Miqueletpistole aus der Manufattura Reale di Napoli, 1768


Geschichte


Text: Udo Lander

Ripoll und Neapel

Dieser Artikel befasst sich mit einem recht außergewöhnlichen Pistolentyp aus der Zeit um 1750, den die meisten Sammler historischer Waffen zwar kennen, der aber immer wieder Probleme macht, wenn es darum geht, seine Herkunft exakt zu bestimmen.

Diese sehr individuelle Pistolenart war zunächst typisch für die Produkte aus der katalanischen Stadt Ripoll, welches sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem recht berühmten Zentrum des Feuerwaffengewerbes entwickelt hatte, wo zeitweise achtzig Büchsenmachermeister mit den entsprechenden Gesellen und Lehrlingen arbeiteten.

Typisches

Das charakteristische Merkmal dieses in Ripoll entwickelten Pistolentyps, welcher wohl auch zeitgleich in Eibar in der Provinz Gipuzkoa im Baskenland hergestellt wurde, ist seine etwas merkwürdige Schaftform mit im Verhältnis zu Lauf und Vorderschaft zu kurz erscheinendem Kolben und daran befestigter Knaufkugel.

Bemerkenswert an dieser Pistolenkonstruktion ist ihr Abzugsbügel: Zum einen ist dieser recht lang und hat hinten einen ausgeprägten Fingersporn. Dadurch wird gewährleistet, dass die Pistole trotz des kurzen Kolbens sehr gut in der Hand liegt. Zum andern ist der Abzugsbügel vorne mittels eines verlängerten Gewindebolzens befestigt, der von unten nach oben durch den Kolben verläuft und schließlich von unten in einem Gewindestück des Schwanzschraubenblattes mündet, so dass der Abzugsbügel gleichzeitig als Kreuzschraube dient. Auffallend am hier verwendeten Miqueletschloss à la catalana ist seine sehr kompakte, platzsparende Bauweise: Die Schlossplatte ist nur so groß, dass sie die mechanischen Schlosskomponenten gerade noch aufnehmen kann, nirgends wird Material oder Platz verschenkt, die Konturen der Schlossplatte folgen quasi den Formen der Anbauteile.

Stilexport

Eine den Pistolen aus Ripoll zwar im Wesentlichen typgleiche, dennoch in vielen Details völlig unterschiedliche Pistole zeigt auf dem Lauf den eindeutigen Hinweis auf ihren Entstehungsort Neapel.

Die für Mitteleuropäer mit nicht allzu tiefgründiger Geschichtskenntnis etwas befremdliche Tatsache, dass Spanisches in Neapel entstehen konnte, ist rasch aufgeklärt:

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurden Stadt und Königreich Neapel als Provinz dem spanisch-habsburgischen Weltreich angegliedert. Damit begann die Ära der spanischen Vizekönige von Neapel. Die spanischen Habsburger wurden 1707 durch die österreichischen Habsburger abgelöst. Dies änderte sich jedoch ab dem Jahre 1712, als die Bourbonen infolge des Spanischen Erbfolgekrieges den spanischen Thron erwarben und 1735 auch Süditalien von den Österreichern übernommen hatten.

Karl VII, welcher das neu entstandene Königreich beider Sizilien von 1735 bis 1759 regierte und danach von 1759 bis 1788 als Carlos III. in Spanien herrschte, befahl 1757 die Errichtung einer Waffenfabrik zu seiner Selbstversorgung. So entstand die „Reale Fabbrica die Napoli“ in Torre Annunziata in der näheren Umgebung von Neapel.

Nachdem Karl VII. das Königreich 1759 an seinen erst achtjährigen Sohn Ferdinand IV. übergeben hatte und die Arbeiten zur Errichtung der Gewehrfabrik beendet waren, konnte dort ab 1760 die Produktion beginnen. Da Ferdinand IV. zu diesem Zeitpunkt gerade mal acht oder neun Jahre alt war, dürfte sein Bedarf an Feuerwaffen zumindest zu diesem Zeitpunkt eher gering gewesen sein. Dass sich bei der Fertigung von Waffen in der königlichen Fabrik spanischer Einfluss und Geschmack in der Form der Schäfte und Dekoration der Beschläge durchsetzte, zumal die Handwerker für die Fabrik nicht in der Umgebung von Neapel, sondern wahrscheinlich in Spanien angeworben worden waren, ist dabei nur als natürlich anzusehen.

Hersteller?

Nun ist zwar auf Grund der mit Blattgold belegten Fabrikmarke auf dem Lauf bekannt, dass die vorliegende Pistole in der Königlichen Fabrik in Torre Annunziata bei Neapel gefertigt wurde. Auch das Herstellungsjahr ist durch die Art der Laufmarke nach Angabe des Neuen Stöckel S.1651 auf das Jahr 1768 zu datieren. Welcher Meister in der Fabrik aber für das schöne Stück verantwortlich zeichnete, ist leider nicht zu eruieren, da weder am Lauf noch am Schloss und auch nicht an den Beschlägen nur der geringste Hinweis zu finden ist. Gerade die in beinahe verschwenderischer Fülle angebrachten silbernen Beschläge in der hier vorliegenden Ausgestaltung mit bourbonischen Lilien und mythischen Tierdarstellungen in Verbindung mit floralen Motiven ist besonders typisch für die dortigen Arbeiten, tragen aber leider so gut wie nie ein Signat des Herstellers.

Grundlegend Unterschiedliches?

Um es von vornherein zu sagen: Wenn keine deutbaren Signaturen oder Marken an einer Pistole im Ripoll-Stil vorhanden sind, ist es sehr schwierig, oft sogar unmöglich, festzustellen, ob die Waffe in Süditalien oder in Spanien gefertigt wurde.

In der einschlägigen Literatur wird darauf hingewiesen, dass die Läufe der in Neapel hergestellten Pistolen im allgemeinen deutlich kürzer seien als die spanischen Pendants, was durchaus als Hilfe zur Bestimmung herangezogen werden kann.

Als weitere Identifizierungshilfe wird die Art und Weise angeboten, wie der Abzugsbügel an seinem hinteren Ende am Unterbügel befestigt ist. Behauptet wird, dass bei den italienischen Exemplaren der Verbindungssteg zwischen Abzugsbügel und Unterbügel nahezu im rechten Winkel auf den Unterbügel trifft, während die spanischen Pistolen hier einen eher spitzen Winkel zeigen. Dies mag zwar im Einzelfall durchaus der Tatsache entsprechen, doch die hier vorgestellte Pistole aus Neapel widerspricht dieser These sehr deutlich ist keinem der beiden Kriterien zuzuordnen

Ein hingegen sehr brauchbarer Hinweis auf den italienischen Ursprung einer Pistole ist der Hinweis, dass die Vorderschäfte der in Neapel produzierten Pistolen manchmal – wie beim vorliegenden Exemplar - beidseitig mit floralen Schnitzereien versehen sind, eine Dekoration, die an Ripollpistolen im allgemeinen nicht zu finden ist.


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