Radschlosspuffer von Zacharias Herold, Dresden 1586-1618
Geschichte
Text: Udo Lander
Neben in Kriegszeiten angeworbenen und allein schon aus finanziellen Gründen zeitlich nur befristet präsenten Truppen unterhielten viele Landesherren, so auch der Kurfürst von Sachsen kleine Truppenteile meist in der Stärke weniger Kompanien am Hof, die sogenannten Leibgarden oder Trabanten. Im Gegensatz zu den Söldnertruppen und wohl hauptsächlich aus Gründen der Repräsentanz erhielten diese Hoftruppen einheitliche, also uniforme Kleidung, Schutz- und Handwaffen vom Kurfürsten gestellt und sie hatten ihrem Dienstherrn jederzeit zur Verfügung zu stehen.
Die sächsische Trabanten-Leibgarde zu Fuß
Diese fürstliche Leibwache, die auch in Kursachsen schon vor der Errichtung stehender Heere bestanden hat, unterteilte sich in Fußtruppen und Truppen zu Pferd, wobei die bewaffneten Fußtruppen zur Bewachung der fürstlichen Residenzen dienten.
Bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein und auch noch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts waren Luntenmusketen die vorherrschende, militärische Feuerwaffe der Fußsoldaten. Für eine Leibgarde, die für den Landesherren in den Schlössern präsent zu sein hatte, kamen derartige Waffen wegen der ständig glimmenden Lunte, insbesondere wegen deren strengem Geruch jedoch nicht in Frage. Ihre Waffen mussten ständig schussbereit sein und sich in Technik und vor allem Aussehen von der beim Militär üblichen Bewaffnung deutlich abheben. Waffen mit Radschlosszündung, die man problemlosgeladen und jederzeit schussbereit führen konnte, waren daher das Gebot der Stunde.
Die berittene Trabanten-Leibgarde
Die berittenen Leibgarden hingegen hatten den Kurfürsten auf Kriegszügen, auf Reisen von Residenz zu Residenz, zu Auslandsaufenthalten an andere Höfe oder bei Einberufungen an den Reichstag zu Regensburg zu begleiten.
Bei solchen Unternehmungen stand natürlich die lückenlose Bewachung der leiblichen Unversehrtheit des Kurfürsten an erster Stelle, an zweiter Stelle stand aber die durch prächtige Bekleidung, Ausrüstung und Bewaffnung deutlich zur Schau getragene Repräsentanz kurfürstlicher Macht und Würde.
Wann diese Leibgarde zu Pferd am sächsischen Hof errichtet wurde, ist leider nicht zu ermitteln, als sicher kann man jedoch annehmen, dass diese Truppe, die auch als „Hoffahne“ bezeichnet wurde, schon zur Regierungszeit von Kurfürst Moritz (1541-1553) bestanden hat und damals wohl aus dem Hofgesinde rekrutiert worden war. Unter seinem Nachfolger Kurfürst August (1553-1586) soll diese Garde immerhin 500 Mann stark gewesen sein, eine Stärke, die unter den nachfolgenden Kurfürsten Christian I. (1586-1591) und Christian II. (1591/1601-1611) zumindest beibehalten, wenn nicht gar vergrößert worden sein dürfte.
Der Hang zu verschwenderischem, pompösem Ambiente und prächtigster Darstellung absoluter Fürstenmacht war wohl auch der Hintergrund zur entsprechend prunkvollen Ausstattung und gleichförmigen Ausrüstung der sächsischen Leibgarde zu Pferd zur Zeit der sächsischen Kurfürsten Christian I. und Christian II. und damit neben anderen Requisiten auch zur Fertigung von ganz charakteristischen Radschlosspistolen für diese Truppe.
Die silbernen Applikationen, insbesondere aber der ins Auge stechende, vergoldete Raddeckel heben den vorliegenden Puffer aus der großen Zahl noch erhaltener, einfacherer Pistolen heraus, wenngleich dieses Detail keineswegs unikat ist. Es taucht an sächsischen Radschlosspistolen zum ersten Mal an einem Stück auf, welches der Dresdener Büchsenmacher Marx Wiedemann 1569, also zur Zeit der Regierung von Kurfürst August von Sachsen gefertigt hat.
