Nassauisches Schützengewehr M 1862


Geschichte


Textauszüge aus Horst Friedrich "Unter Nassaus Fahnen"

Die Nassauische Infanterie bestand im Jahr 1860, nachdem 1855 ein Jägerbataillon neu errichtet und die Regimentsformation wieder eingeführt wurde, aus 2 Infanterieregimenten zu 2 Bataillonen mit je 4 Linien- und 1 Schützen-Kompanie (1020 Streitbare) und 1 Jägerbataillon mit 5 Kompanien (809 Streitbare); zusammen 5 Bataillone mit 4941 Streitbaren.

Bereits vor 1855 waren das Jägerbataillon und die Schützenkompanien mit gezogenen Gewehren nach Minie ausgerüstet. Diese Gewehre mit ehemals glatten Rohren waren zunächst nach Delvigne als auch nach Thouvenin umgeändert; die Stifte der letzteren wurden 1854 entfernt. Die Gewehre der Linieninfanterie und die vorrätig gehaltenen Gewehre waren noch glatt und im Kaliber mit den gezogenen Gewehren. Diese glatten Gewehre, insgesamt 3347, wurden 1859 auch in gezogene umgeändert, so war die gesamte Infanterie mit einer vollständigen Garnitur gezogener Gewehre ausgerüstet.

Nassauische Infanterist im Feldzug 1866 mit dem Infanteriegewer M 1862
Bei der nun folgenden Anschaffung einer zweiten Garnitur neuer gezogener Gewehre entschied man sich für ein Modell mit dem kleineren Kaliber (13,9 mm) welches schon bei den süddeutschen Staaten und in Österreich eingeführt war. Das speziell für Nassau gefertigte Gewehr M 1862 wurde in Suhl in 5 Varianten hergestellt. Es waren dies das Liniengewehr, das Schützengewehr, das Jägergewehr und der Karabiner. Bei 10% der Jägergewehre wurden Stecher eingebaut, was letztlich die 5. Variante darstellt.

Im Frühjahr 1864 war die Ausstattung mit dem neuen Gewehr des Musters 1862, wie es im Unterrichtsleitfaden benannt wird, für alle Truppenteile abgeschlossen.

Das System basiert auf der Konstruktion des Oberst von Podewils, Direktor der königlich bayerischen Gewehrfabrik Amberg. Besonderes Merkmal ist das sogenannte Patent, auch Patentschwanzschraube genannt, mit Zündstollen und Haken. Das Patent ist in das Rohr eingeschraubt und hat nicht nur die Aufgabe dasselbe wie üblich im hinteren Bereich zu verschließen, sondern insbesondere einen Teil der Pulverladung in sich aufzunehmen. Die geschieht in einer Bohrung, gewissermaßen eine Pulverkammer, die mit der Rohrachse übereinstimmt und durchmessergleich mit der entsprechenden Aushöhlung im Geschossboden ist. Am Ende dieser Bohrung befindet sich rechtwinklich der Zündkanal, welcher die Verbindung zum Piston herstellt, das in den Zündstollen eingeschraubt ist. Der Zündkanal tritt aus dem Zündstollen heraus und ist mit einer Schraube, der Reinigungsschraube, verschlossen. Die Entzündung und Verbrennung des Pulvers erfolgen so gleichmäßig und unmittelbar, wobei es zu einer schnellen und besten Ausnutzung der Pulverladung kam. Durch die fast zylindrische Aushöhlung im Geschossboden wurde das Geschoss kräftig in die Züge und Felder eingepresst und Treibgasverluste weitgehend ausgeräumt. Dieser Vorgang wirkte sich selbstverständlich auf die Geschossgeschwindigkeit, die Reichweite und letztlich auch auf die Treffgenauigkeit aus.

Mit Recht wird das Vorderladergewehr mit dem Podewils-System als das für die damalige Zeit modernste bezeichnet.

Die Gewindebohrung des Pistons im Zündstollen reicht in den Zündkanal, der wiederum im rechten Winkel auf den Boden des zentralen Kanals des Patents trifft. Durch die Kanalschraube ist der Zündkanal nach außen verschlossen.

Mit dem haken wird das Rohr in die Hakenscheibe oder auch Basküle, die über die entsprechende Ausnehmung verfügt und im Schaft verschraubt ist, eingehängt. Als eine weitere bedeutende Erneuerung ist das verkleinerte Kaliber zu nennen. Das anfangs bei den Vorderladerwaffen gebräuchliche Kaliber von rund 17,5 mm ist hier auf ein Geschosskaliber von 13,6 mm reduziert. Somit besteht eine Kalibergleichheit mit den Gewehrmodellen des Kaiserreiches Österreich, der Königreiche Bayern, Württemberg und Sachsen sowie der Großherzogtümer Baden und Hessen. Ein Austausch und Verwendung der Munition untereinander ist daher durchaus möglich. Hieraus resultiert auch die Bezeichnung „Vereinsgewehr“.

