Gendarmerie-Pistole M an 9 für das Königreich Westphalen von Pistor aus Schmalkalden


Geschichte


Text Udo Lander

Machtpolitik

Das Königreich Westfalen war eine direkte Folge der für Preußen desaströsen Schlachten von Jena und Auerstädt 1806. Als Folge besetzten französische Truppen nicht nur große Teile Preußens, sondern auch das neutrale Kurfürstentum Hessen, das Königreich Hannover und das Herzogtum Braunschweig. Tragisch für das hessische Kurfürstentum war, dass es trotz seiner von Kaiser Napoleon anerkannten Neutralität auf dessen ausdrücklichen Befehl am 1. November 1806 durch General Mortier mit 20.000 Mann und dem mit 14.000 Mann vorrückenden König von Holland besetzt wurde. Der Kurfürst, welcher nur mit knapper Not der Gefangennahme entgehen konnte, wurde verjagt und seine Armee aufgelöst.

Im Frieden von Tilsit vom 9. Juli 1807 musste Preußen alle seine westlich der Elbe liegenden Territorien abtreten. Aus diesen Gebieten sowie aus dem Kurfürstentum Hessen, Teilen von Hannover und dem ganzen Herzogtum Braunschweig bildete Napoleon nun per Dekret vom 14. August desselben Jahres das Königreich Westfalen, welches er seinem jüngsten Bruder Jérome verlieh. Dieser traf am 7. Dezember 1807 in seiner Residenz Kassel ein und übernahm die Regierung.

Knallhart

Eine der ersten Bemühungen des jungen Staates galt der Organisation einer schlagkräftigen und feldbrauchbaren Armee. Der Artikel 5 der Landesverfassung gab dazu die kaiserliche Legitimation:

„Das Königreich Westfalen macht einen Theil des Rheinischen Bundes aus. Sein Kontingent soll aus 25.000 Mann wirklich diensttuender Soldaten von Waffen aller Art bestehen, nämlich 20.000 Mann Infanterie, 3.500 Mann Kavallerie und 1.500 Mann Artillerie“.

Mit diesem Artikel 5 hatte Napoleon mit der ihm eigenen Dynamik dafür gesorgt, das königlich westfälische Heerwesen den kaiserlich französischen Erfordernissen und Interessen anzupassen. Rechnete man die notwendigen Depots und die Truppe für den inneren Dienst in der Stärke von ca. 10.000 Mann dazu, so betrug die zu unterhaltende Armee im Königreich rund 36.000 Mann – bei wenig mehr als 2 Millionen Einwohnern.

Es verwundert daher nicht, dass trotz strengster Strafen massenhafte Desertion an der Tagesordnung war, doch blieb diese Erscheinung nicht ohne Gegenmaßnahme: Am 29. Januar 1808 wurde im Rahmen der Truppen für den inneren Dienst eine Gendarmerie-Legion errichtet, deren vornehmste Aufgabe neben der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Jagd nach Fahnenflüchtigen und Deserteuren war. In der ersten Zeit setzte sich diese Truppe nur aus Franzosen zusammen, doch nach Zwischenfällen mit der heimischen Bevölkerung versuchte man größtenteils deutsche Gendarmen zu rekrutieren. Trotz allem aber war diese Gendarmerie in der Bevölkerung gehasst und gefürchtet.

Die Gendarmerie-Legion war nach französischem Vorbild dem westfälischen Kriegsministerium unterstellt. Sie bestand aus einem in Kassel residierenden Chef, vier Hauptleuten, vier Leutnants, einem Unterleutnant, acht Wachtmeistern, 31 Brigadiers, 93 Gendarmen und zwei Trompetern. Ihre Stärke betrug demnach insgesamt 144 Mann. Jedoch schon 1811 war die Truppe auf 25 Offiziere und 910 Unteroffiziere und Mannschaften angewachsen.

In der Hauptstadt jedes der acht Departements des Königreichs war ein Offizier und ein Wachtmeister, in jedem Hauptort jeden Distrikts waren ein bis zwei Brigaden stationiert welche jeweils aus einem Brigadier und drei Gendarmen bestanden.

Bewaffnung

Die Waffenausrüstung dieser westfälischen Gendarmen, so ist anzunehmen, war derjenigen der französischen Gendarmerie angeglichen und bestand bei den beritten ihren Dienst versehenden Gendarmen aus einem Säbel der leichten Kavallerie, zwei Gendarmerie-Pistolen und einem Karabiner. Karabiner und Pistolen entsprachen den jeweiligen französischen Ordonnanzmodellen M an 9.