Der genoppte Schaft
Das Hauptcharakteristikum vieler dieser Radschlosspuffer ist ihr mit sparsamen Beineinlagen versehener Noppenschaft, der, so ist zu vermuten, eine Art Hirschhornstruktur imitieren und gleichzeitig die Griffigkeit des Schaftes erhöhen sollte. Der Arbeitsvorgang zum Erreichen dieser Oberflächenstruktur sah folgendermaßen aus:
Zuerst fertigte man das Schaftholz mit einem gewissen Übermaß, dann schlug man mittels eines speziellen Werkzeuges, dessen Eindringtiefe begrenzt war, unzählige, gleichmäßig tiefe Löcher in den Schaft, deren Anbringung und Anzahl mit den späteren Noppen übereinstimmte. Danach wurde der Schaft um das Maß abgeschliffen, mit dem die späteren Noppen über dessen Niveau überstehen sollten. Schließlich wässerte man das Holz und nach und nach dehnte sich das in den unzähligen Löchern verdichtete Holz wieder in seine natürliche Lage zurück, welches sich nun, da nicht abgeschliffen, über das beschliffene Schaftniveau erhob: Der Schaft war jetzt übersäht mit deutlichen, feinen Noppen!
Eine weitere Besonderheit am Schaft der hier vorgestellten Pistole ist eine etwa 20mm breite und an der Unterseite des Vorderschafts angebrachte Beinschiene, die vom Schloss bis zum Eingang des Ladestockkanals reicht. Auf den ersten Blick erscheint ihr Zweck, wenn man von der Dekorationswirkung absieht, recht unklar. Bedenkt man aber, dass die berittenen Offiziere der Trabantenleibgarde neben einem Kürass sicherlich auch eiserne Armzeuge getragen haben und unterstellt man, dass die Pistolen zur besseren Zielerfassung zu Pferd möglicherweise auf den Armen aufgelegt wurden, wird die Funktion dieser Beinschiene zumindest theoretisch klar: Wahrscheinlich sollte sie den Vorderschaft vor Beschädigungen durch das Eisen schützen.
Kurfürstliche Aufträge an die Dresdener Büchsenmacher
Aus der Regierungszeit von Kurfürst Christian I., der Zeit der Regentschaft von Herzog Friedrich Wilhelm I. zu Sachsen-Weimar-Altenburg und der Zeit Christians II. von dessen Regierungsantritt 1601 bis 1611 sind heute noch zahlreiche, in etwa gleichartige sächsische Puffer in öffentlichen und privaten Sammlungen bekannt. Sie wurden von unterschiedlichen Dresdener Büchsenmachern gefertigt, darunter so berühmte Namen wie Steffan Schickradt, Bartel und David Wechter, Abraham, Christoph und Balthasar Dressler oder Zacharias Herold.
Das gemeinsame Charakteristikum dieser etwa bis 1603 gefertigten Pistolen ist immer der schwarze, genoppte Schaft mit einer großen Kolbenkugel und sehr oft das mit langen Spitzen dekorierte Mittelfeld der Läufe, wenngleich die Detailausführungen, insbesondere die Beineinlagen im Bereich der Laufstifte, Schlossschrauben und beiderseits des Schwanzschraubenblattes sowie die Ausführung der Radschlösser von Pistole zu Pistole durchaus unterschiedlich sein können. Diese unübersehbare Gleichartigkeit und Übereinstimmung in vielen Details lässt darauf schließen, dass es in der Zeit von 1586 bis etwa 1603 zumindest einen, wahrscheinlich aber mehrere kurfürstliche Großaufträge an Dresdener und im Umland ansässige Büchsenmacher zur Fertigung einheitlicher Feuerwaffen für die berittenen Garden gegeben hat.
Ab 1603, also kurz nach dem Regierungsantritt von Christian II., setzte sich schließlich eine völlig andere, fast gerade Schaftform mit Birnknauf und feinen Beinstegen an den Schaftkanten durch, deren beinahe standardisiert zu nennende Fertigung in stattlicher Zahl vermutlich auf Vorstellungen und Vorlieben des neuen Kurfürsten zurückzuführen sind. Ab dieser Zeit sind Puffer im alten Stil nicht mehr nachzuweisen!
