Boxlockpistole von Samuel Henry Staudenmayer

London um 1810


Geschichte


Text Udo Lander

Ein Schwabe in London

Wenn ein ganz einfacher Handwerker sich entschließt, sein Glück in einem anderen Land zu suchen, dann ist das eine Sache. Wenn derselbe Handwerker dann aber im fremden Land zu einer geachteten Persönlichkeit mit Zugang zu höchsten Kreisen wird, dann ist das wirklich etwas Besonderes und berichtenswert. So geschehen Ende des 18. Jahrhunderts mit Beginn in einem kleinen schwäbischen Flecken namens Kirchberg an der Murr, einem Nebenfluss des Neckar und nicht weit von Backnang und Marbach.

Werdegang

Dort lebte und wirkte nachweislich seit mindestens 1693 die Familie Staudenmayer, welche über drei Generationen hinweg den Schulmeister in Kirchberg stellte. Der Letzte in dieser Reihe starb 1778 und war der Vater von Samuel Heinrich Staudenmayer, welcher am 25. Juni 1767 in Kirchberg an der Murr im Herzogtum Württemberg das Licht der Welt erblickte. Dieser Samuel Heinrich hatte offensichtlich keine Lust auf die Profession seiner Vorväter und schlug deshalb einen völlig anderen beruflichen Weg ein.

Samuel Heinrich wollte Büchsenmacher werden. Da es aber in Kirchberg und Umgebung keinerlei Lehrstelle für diesen Beruf gab – im nahegelegenen Backnang hatte zwar im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts ein Büchsenmacher namens Landerer gearbeitet, dessen Werkstatt existierte aber schon lange nicht mehr - war der junge Samuel Heinrich gezwungen, sich in weiter entfernten Regionen umzusehen. Fündig wurde er in der freien Reichsstadt Kempten im Allgäu – zumindest belegen die Inventar- und Teilungsakten, gefertigt am 09.Juli 1787 nach dem Tod des Vaters (+1778), dass Samuel Heinrich zum Zeitpunkt, als die Akten geschrieben wurden, Lehrling bei einem Kemptener Büchsenmacher gewesen ist. Bei diesem Lehrherrn handelte es sich wahrscheinlich um den in jener Zeit einzigen in Kempten ansässigen Büchsenmacher namens Neureiter. Doch die politisch/gesellschaftlichen Verhältnisse in Kempten im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts, vielleicht auch die von Frankreich ausgehende, revolutionäre Stimmung waren für Samuel Heinrich Staudenmayer offensichtlich Anlass genug, sich kurz nach Abschluss seiner Lehrzeit wiederum neu zu orientieren und die Stadt Kempten und das europäische Festland so schnell als möglich zu verlassen..

Der Auswanderer

Was Staudenmayer auch letztlich veranlasst haben mag, seiner deutschen Heimat endgültig Lebewohl zu sagen, ist nicht belegt, nachweisbar aber ist, dass er sich ab etwa 1790 in der englischen Hauptstadt London bemühte, dort in seinem erlernten Beruf Fuß fassen zu können. Offenbar war Staudenmayer jedoch klar geworden, dass seine in der Allgäuer Provinz erlernten beruflichen Fähigkeiten bei weitem nicht ausreichten, den in London von der dortigen Zunft der Büchsenmacher, der sog. Gunmaker’s Company geforderten Ansprüchen gerecht zu werden. Deshalb ging er zunächst nochmals ein Lehrverhältnis ein, diesesmal bei dem schon damals hochgeachteten und von der Londoner Klientel stark frequentierten Büchsenmacher John Manton; sein Einfluss auf die späteren Arbeiten Staudenmayers ist unverkennbar. Nach Abschluss der Lehre arbeitete er dann noch einige Jahre als Geselle bei Manton, doch nach seiner Aufnahme in die Zunft der Londoner Büchsenmacher machte sich Staudenmayer selbständig. In der zweiten Hälfte des Jahres 1799 zuerst in der Jermyn Street 35, ab 1802 in der Cockspur Street 32, nicht weit von Trafalgar Square in der City of London. Dort arbeitete er bis zu seinem Tode im Jahre 1834.

Boxlockpistole von Samuel Henry Staudenmayer, London um 1810.

Die von Samuel Henry Staudenmayer für den Duke of York gefertigte Taschenpistole besitzt zwei Neuerungen: Zum einen verfügt sie über einen Klappabzug, welcher erst beim Spannen des Hahns aus dem Schlosskasten ausklappt. Zum zweiten ist die Batterie auf dem Batteriedeckel mit zwei Friktionsrollen ausgestattet, welche die Reibung der Batteriefeder deutlich vermindert und so den Zündungsvorgang wesentlich beschleunigt. Mit diesen Details hatte die Steinschloss-Taschenpistole ihren höchsten Entwicklungsstand erreicht.