Ausgangsbasis für alle Ausführungen war das Liniengewehr. Das Rohr aus Gussstahl ist mit vier Zügen im Rechtsdrall versehen. Die Dralllänge beträgt 660 mm bei der Rohrlänge des Liniengewehrs von 1000 mm mit der Patentschwanzschraube, beim Karabiner und dem Jägergewehr 500 mm. Das Zugmaß umfasst 14,38 mm bis 14,46 mm, das Feldkaliber 13,86 mm. Der Spielraum, welcher durch das von 0,26 bis 0,36 mm schwächere Kugelkaliber entsteht, ist erforderlich, um das mit Papier umhüllte Geschoss leicht laden zu können. Zugleich wird auch gewährleistet, dass bei längerem Gebrauch trotz Pulverablagerungen das Laden nicht erschwert wird.

Das kalibergleiche Rohr ist lediglich im Bereich vor der Pulverkammer unauffällig erweitert, damit das Geschoss auch bei abgelagerten Pulverresten bis zur Kammer geschoben werden kann. Dieser Bereich wird als „Fall“ bezeichnet. Im Außenbereich ist hier das Rohr auf eine Länge von ca. 140 mm achtkantig gearbeitet und innerhalb des Schaftbettes abgerundet. Am Ende des Achtkantes befindet sich der hart aufgelötete Visierstuhl mit seiner schwalbenschwanzartigen Ausnehmung zur Aufnahme des Visierfußes. Ebenfalls hart aufgelötet ist der Kornfuß zur Aufnahme des Eisenkorns.

Der aus Nussbaumholz gefertigte Schaft verfügt bei allen Ausführungen über ein gerundetes Backenstück auf der linken Kolbenseite. Die Kolbenplatte ist zum festen Sitz in der Schulter merklich ausgeschweift.

Die beiden Infanteriemodelle verfügen im Bereich des Vorderschaftes über einen Unter- und Mittelring, letzterer mit der Riemenöse und den Obering mit der Ladestockpfeife nach österreichischem Vorbild.

Das Visier besteht aus dem Visierfuß mit U-förmiger Klappe und zwei Befestigungsschrauben sowie dem Springkegel und Feder zur Arretierung der aufgestellten Klappe für eine Schussdistanz von 400 Schritt. Das Standvisier ist für die Schussentfernung von 200 Schritt ausgelegt.

Das Schloss, bei dem es sich übrigens um ein Kettenschloss handelt, ist mit nur einer Schlossschraube im Schaft befestigt. Zur Schonung des Schaftholzes ruht der Kopf der Schraube in einem eingelassenen Seitenplättchen. Entgegen den genannten Vereinsgewehrmodellen der anderen Staaten hat die Nuss des nassauischen Modells nur eine Spannrast, also keine Sicherheitsrast. Der richtige Abzugswiderstand wird mit 9 Pfund angegeben. Der Hahnsporn ist zur besseren Handhabung mit griffigen kreuzförmigen Einschnitten versehen.

Der aus Stahl gefertigte federharte Ladestock ist größtenteils in der Ladestocknut des Vorderschaftes freiliegend und wird durch die Ringe und insbesondere durch die Ladestockwade in der Pfeife des Oberrings gehalten. Im hinteren Bereich ist der Ladestock mit einem Gewinde zur Aufnahme des Kugelziehers und Wischkolbens versehen. Der nahezu kalibergleiche Setzkopf ist mit einem Messingmantel umgeben und an der vorderen Fläche leicht ausgehöhlt. Im Setzkopf befindet sich eine kleine Bohrung zum Durchstecken eines Stiftes um das Auf- und bzw. Abschrauben des Kugelziehers und Wischkolbens zu erleichtern. Die drei Laufringe werden durch ihre Federn gehalten, Unter- und Mittelring werden hierdurch gesperrt, währen der Oberring durch den Federzapfen gehalten wird. Der untere Riemenbügel befindet sich unmittelbar vor dem Abzugsbügel.

Das Schützengewehr unterscheidet sich von dem Liniengewehr lediglich durch das Visier. Dasselbe besteht aus dem Visierkasten mit Fuß, der Klappe, der Feder und drei Schrauben. Am Visierfuß ist auf jeder Seite ein bogenförmiger Backen. Der linke ist auf der Außenseite und der hinteren Stirnfläche mit einer Gradeinteilung von 200 bis 1000 Schritt zur Einstellung der zwischen den Backen beweglichen Klappe versehen. Der rechte Backen verfügt über einen bogenförmigen Schlitz, in dem sich die auf die Klappe wirkende Verbindung mit der kleinen Blattfeder zu deren Feststellung dient. In der Aufbiegung der Klappe befindet sich die scharfkantige und nach vorn ausgemuschelte Kimme.

Mit dieser Bewaffnung zogen die Nassauer dann 1866 in den Krieg. Die Brigade nahm an den Kämpfender Bundestruppen und Österreich gegen Preußen teil, was mit der Annexion durch Preußen am 3. Oktober 1866 endete, und somit das Ende des Herzogtums Nassau bedeutete.

Die von den Preußen erbeuteten kleinkalibrigen nassauischen Gewehre wurden mit Ausnahme der Karabiner zu Defensionsgewehren auf das System Dreyse umgebaut. Nach Angaben von Lehmann (Lehmann, Gustav: Die Mobilmachung von 1870/71, Berlin, 1903, Seite 235) waren am 15. Juli 1870 32 Defensionsgewehre NA/M (Nassauisches Modell)bei der Truppe und 4515 im Artillerie-Depot.



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