte natürlich zwangsläufig zum Aufkommen heimlicher Waffenherstellung mit ebenso geheimem Handel. Zeitweise wurde dieser Handel von den osmanischen Machthabern sogar toleriert, aber meistens versuchte man, dies so weit wie möglich zu unterbinden. Da aber die Einfuhr von Jagdwaffen nicht verboten war, umging man damit diese Verbote und es kamen große Mengen an venezianischen Läufen ins Land. Überall auf dem Balkan wurden diese Läufe dekoriert und mit anderen, lokalen Einzelteilen zu einem funktionierenden Ganzen zusammengebaut, was letztendlich zur Entwicklung von gänzlich neuen Typen an Feuerwaffen führte, die für den Balkan charakteristisch wurden..

Der Eiszapfen

Mit die schönsten Pistolen, die man aus der Balkanregion kennt, kommen aus Albanien oder Montenegro und wurden meist paarweise getragen. Gefertigt in der unter venezianischer Verwaltung stehenden Bucht von Kotor (Boka Kotorska) haben sie in Form und Farbe eine gewisse Ähnlichkeit mit Eiszapfen, von wo auch ihr serbokroatischer Namen „“Ledenica“ für Eiszapfen herrührt. Der komplette Schaft einer solchen Ledenica bestand aus gegossenem und getriebenem Silberblech, meist stark erhaben punktförmig reliefiert oder mit barocken, bzw. Rokokoelementen versehen. Bemerkenswert dabei ist, dass der Griff und der Kolbenabschluss weit intensiver dekoriert wurden als der Vorderschaft. Wahrscheinlich ist das darauf zurückzuführen, dass nur der dekorierte Griff und Kolbenabschluss sichtbar waren, wenn die Pistolen im Gürtel steckten. Dies aber, so ist zu vermuten, genügte dem Repräsentationsbedürfnis des Besitzers und eine weitergehende Bearbeitung des unsichtbaren Vorderschaftes konnte somit unterbleiben.

Söldner und Räuber

Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts standen das bergige Montenegro und das sich südlich anschließende, ebenfalls gebirgige Albanien - das Land der Skipetaren - für mehr als vier Jahrhunderte unter dem Einfluss des Osmanischen Reiches und die meisten, wenn auch nicht alle ihrer Bewohner traten im Laufe der Jahrhunderte unter türkisch/religiöser Beeinflussung zum Islam über. Doch die entlegenen und kaum zugänglichen Bergregionen beider Länder waren in Wirklichkeit niemals völlig von den Türken unterworfen und genossen so innerhalb des Osmanischen Reiches eine großzügige Autonomie. Die vollständige Durchsetzung osmanischer Gesetze und deren Einhaltung hatten sich dort wegen der topographischen Gegebenheiten als nahezu unmöglich erwiesen. So dienten viele der unter teils ärmsten Verhältnissen lebenden Gebirgsbewohner Albaniens und Montenegros traditionell seit Jahrhunderten als schwer bewaffnete Söldner in der venezianischen Armee. Viele aber schlossen sich Räuberbanden an, die von der Republik Venedig zum Teil mit Waffen, hauptsächlich aber mit Geld unterstützt wurden, das natürlich zur Beschaffung von Waffen ausgegeben und gegen die Türken verwendet wurde. Venedig hielt damals die Ionischen Inseln besetzt und gewährte im eigenen Interesse der Bucht von Kotor und deren Umland Schutz gegen die Türken.

Kotor - Boka Kotorska

Waffen waren seit alter Zeit ein integraler Bestandteil der montenegrinischen oder albanischen Nationaltracht der Männer. Ursächlich dafür waren die andauernden Kämpfe gegen die Türken. So waren Waffen in dieser Bergregion eine absolute Notwendigkeit, aber auch Statussymbol und zugleich Garant für die persönliche Freiheit, weswegen sie aufwändig verarbeitet und extensiv dekoriert wurden. Sie spiegelten so die gesellschaftliche Bedeutung des Besitzers wider und wurden Im Allgemeinen als Paar getragen.

Diese Waffen, Gewehre und Pistolen, kamen zum großen Teil aus Kotor in Montenegro, welches sich im Jahr 1420 unter den Schutz Venedigs gestellt hatte. Nach dem Untergang der Republik Venedig im Jahr 1797 wurde Kotor im Frieden von Campo Formio Österreich zugesprochen, zwischen 1805 und 1814 jedoch von Frankreich besetzt und seit 1815 gehörte Kotor zum österreichischen Kronland Dalmatien.

