Herzogtum Sachsen-Altenburg, Infanteriegewehr M 1843
Geschichte
Text Udo Lander
Aufstellung des Altenburger Bataillons
Bereits seit 1815 war das Herzogtum Sachsen-Altenburg Mitglied im Deutschen Bund. Das von Altenburg zur Bundes-Armee zu stellende Militärkontingent und das der anderen sächsischen Herzogtümer hatte die Bundeskriegskommission der Reservedivision zugeteilt. Der Anteil, den das Herzogtum nach der herrschaftlich/dynastischen Neuordnung zu stellen hatte, belief sich dabei auf insgesamt 982 Mann Infanterie, die für den Kriegsfall als Besatzungstruppe in der Bundesfestung Mainz eingesetzt werden sollten. Hinzu kam nochmals die Hälfte der genannten Truppenzahl als Reserve und ein Sechstel der Truppenstärke als Ersatzmannschaft. Die Gestellung von Spezialeinheiten wie Artillerie und Pioniere oder sogar Kavallerie hatte man den sächsischen Herzogtümern, so auch Altenburg erlassen.
Das Altenburger Bataillon wurde dabei in drei Musketier-, eine Jäger- und eine Schützenkompanie eingeteilt und es unterstand seit Herbst 1827 dem „Herzoglichen Militair-Kollegium“.
Unter preußischer Aufsicht
Zum 3. Oktober 1835 erhielt das Altenburger Bataillon zum erstenmal einen Kommandeur, welcher aus preußischen Diensten nach Altenburg gekommen war, ein Faktum, welches in der Folgezeit generell beibehalten wurde: Alle nachfolgenden Kommandeure des Bataillons kamen ebenfalls aus preußischen Diensten und man hoffte damit, erfahrene Offiziere zu erhalten, zumal man sich in militärischen Dingen fast ausnahmslos an der preußischen Armee orientierte. Dies dokumentierte sich unter anderem auch an den für das Bataillon ab 1843 neu angeschafften Infanteriegewehren.
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Neue Gewehre für die Altenburger
Am 15. August 1840 wurde vom Kommandeur des Altenburger Infanterie-Bataillons darauf hingewiesen, dass der vorhandene Bestand an Gewehren keinesfalls mehr dem Standard der Bewaffnung der Nachbarstaaten entspräche und er empfahl daher dringend eine Neuanschaffung für das gesamte Kontingent.
Wie bei den meisten mitteldeutschen Streitkräften auch bevorzugte man in Sachsen-Altenburg eine Waffenausrüstung nach preußischen Vorbildern. Man entschied sich folglich für das momentan in der preußischen Armee eingeführte Gewehr M/39 und bestellte in der Gewehrfabrik Potsdam-Spandau ein solches Gewehr M/39, welches im November zusammen mit einer für Schießversuche ausreichenden Anzahl von Zündhütchen der Firma Dreyse & Collenbusch eintraf.
Die preußische Waffe konnte überzeugen und bereits im März 1841 hat man 800 glatte Perkussionsgewehre „nach preußischem Modell, aber sächsischer Art, Kaliber 0.67-0,68 Zoll, in der Patentschwanzschraube nur acht statt elf Gewindegängen“ bei der in Suhl ansässigen Firma Sauer & Sohn bestellt. Diese „sächsische Art“ bezog sich dabei zum einen auf den von den Altsuhler Infanteriegewehren Kursachsens her bekannten Abzugsbügel, welcher an seiner dem Kolben zugewandten Seite nach vorne eingerundet und somit beim Präsentieren besser zu halten war. Zum anderen bevorzugte man eine vom preußischen Vorbild abweichende, einfachere Bajonettaufpflanzvorrichtung in Form einer Warze an der Laufunterseite. Am hinteren Ende des Laufs sollte darüber hinaus der „SA“-Stempel in kursiver Schrift für „Sachsen-Altenburg“ angebracht werden. Der Preis pro Stück war auf 11 Taler 15 Neusilbergroschen vertraglich festgeschrieben worden..
Das Altenburger Infanteriegewehr M 1843, Versuch
Das vorliegende Gewehr entspricht bis auf die Form des Abzugsbügels und die Art der Bajonettaufpflanzung mittels Warze an der Laufunterseite weitgehend dem Muster des preußischen Infanteriegewehrs M/39. Wie die an der Waffe vorhandenen Kontrollstempel belegen, wurde diese von einem in Potsdam-Spandau tätigen Abnahmeoffizier der preußischen Gewehrprüfungskommission abgenommen. Sein Signum „Kr“ ist an unzähligen preußischen Handfeuerwaffen nachweisbar, jedoch blieb dieser bis heute namentlich unbekannt.
Bei dem hier gezeigten Stück dürfte es sich aber um eine veränderte Waffe handeln, welche zwar einen Visiersockel auf der Patenschanzschraube besitzt, der aber der Kimmeneinschnitt fehlt. Dafür sitzt ein Standvisier mit massivem Sockel weiter vorne auf dem Lauf. Die ursprüngliche Serienversion besaß nur eine Standkimme auf dem Schwanzschraubenblatt.
Nachbestellung in Suhl
Die revolutionären Bewegungen des Jahres 1848 gingen auch an Altenburg nicht spurlos vorbei. Von Tumulten geplagt, sandte man im September diesen Jahres ein Hilfeersuchen an das Frankfurter Parlament, dem zufolge Bundestruppen aufmarschierten und die öffentliche Ordnung wiederherstellten.