Der Schlosskasten und der Lauf waren aus geschmiedetem Eisen gefertigt und das Schloss besaß alle damals bekannten, technischen Verbesserungen, die seine Effizienz steigerten. Und obwohl der Systemkasten des Schlosses in der recht einfach zu fertigenden, eckigen Boxlockform gearbeitet war, hat Staudenmayer der Pistole nicht die bei diesem Waffentyp charakteristische ovale Pfanne gegeben, sondern hier findet sich eine aufwändig gearbeitete, rechteckig Pfanne mit erhöhter Umrandung, die im Zusammenspiel mit dem Batteriedeckel für absolute Dichtheit sorgte. Die Konstruktion dieser Pistole war ausgereift: Sie war klein, handlich, sicher in der Tasche und vor allem auf kurze Distanz höchst effektiv.

Aufstieg

Zu seinen bei John Manton erworbenen, handwerklichen Fähigkeiten gesellte sich der Ehrgeiz, nur qualitativ und dekorativ/stilistisch erstklassige Stücke zu produzieren, weshalb sich Samuel Heinrich Staudenmayer in relativ kurzer Zeit einen hervorragenden Ruf erwerben konnte. So hielt man ihn bald für Englands besten Laufschmied seiner Zeit. Dieser gute Ruf bewirkte, dass zu seinen Kunden neben vielen anderen hochgestellten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auch der Prince of Wales, ab 1810 Prinzregent gezählt werden konnte, welcher Staudenmayer in seinen Dienst als Hofbüchsenmacher berief. Aber auch die Ernennung zum Büchsenmacher des Duke of York, des jüngeren Bruders des Prince of Wales ließ nicht lange auf sich warten.

Der Junge aus der deutschen Provinz hatte es geschafft; sein Entschluss, nach England auszuwandern, hatte sich als goldrichtig erwiesen: er war ein geachteter Handwerker und Geschäftsmann mit aristokratischer Kundschaft und seine Ehefrau Elizabeth, die er 1794 in der St.James-Kirche/Picadilly geehelicht hatte, konnte stolz auf Ihren Henry sein.

Der Duke of York and Albany

Die von Staudenmayer hergestellte Taschenpistole mit dem Adelswappen am Kolben geht mit großer Wahrscheinlichkeit zurück auf einen persönlichen Auftrag, erteilt von Friedrich August, Prinz von Großbritannien und Irland, Herzog von York und Albany, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, Bischof von Osnabrück (* 16. August 1763 in London; † 5. Januar 1827 ebenda). Er war der zweite Sohn Georgs III. von England, letzter Bischof des Hochstifts Osnabrück und britischer Feldmarschall.

In Berlin unter Friedrich dem Großen zum Soldaten herangebildet und 1791 mit Prinzessin Friederike von Preußen, der ersten Tochter von Friedrich Wilhelm II. vermählt, wurde er 1793 zum Befehlshaber der britisch-hannoverschen Armee in den Niederlanden ernannt. Nach anfänglichen Erfolgen begann er die Belagerung von Dünkirchen, wurde hier aber im September geschlagen und zog sich 1794 mit den Trümmern seiner Armee nach Großbritannien zurück

Trotz dieser Misserfolge, durch welche seine militärische Unfähigkeit hinlänglich bewiesen war, ernannte ihn der König 1795 zum Feldmarschall und Oberbefehlshaber des britischen Heeres. 1799 mit der Leitung der englisch-russischen Expedition nach Holland betraut, wurde York am 19. September und am 6. Oktober von den Franzosen geschlagen, kapitulierte und schiffte sich danach wieder nach England ein.

1809 wurde er in einen Skandalprozess um den Handel mit Offizierstellen verwickelt Die eingeleitete Untersuchung endete zwar mit von Yorks Freispruch, doch war die öffentliche Meinung so einhellig gegen ihn, dass er am 20. März 1809 seinen Oberbefehl niederlegte. Dennoch wurde er von seinem Bruder, dem Prinz-Regenten, schon im Mai 1811 wieder in die Stelle eines Feldmarschalls und Oberbefehlshabers des Heeres eingesetzt. Herzog Friedrich August von York und Albany starb kinderlos am 25. Januar 1827.

Zeitliche Einordnung der Pistole

Als frühest möglicher Zeitpunkt der Entstehung der Pistole kann das Jahr 1799 gelten, dem Jahr, in dem sich Staudenmayer in London selbständig gemacht hat. Da aber der Duke of York 1799 mit der Leitung der englisch-russischen Expedition nach Holland betraut und erst nach dem 6. Oktober diesen Jahres nach England zurückkehrte, ist eine Auftragsvergabe an Staudenmayer vor diesem Zeitpunkt auszuschließen. Der gesamte Stil der Pistole, die technischen Details und die Ausführung ihrer Gravuren weist deutlichst auf die Zeit um 1810, sodass, wenn man die Verfügbarkeit des Duke of York zu Rate zieht, nur eine Fertigung der Pistole ab dem 20. März 1809 in Frage kommt, dem Datum, an dem der Auftraggeber sein Kommando niedergelegt hatte und wieder im Land war.



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