Italienischer Einfluss

Die in Kotor gefertigten Pistolen mit den Silberschäften und Miquelet-Schlössern waren, so kann man an noch heute vorhandenen Realstücken in der Armeria Reale in Turin feststellen, direkte Kopien norditalienischer Vorbilder des 18. Jahrhunderts. Nahezu identische Pistolen mit gleicher Dekoration der Silberschäfte und gleich konstruierten Miquelet-Schlössern sind in Brescia und in Gardone im Val Trompia in den Jahren um 1800 hergestellt und in die Länder des Balkans exportiert worden. Anzunehmen ist, dass die für die albanisch/montenegrinischen Pistolen charakteristischen, langgestreckten Schäfte, die sowohl aus Messing- aber auch aus Silber gefertigt waren, in Kotor entwickelt und wegen mangelnder Produktionskapazität der heimischen Handwerker auch über Venedig aus Italien beschafft wurden.

Das an diesen Pistolen verbaute Miquelet-Schloss war eine wenn auch vereinfachte Variante des in Spanien, aber auch in Italien verwendeten Schlosssystems, die im gesamten Mittelmeerraum große Verbreitung fand. Über internationale Handelswege gelangte diese recht einfache, aber höchst zuverlässige Schlosskonstruktion sogar nach Nordafrika und weit nach Osten, wo sie sich so auch an den Feuerwaffen der gesamten Kaukasusregion finden lässt.

Mond und Sterne

Der Sternenkranz auf dem Lauf der gezeigten Miqueletpistole mit dem Halbmond im Zentrum lässt zunächst und fast automatisch an den Islam denken. Dessen Symbol ist die schmale Sichel des Neumondes, weil die Muslime ihre Religion nach dem Mondkalender leben. So zeigt das Symbol des Halbmonds den Muslimen den Beginn eines Monats an, aber auch den Beginn und das Ende der Fastenzeit im Monat Ramadan sowie Anfang und Ende des Pilgermonats Hadsch. Während also auf vielen islamischen Waffen der Halbmond als Religionssymbol zu finden ist, hat der hier in Gold eingelegte Halbmond mit einem menschlichen Gesicht sicherlich nichts mit dem Islam zu tun. Waffen mit solchen Halbmonden, die ein menschliches Gesicht zeigen, kennt man im Allgemeinen nur aus Griechenland

Dies in Verbindung mit dem an seiner Rückseite sehr dekorativ ausgearbeiteten Abzug, der in dieser Form an montenegrinisch/albanischen Pistolen nicht bekannt ist, lässt nur den Schluss zu, dass der Auftraggeber für die vorliegende Pistole sicherlich kein Moslem, vielleicht auch kein Albaner oder Montenegriner, sondern eher ein Grieche gewesen sein muss. Dies wäre insbesondere deswegen denkbar, weil die Büchsenmacher in den Städten um die Bucht von Kotor auch Griechenland mit ihren Erzeugnissen beliefert haben.

Waffen allgegenwärtig

Im Gegensatz zum Osmanischen Reich, wo das Tragen von Waffen streng verboten war, war es in Montenegro und in Albanien üblich, ja bei der in beiden Ländern herrschenden Anarchie unabdingbar, außerhalb des Hauses Waffen zu tragen. Selbst der Gang zur Quelle zum Wasserholen oder zum Sammeln von Feuerholz war ohne Waffen absolut undenkbar. Die Jungen trugen Waffen ab dem Alter von zehn Jahren, und in Montenegro behielten Gäste und Freunde ihre Waffen am Mann, während man in Albanien das nicht so eng sah und die Waffen beim Gastgeber ablegte. Selbst Priester trugen Waffen, sie legten diese nur zum Gottesdienst ab und Mönche trugen schon alleine deswegen Waffen, weil sie in ihren Klöstern immer auf Übergriffe der Türken rechnen mussten. Deswegen gab es in den Klöstern auch meist Alarmkanonen und viele unterhielten ein regelrechtes Waffenarsenal mit einem Büchsenmacher. Im Gegensatz dazu verlangten die um die Bucht von Kotor liegenden Städte von ihren Besuchern, ihre Waffen am Stadttor abzugeben.

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Produktionsende

Die Fertigung der charakteristischen und höchst dekorativen Pistolen mit Miquelet- aber auch mit normalem Steinschloss aus Albanien und Montenegro lief bis in die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts. Erst um 1895 begann der in Zentraleuropa längst eingeführte Revolver die schönen und eindrucksvollen Vorderladerpistolen zu verdrängen. Heute jedoch sind die „Eiszapfen“ bei der weltweiten Sammlergilde wegen ihrer von zentraleuropäischen Normen abweichenden Formen, ihrer Verarbeitung und den dabei verwendeten Materialien höchst begehrte Stücke.



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