Die französische Kavalleriepistole M 1822 für Offiziere
Geschichte
Text Udo Lander
Die schier unendlichen Feldzüge während der napoleonischen Herrschaft mit ihren gewaltigen Verlusten an Menschen und Material hatten Frankreich wirtschaftlich und gesellschaftlichen an den Rand des Ruins getrieben. Nach dem Sturz Napoleons war somit Sparsamkeit das Gebot der Stunde und der politische Nachfolger Bonapartes sah sich gezwungen, mit den nur noch dürftig vorhandenen Staatsfinanzen sehr behutsam umzugehen.
Eine der Folgen daraus war, daß König Ludwig XVIII. nach seiner erneuten Rückkehr auf den französischen Thron im Jahre 1815 seinen militärischen Hofstaat, das "Maison du Roi", der finanziellen Zwangslage anpassen musste: Ein königlicher Erlass reduzierte die Gesamtstärke, und die während der "Hundert Tage" normierten, sehr prächtig gearbeiteten Pistolen für die Garde du Corps wurden ab sofort nur noch in deutlich vereinfachter Form weitergefertigt.
Eine Alte Bekannte bei der Linie
Neben der Pistolenausstattung der Garden galt es insbesondere aber auch das weit schwerwiegendere Bewaffnungsproblem bei der Linien-Kavallerie zu lösen.
In Anbetracht der Ausstattung mit Faustfeuerwaffen konnte man hier aber wenigstens auf ein über lange Jahre hinweg und in vielen Schlachten verwendetes Pistolenmuster zurückgreifen. Die seit 1806 durch die französischen Staatsmanufakturen in für damalige Verhältnisse gewaltigen Mengen produzierte Kavalleriepistole M an 13 war noch immer das Maß der Dinge. Und da beim Neubeginn der Bourbonenära im Jahr 1815 noch kein moderneres oder etwa verbessertes Pistolenmodell in Sicht war, ging die Fertigung der Pistole M an 13 in den Manufakturen Versailles, St.Etienne, Charleville, Maubeuge und Mutzig weiter bis zum Jahr 1818. In dieser Zeit wurden insgesamt nochmals 3633 Pistolenpaare des Modells An 13 hergestellt.
Neue Ideen
Neben dieser Produktion waren aber schon seit 1816 von Seiten des Kriegsministeriums Bestrebungen zur Entwicklung eines neuen Pistolenmusters im Gange. Hintergrund dafür war, daß sich die in den vergangenen Kriegen gemachten, oft negativen Erfahrungen nun in massiver Kritik niederschlugen, die sich hauptsächlich auf die überproportionale Versagerquote des Zündsystems M an9/13 bezog.
Da man das Phänomen der hohen Zündversagerquote schon seit 1806 kannte und immer wieder untersucht hatte, war man schließlich zu der Erkenntnis gekommen, daß die Schuld für die hohe Versagerquote in der nicht optimalen Anordnung des Schlosses im Verhältnis zu Schaft und Lauf und nicht zuletzt in der Qualität des verwendeten Pulvers zu suchen war. Grundsätzlich hielt man es daher für erforderlich, generell vom Schloss-System M an 9/13 wegzukommen und hier andere Wege zu gehen. Dies hatte man beim Comité de l'Artillerie klar erkannt und man bemühte sich deshalb sehr intensiv um die Verbesserung der Feuerwaffenrüstung der französischen Armee und damit auch der Steinschlosspistolen.