Im März 1849 begann man in Altenburg, möglicherweise angeregt durch die revolutionären Ereignisse des Vorjahres, ein zweites Infanterie-Bataillon aufzustellen, so dass am 1. Oktober 1849 aus diesem und dem bereits bestehenden ersten Bataillon das Altenburger Füsilier-Regiment mit zusammen acht Kompanien formiert. wurde. Damit aber war es zwingend notwendig geworden, weitere Gewehre des neuen Modells in Auftrag zu geben. Deshalb erhielt die Suhler Firma Sauer & Co am 26. November 1849 einen Vertrag zur Lieferung von weiteren 600 Infanteriegewehren, deren Auslieferung bis Februar 1850 abgeschlossen sein sollte. Diese Gewehre wurden mit den Seriennummer 801 bis 1400 ausgeliefert. Da das vorliegende Gewehr an der Kolbenkappe die Seriennummer 1185 und am Lauf das Fertigungsjahr 1850 eingeschlagen bekam, muss davon ausgegangen werden, dass es sich hier um ein Stück dieser zweiten Lieferung handelt.
Insgesamt hat also Altenburg 1.400 Gewehre angeschafft, eine Anzahl, die auch noch ausreichend war, als mit Beschluss vom 10. März 1853 die Bundeskontingente weiter erhöht wurden und Altenburg ab diesem Zeitpunkt 1.146 Mann zu stellen hatte. Anzumerken ist weiterhin, dass die im Regelfall alle fünf Jahre stattfindende Musterung der Bundeskontingente für den Herbst 1853 angesetzt war, wobei die Prüfung des Altenburger Militärs vom österreichischen Feldmarschall-Leutnant Freiherr von Mertens durchgeführt wurde. Auf ihn dürfte ein für die gezogenen Gewehre Altenburgs nicht unbedeutender Einfluss zurückzuführen sein.
Kriegserfahrung
Die Veränderung der Visierung, bei der man das Standvisier vom Schwanzschraubenblatt weiter nach vorne auf den Lauf versetzte, dürfte dem Umstand zu verdanken sein, dass die Altenburger Truppen während der Bundesexekution gegen Dänemark 1848-1851 gezogene Gewehre im Einsatz erlebt hatten.
Urplötzlich sah man sich veranlasst, die vorhandene Bewaffnung so schnell als nur möglich auf den neuesten Stand zu bringen, wobei natürlich die Umänderung des vorhandenen Bestandes an glattläufigen Infanteriegewehren allererste Priorität haben musste.
Major Graf von Holtzendorf, ehemals aus preußischen Dienstern stammender Offizier und Kommandeur des 2. Bataillons des Füsilier-Regiments, welches in Koethen lag, sandte deshalb ein Versuchsgewehr nach Altenburg, an Hand dessen er einen Vorschlag für eine neue Visierung unterbreitete; diese sollte für die dann gezogenen Gewehre geeignet sein.
Da die hier gezeigte Waffe nicht mehr dem Serienzustand entspricht, d.h. seine Visiereinrichtung eindeutig verändert wurde, obwohl sein Lauf noch immer glatt und nicht gezogen ist, ist es sicherlich nicht abwegig, wenn man annimmt, dass es sich bei diesem Stück tatsächlich um das damals in Altenburg vorgelegte Versuchmuster handelt. Es war damit sozusagen der Wegbereiter für die ab 1854 stattfindende Umänderung des Glattwaffenbestandes der Altenburger Infanterie auf das auch in Österreich eingeführte Kammersystem Delvigne 1849. Als Munition wurde ein massives konisches Spitzgeschoss verwendet, für das der Reservevorrat in der Bundesfestung Mainz durch Preußen bereitgestellt wurde.
Das österreichische Kammersystem nach Delvigne besaß in seiner letzten Version 1849 eine verkleinerte Pulverkammer mit kantigem Kammerrand, auf dem das Geschoss mit seinem Boden aufsaß und mit mehreren kräftigen Ladestock-Stößen so verbreitert oder komprimiert wurde, dass es den Zügen folgen musste. Statt der ursprünglichen Rundgeschosse kamen nun aber Langgeschosse mit kegelförmiger Spitze und Nut zur Aufnahme eines gefetteten Wollfadens zum Einsatz. Das durch die Rammstöße komprimierte Geschoss veränderte zwar auch die Flugbahn auf Kosten der Genauigkeit, die Form der Geschossspitze aber blieb erhalten, weil der Ladestock eine der Geschossform entsprechende Aushöhlung besaß.
Dass die preußische Armee zu diesem Zeitpunkt bereits in großen Teilen mit Zündnadelgewehren aus Dreyse’scher Fertigung ausgerüstet war, ist den Verantwortlichen in Altenburg mit Sicherheit bekannt gewesen, doch zu einer erneuten, und diesesmal höchstwahrscheinlich weit teureren Neubewaffnung mit dem viel modernen Hinterlader konnte oder wollte man sich aus finanziellen, vielleicht auch politischen Gründen nicht durchringen.
Rarität
Das preußische Infanteriegewehr M/39 in seiner ursprünglich glattläufigen Version zählt heute mit zu den seltensten preußischen Langwaffen, weil der Großteil dieser Waffen ab 1855 mit Minié-Zügen versehen wurden und eine entsprechende Visierung erhielt. Noch weit seltener aber ist das Altenburger Pendant M 1843, von dem, wie ausgeführt, insgesamt nur 1400 Stück gefertigt wurden, die darüber hinaus ab 1853 zum größten Teil auf das Delvigne System aptiert wurden und damit eine andere Visierung und einen gezogenen Lauf erhielten. Die Ursprungsversion des Altenburger Infanteriegewehrs M 1843 ist damit heute mit Sicherheit eine echte Rarität im wahrsten Sinne des Wortes.