Anfänge der Ordonnanzbewaffnung
Die generelle Einheitsform der sächsischen Radschlosspuffer mit schwarzem, etwas verbeintem Noppenschaft und großer Kolbenkugel setzte einen entsprechenden und vor allem allgemeingültigen Entwurf voraus, dem die beauftragten Büchsenmacher so weit wie technisch und praktisch möglich zu folgen hatten.
Diese Verfahrensweise führte nach dem Aufkommen stehender Heere und dem daraus resultierenden Zwang zur Einheitlichkeit in Ausbildung und Taktik rund 130 Jahre später in den französischen Gewehrfabriken zur arbeitsteiligen Produktion nach strengen, königlichen Vorgaben. Diese, von einem straffen und ausgeklügelten Qualitäts-Kontrollsystem begleitete Arbeitsweise gewährleistete die Homogenität in Bezug auf Ausführung, Güte und Kaliber der von nun an beim Militär verwendeten „Ordonnanz“-Waffen.
Unter diesem Aspekt muss man die sächsischen Radschlosspuffer der berittenen Leibgarde vom Ende des 16. bis in die ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts als die Vorläufer der militärischen Ordonnanzbewaffnung des 18. Jahrhunderts sehen. Sicherlich gab es bei der kurfürstlichen Leibgarde zu Pferd keinen Zwang zur Vereinheitlichung der Feuerwaffenausrüstung in Bezug auf Ausbildung und Taktik, dieses für den Begriff „Ordonnanzwaffe“ wichtige Kriterium wurde durch den fürstlichen Willen ersetzt. Die weiteren Kriterien, „gleichförmiges Muster“ und „landesherrliche Approbation“ sind ganz offensichtlich erfüllt worden.
Verwendung und Anschaffungskosten
Die recht aufwendige Ausführung der hier vorgestellten Pistole mit vergoldetem Raddeckel, vergoldetem Pfannendrücker in Form eines Löwenkopfes und Silbermedaillon an der Kolbenkugel nebst der gravierten Silbermanschette am Übergang von Schaft zu Kolbenkugel deutet darauf hin, dass es sich hier um die Waffe für einen höheren Dienstgrad innerhalb der Leibgarde zu Pferd handelt, also um eine Pistole für einen Offizier/Rottmeister. Die vergleichbaren, im Allgemeinen weit einfacher gehaltenen Mannschaftswaffen zeigen solche Details nicht, bzw. die an der vorliegenden Pistole in Silber gefertigten Teile sind dort allgemein aus Bein gearbeitet.
Der damalige Kaufpreis der hier vorgestellten Rottmeisterwaffe dürfte etwa 18 Reichstaler betragen haben, was im Vergleich zu den einfachen Mannschaftswaffen viel Geld war: Diese kosteten als Paar im Durchschnitt 15 bis 20 Reichstaler. Das hört sich nach heutigen Vorstellungen recht wenig an, wenn man jedoch bedenkt, dass 1667, also gerade mal 70 Jahre später ein Regensburger Zimmerermeister 20 Kreuzer am Tag, ein Taglöhner 12 Kreuzer erhielt, und wenn man dann noch weiß, dass ein Taler zu 100 Kreuzern gerechnet wurde, kann man den wahren Wert solcher Pistolen ermessen. Ein Pfund Rindfleisch kostete im Übrigen damals 4 Kreuzer, ein Abendessen mit Bier 2 Kreuzer und ein Weißbier 6 Pfennige (= 1½ Kreuzer). Daraus ergibt sich, dass man für einen Taler 50 und für den Preis eines Radschlosspuffers in Offizierausführung 900 Abendessen mit Bier kaufen konnte.
Wenn man diese Preise auf die aktuellen Verhältnisse hochrechnet und wenn man von einem heutigen Abendessen mit Getränk von durchschnittlich 20.- € ausgeht, dann ergibt sich für 900 Abendessen mit Getränk ein Wert von 18.000.-€, was bei paarweiser Ausstattung mit solchen Pistolen immerhin 36.000.- € bedeutet. Damit erhalten diese Radschlosswaffen plötzlich einen ganz anderen Stellenwert!