Militärische Forderungen
Zuerst stellte das Comité die Forderung auf, das Geschosskaliber zu verringern. Man einigte sich auf eine wenn auch minimale Kaliberreduzierung von 19 auf 20 Kugeln auf ein Pfund für das neu zu schaffende Pistolenmodell. Hintergrund dafür dürften Beschwerden über einen zu hohen, die Treffleistung der Pistole M an 13 negativ beeinflussenden Rückstoß gewesen sein: Die minimale Kaliberreduzierung des Geschosses bei gleichzeitiger Beibehaltung des Laufkalibers vergrößerte zwangsläufig den Raum zwischen Geschoss und Laufwand, durch den nun etwas mehr Treibgas als bisher ungenutzt über die Mündung entweichen konnte. Durch diese Maßnahme sollte bei gleichbleibender Pulverladung der unerwünschte, starke Rückstoß ausgeglichen werden.
Daneben sah man für die neue Waffe einen drehbaren Kolbenring vor, mit dessen Hilfe die Pistole im Gefecht besser vor Verlust zu schützen war, da man sie nun mit einem Fangriemen am Sattel befestigen konnte. Weiterhin sollte der Laufring das vordere Schaftende mit Ausnahme des Durchgangs für den Ladestock komplett umfassen. Schließlich wurde die Aufhängung des bisher im Schaft verstifteten Abzugs dahingehend geändert, daß dieser beim neuen Muster zwischen zwei auf dem Unterbügel stehenden Stegen beweglich eingehängt war, was in der Folge deutlich zur Schaftschonung beim Zerlegen der Waffe beitrug.
Verbesserungen am Schloss
Die wesentlichsten Neuerungen aber sollten letztendlich das Schloss betreffen und diese hingen direkt mit dem Bemühen um die Verringerung der bisher hohen Zündversagerquote zusammen:
Die projektierte Messingpfanne stand nun weitaus waagrechter, als dies beim System M an9/13 der Fall war und sie hatte auf der Hahnseite zum Schutz des Schützen einen deutlichen Feuerschirm. Dieser Feuerschirm war bisher bei Pfannen des Schloss-Systems an9/13 unnötig gewesen, da bei diesem System die Pfanne zum einen zur Mündungsseite hin etwas gekippt, also schräg nach vorne angebracht war, so daß der hinten hochstehende Rand der Pfanne die Funktion des Feuerschirms übernahm. Die Batterie beim neuen System dagegen hatte man so konstruiert, daß der Feuerstein in einem deutlich flacheren Winkel auf die Schlagfläche auftraf. Davon versprach man sich kräftigere Zündfunken. Und letztlich hatte man für die neue Waffe nicht mehr ein zylindrisches, sondern von der Pfannenseite zum Laufinnern hin konisches oder trichterförmiges Zündloch vorgesehen, welches zusätzlich zur Pfanne hin geneigt gebohrt war. Zusammen mit der horizontal angebrachten Pfanne gewährleistete diese Konstruktion natürlich eine deutliche Verbesserung bei der Übertragung des Feuers von der Pfanne in das Laufinnere zur Treibladung.
Alle diese Maßnahmen zusammengenommen führten schließlich in den entsprechenden Versuchen zu einer Reduzierung der Zündversagerquote um ca. 50 Prozent.
Mit den gegenüber dem alten System M an 9/13 konstruktiv/mechanischen Verbesserungen des Systems M 1816 war es gelungen, die Zündversagerquote um ungefähr die Hälfte zu verringern. Eine weitere Reduzierung, so hatte man beim Comité de l'Artillerie klar erkannt, war nun nur noch mit Hilfe der Verwendung eines neuen Pulvers möglich.
Bereits im Jahre 1818 hatte das Comité begonnen, Versuche mit einem speziell für die Handfeuerwaffen entwickelten Pulver durchzuführen, die sich vermutlich bis zum Jahr 1822 hinzogen. Dieses neue Pulver war von weit feinerer Konsistenz als das bisher bei den Gewehren, Karabinern und Pistolen verwendete. Da eine feinere Körnung auf Grund der viel größeren Oberfläche zwangsläufig eine gesteigerte Zündwilligkeit, aber auch eine deutlich größere Brisanz bedeutete, wurden bei den Handfeuerwaffen, so auch bei den Pistolen, geringe konstruktive Änderungen notwendig.