Pistolen aus heimischer Produktion

In der ersten Zeit nach der Errichtung der Gendarmerie-Legion hat man die notwendige Ausstattung der Legion, insbesondere aber die erforderlichen Waffen aus den französischen Staatsmanufakturen beschafft. Doch in den Folgejahren, nachdem die im westfälischen Herrschaftsgebiet liegenden Waffenfabriken von Pistor in Schmalkalden und Crause in Herzberg auf die Produktion französischer Ordonnanzwaffen umgestellt war, konnten die Waffenlieferungen aus diesen Betrieben sichergestellt werden.

Die bei Pistor in Schmalkalden gefertigten Gendarmeriepistolen unterscheiden sich vom französischen Pendant weniger in den Dimensionen, als vielmehr im äußeren Habitus. Während die hier bildlich vorgestellte und in der Manufaktur Maubeuge gefertigte Pistole einen fast schon zierlichen Touch hat, gibt sich das Pistor’sche Produkt weit kräftiger und massiver, wenngleich der Gewichtsunterschied eher gering ist. Zurückzuführen dürfte dieser trügerische optische Eindruck auf den etwas voluminöseren Kolben, vor allem aber auf den doch recht charakteristischen Laufring sein, welcher sich durch seinen weit nach unten ausgezogenen Ladestocktrichter erheblich vom französischen Vorbild unterscheidet.

Auch die in der Gewehrfabrik Herzberg unter dem Unternehmer Crause für das Königreich Westfalen gefertigten Gendarmeriepistolen besitzen diesen auffälligen Laufring mit dem ausladenden Ladestocktrichter. Deren Schlossbleche aber sind mit dem bekrönten Monogramm des Königs „JN“ für Jérôme Napoléon und dem Stempel „St“ des in Herzberg tätigen Endkontrolleurs und Revisors August Störmer versehen. Dieser war im Zeitraum vom 24. Juni 1808 bis September 1813 für die Endabnahme der in Herzberg für Westfalen gefertigten Waffen zuständig.

„Pistor“ gegen „JN“

Völlig unklar ist, warum nur die Herzberger Pistolen, aber auch die dort gefertigten Gewehre und Kavalleriepistolen das königliche Monogramm „JN“ auf dem Schlossblech tragen, nicht hingegen die Produkte aus der Gewehrfabrik Pistor in Schmalkalden. Bei diesen findet sich - wie vor und auch nach der Franzosenzeit - generell nur der Namenszug des Firmeninhabers. Die Aufforderung zur Anbringung dieses Monogramms auf dem Schlossblech war sicherlich nicht offiziell und schon gar nicht von König Jérôme selbst. Denkbar ist vielmehr, dass die Anbringung des königlichen Monogramms auf die Eigeninitiative von Crause in Herzberg zurückzuführen ist, der sich damit beim König einen Vorteil gegenüber Pistor verschaffen und so weitergehende Aufträge erwirken wollte. Vielleicht war es aber auch nur alte Gewohnheit: Crause war aus der Hannoveraner Zeit durchaus gewohnt, die entsprechenden Herrschermonogramme auf den Schlossblechen seiner Militärwaffen anzubringen.

Stückzahlen

Die von der Gewehrfabrik Pistor in Schmalkalden und von der Firma Crause in Herzberg gelieferte Stückzahl an Gendarmeriepistolen ist zwar nirgendwo überliefert, doch ergibt sie sich zwangsläufig aus der Gesamtstärke der westfälischen Gendarmerielegion. Für 910 Unteroffiziere und Mannschaften dürften bei paarweiser Ausstattung insgesamt etwa 1.820, mit einer gewissen Reserve etwa 2.000 Pistolen gefertigt worden sein. Wie viele davon jeweils in Herzberg und Schmalkalden hergestellt wurden, geht aus den vorhandenen Unterlagen leider nicht hervor. Diese für Militärwaffen recht geringe Produktionszahl erklärt natürlich die heutige Seltenheit dieser Stücke, die sowohl für Liebhaber deutscher wie französisch-napoleonischer Ordonnanzwaffen ihren Reiz haben.


Die hier vorgestellte Pistole wurde uns von der

Kunst- und Waffenkammer (https://www.kunst-waffenkammer.de/)

Brücklespfad 9

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Tel.: +49 (0) 7066-6849

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