Wie die Modellangabe auf der Verlängerungen der Schwanzschraube dieser auf dem neuesten Stand der damaligen Technik stehenden Waffe angibt, wurde das neue Pistolenmodell offensichtlich im Jahr 1822 normiert - maximal ein bis zwei Jahre nach Start der Serienfertigung des Modells M 1816! Damit ist die Kavalleriepistole M 1822, wenn man es genau nimmt, die letzte Steinschlosspistole der französischen Armee. Mit ihrer Normierung wurde eine lange Reihe erfolgreicher oder weniger erfolgreicher Konstruktionen zum Abschluss gebracht, die mit der Ordonnanzpistole M 1733 begonnen hatte.
Die Unterschiede zu ihrem Vorgängermodell sind mit Ausnahme der Beschriftung auf der Verlängerung der Schwanzschraube jedoch nur bei ganz genauem Hinsehen erkennbar.
Der kleine Unterschied
Das einzige von außen sofort erkennbare Unterscheidungsmerkmal ist eine im oberen Bereich der Schlagfläche leicht nach vorne abgewinkelte Batterie. Darüber hinaus besitzen die Pistolen des Modells 1822 eine um 0,7mm tiefer ausgehöhlte Pfanne, was natürlich ein etwas größeres Quantum an Zündpulver erlaubte. Schließlich wurde das Zündloch der Pistolen M 1822, das im übrigen immer noch von außen nach innen trichterförmig verlief, am Eingang mit geringfügig kleinerem Durchmesser gebohrt. Mit dieser Maßnahme konnte man, so war beabsichtigt, einen gebündelteren Zündstrahl erreichen, was zum einen eine sicherere Zündung der Treibladung gewährleistete. Andererseits verhinderte dieser gebündelte Zündstrahl in Verbindung mit der minimal größeren Menge an Zündpulver in der Pfanne ein allzu zeitiges Verkrusten und Verstopfen des Zündkanals, ein Phänomen, welches hauptursächlich für die hohe Zündversagerquote beim System M an 9/13 gewesen war.
Eine letzte Änderung gegenüber dem Modell 1816 ist nur schwer zu erkennen und bezog sich auf die Messingbeschlagteile. Deren Stärke wurde auf 1,5mm reduziert und somit die Pistole insgesamt um ein weniges leichter.
Mit der Kavalleriepistole M 1822 hatte die französische Kavallerie eine Waffe bekommen, die innerhalb der europäischen Staaten ihresgleichen suchte. Sie war vom technischen Standpunkt her gesehen nahezu ultramodern und auf dem absolut neuesten Stand der Technik. Dies wird ganz besonders dann deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß erst ein Jahr nach Normierung der französischen Pistole M 1822 das preußische Kriegsministerium die Steinschlosspistole M 1823 zum Modell erhob, die im Großen und Ganzen nur eine recht simple Kopie der in Frankreich längst zum alten Eisen gehörenden Pistole M an 9 war.
Wieder einmal hatte Frankreich seine Führungsrolle in der Waffentechnologie auf sehr deutliche Weise dokumentiert, eine Rolle, die es mit der Einführung der Systeme M 1763/66 übernommen und seither nicht mehr abgegeben hatte - und noch war ein Wechsel nicht in Sicht!
Dieser Führungsanspruch wurde schließlich noch dadurch untermauert, daß Frankreich sich den Luxus leistete, bereits mit der Normierung der Kavalleriepistole M 1816 eine systemgleiche, jedoch von der Ausführung her wesentlich aufwendigere Pistole für die Offiziere der Kavallerie und generell für alle berittenen Offiziere der Armee einzuführen. Genau betrachtet sind erste Pläne hierzu jedoch bereits in die Zeit des Premier Empire zu datieren, ihre Ausführung aber dürfte durch die kriegerischen Ereignisse jener Zeit verhindert worden sein.
Offizierpistole M 1816 und M 1822
Schon in der Kaiserzeit hat man sich bemüht, für Offiziere eine besondere Pistolenausrüstung zu schaffen. So ist ein Paar Pistolen M 1811 aus der Manufaktur Charleville bekannt, die ein Schloss Modell an 9 besaßen und die Form der späteren Offizierpistole M 1816 vorwegnahm. Doch erst die in größeren Stückzahlen produzierten Offizierpistolen M 1816 waren die ersten echten Offizierpistolen der französischen Armee. Da sie sich schlosstechnisch vom entsprechenden Truppenmodell M 1816 nicht unterschieden, erübrigt sich eine diesbezügliche Beschreibung. Sicherlich, so werden manche Sammler einwenden, hat es vom Pistolenmodell 1763/66 und 1777 spezielle Versionen für Offiziere gegeben, doch waren diese etwas aufwendiger verarbeiteten Waffen, wenn man ihre begrenzten Produktionszahlen betrachtet, nur von sehr untergeordneter Bedeutung. Vor allem aber waren die Offizierpistolen aus der Zeit vor der Revolution keine eigenständigen Muster; sie folgten in nahezu allen Details mehr oder weniger den normalen Truppenmodellen.
Mit den Offizierpistolen M 1816 und M 1822 aber hat man zum erstenmal wirklich eigenständige Waffen für die berittenen Offiziere geschaffen, eine Entwicklung, die in der Zukunft noch bis zur Einführung des Offizierrevolvers M 1874 beibehalten werden sollte. Eines aber war allen Offizierwaffen gemeinsam: Der Kundenkreis, für den diese luxuriösen Stücke konzipiert wurden, waren gehalten, ihre Waffenausrüstung und so auch die Pistolen aus der eigenen Tasche zu bezahlen, um 1820 immerhin 56.-FF für das Paar Offizierpistolen; die Truppenpistolen kosteten zum selben Zeitpunkt nur 36,40 FF!
Bemerkenswert ist, daß es mit Einführung des Offiziermodells 1816 und 1822 den Käufern freigestellt wurde, ob sie ihre Pistolen von einer staatlichen Manufaktur beziehen wollten, oder ob sie die möglicherweise luxuriösere, damit sicherlich aber auch teurere Variante eines zivilen Büchsenmachers vorzogen. Dieser Vorgang ist deswegen so bemerkenswert, weil eine solche Wahlmöglichkeit mit dem Wirksamwerden der vom König erlassenen Ordonnanzbestimmungen für die Waffen der Kavallerie im Jahre 1734 generell unterbunden worden war und jetzt zum erstenmal wieder gelockert wurde.
Sichergestellt sein musste im letzteren Fall aber die absolute Übereinstimmung der Zivilversion mit den geltenden Ordonnanzbestimmungen hinsichtlich der Dimensionen und der angewandten Technik. Daraus resultiert, daß heute Offizierpistolen M 1816/22 bekannt sind, deren Dekor sich im Detail von dem der Manufakturerzeugnisse mehr oder weniger unterscheidet. Konsequenterweise zeigen diese Pistolen aber auf dem Schlossblech nicht die bekannte Signatur einer der französischen Staatsmanufakturen, sondern die eines zivilen Büchsenmachers. Auch diese zivilen Waffen sind im eigentlichen Sinne jedoch als Ordonnanzwaffen zu bezeichnen, da sie in ihrer Grundkonstruktion den französischen Ordonnanzbestimmungen für die Pistolen der Offiziere M 1816/22 entsprechen mussten und auch tatsächlich entsprechen.
Abschließend bleibt festzustellen, dass die zu Beginn des 19. Jahrhunderts vom Staat für das französische Offizierkorps bereitgestellten Ordonnanzpistolen sicherlich mit zu den schönsten Militärwaffen gehören, die jemals hergestellt wurden.