DIE BADISCHE WALLBÜCHSE M 1853
Geschichte
Text: Udo Lander
Militärische Büchsen umgab schon immer ein gewisser Nimbus: sie waren teuer in der Herstellung und kompliziert im Umgang, dafür aber treffgenau und daher gefürchtet. Auch heute noch sind Jägerbüchsen ein Begriff für Präzision und schon allein deswegen jedem der sich mit Waffen und deren Geschichte befasst, bekannt.
Grundsätzliches zu den Wallbüchsen
Ganz anders hingegen verhält es sich mit den sogenannten Wallbüchsen. Viele kennen sie zwar dem Namen nach und haben die eine oder andere möglicherweise auch schon gesehen, doch nur die Wenigsten haben klare Vorstellungen bezüglich Sinn und Zweck dieser schweren Waffen. Aus dieser Unklarheit und den daraus sich ergebenden nebulösen Phantasien ergeben sich meist Verwechslungen mit den im 18. und 19. Jahrhundert gern zum sportlichen Schießen verwendeten, schweren Standbüchsen, die aber in aller Regel mit militärischen Wallbüchsen nichts zu tun haben.
Zur Verteidigung einer Festung genügte es im Allgemeinen nicht, sich nur auf die Festungsartillerie zu verlassen. Vielmehr waren es schon immer die einzelnen Soldaten der Festungsbesatzung, die mit allem was sie hatten, den angreifenden Gegner davon abzuhalten versuchten, Wälle oder Mauern zu stürmen. Mit dem Aufkommen der Handfeuerwaffen wurden diese Anstrengungen effektiver und mit der Übernahme leistungssteigender Laufinnenkonstruktionen wie die Systeme Thouvenin, Delvigne oder Minié im Laufe des 19. Jahrhunderts kam den Infanteriegewehren der Festungsbesatzung eine äußerst wichtige Rolle bei der Verteidigung einer Festung zu.
Defensionsgewehre
Doch trotz der hohen Nützlichkeit der nach den genannten Systemen gezogenen Infanteriefeuerwaffen hielt man es dennoch für zweckmäßig, ganz spezielle „Defensionsgewehre“ in den Festungen zu bevorraten, deren Geschosse nicht nur eine hohe Treffähigkeit auf weiteste Entfernungen gegen selbst kleinere Ziele, sondern auch eine ausreichende Durchschlagsleistung besaßen, so dass auch leichtere, gegnerische Deckungen erfolgreich zu bekämpfen waren.
Um dieses Ziel zu erreichen, gab es in der Vorderladerzeit anfänglich nur eine einzige Möglichkeit: schwere, großkalibrige Rundkugeln mit einer starken Pulverladung, verschossen aus einem selbstverständlich gezogenen Lauf. Da diese Kombination entsprechend des physikalischen Gesetzes von Aktion und Reaktion einen unerträglichen Rückstoß bedeutete, der jeden Schützen vermutlich für Wochen ins Spital verbannt hätte, war es unumgänglich, das Gewicht einer solchen Waffe so schwer zu wählen, dass deren schiere Masse den Rückstoß auf ein Minimum reduzierte. Zwangsläufige Folge davon war, dass derartige Büchsen nur noch aufgelegt geschossen und schon gar nicht auf der Schulter getragen werden konnten. Der Begriff Wallbüchse erklärt sich damit von selbst. Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Festungs-Wallbüchsen den neu aufkommenden Konstruktionsmerkmalen der gezogenen Infanteriegewehre angeglichen, d.h. sie erhielten entsprechende Laufprofile mit Zügen und verschossen die zum jeweiligen System passenden Kompressions- oder Expansionsgeschosse.
Zweck der Wallbüchsen
Eingesetzt wurden Wallbüchsen auf weite Entfernungen gegen Offiziere auf Erkundung, gegen Patrouillen, kleine Truppenabteilungen und Fahrzeuge. Auch Bedienungsmannschaften entfernter Batterien und die in der Nähe platzierten Munitionswagen waren ein lohnendes Ziel. Dabei lagen die Schussentfernungen immer über derjenigen der gegenwärtigen gezogenen Feuerwaffen, die im allgemeinen 400 bis 600 Schritt betrug. Auf nähere und nächste Entfernungen hingegen ermöglichte die hohe Treffsicherheit der Wallbüchsen im Zusammenspiel mit der hohen Durchschlagskraft ihrer Spitzgeschosse ein äußerst wirksames Feuer gegen die an den Schanzkörben arbeitenden Sappeure, die deswegen nicht mehr sicher sein konnten. Zur Bedienung der Wallbüchsen wurden im allgemeinen zwei Mann als Schütze und als Bedienungsmann verwendet.
Die ganz unbestreitbaren Vorteile einer derartigen Festungsbewaffnung hatten einerseits zur Folge, dass die entlang der Grenze zu Frankreich dislozierten preußischen und auch bayerischen Festungen hinreichend mit Wallbüchsen ausgerüstet waren. Anderseits war es nur konsequent, dass auch der 1848 fertiggestellten Bundesfestung Rastatt, der eine zentrale strategische Bedeutung als Stützpunkt und Waffenarsenal für das VIII. Bundesarmeekorps zukam, ebenfalls ein gewisses Kontingent an Wallbüchsen zugedacht wurde.
Die Festung Rastatt
Zur Besatzung der Festung Rastatt gehörte neben preußischen und österreichischen Truppen seit 1854 auch eine Festungs-Artillerie-Abteilung mit zwei Batterien des Großherzoglich Badischen Artillerie-Regiments; diese war am 30. September 1854 errichtet worden. Daneben waren in der Festung immer mindestens zwei Bataillone badischer Infanterie stationiert, welche unter anderem auch für die Bedienung der Wallbüchsen eingesetzt wurden, da die Artilleristen natürlich in erster Linie für die Bedienung der in der Festung positionierten Geschütze zuständig waren. So stellte Baden stellte zur Besatzung der Bundesfestung Rastatt z.B. im Jahr 1858 eine Festungsartillerie-Abteilung zu vier Batterien und zwei Bataillone des 3. badischen Infanterie-Regiments.
Für diese Festungs-Truppen bestellte die badische Regierung 1853 insgesamt 150 Wallbüchsen nach der Konstruktion des Obersten Köbel beim Suhler Fabrikenkonsortium „Spangenberg & Co“, welches sich aus den Einzelfirmen Spangenberg, Sauer & Sturm, C.G. Haenel und Valentin Christoph. Schilling zusammensetzte und die von ihnen hergestellten Waffen mit „S & C Suhl“ signierten. Die Büchsen wurden wohl in demselben und in den beiden nochfolgenden Jahren ausgeliefert, da Waffen mit den Jahreszahlen 1853, 1854 und 1855 bekannt sind.
Da die seit der Schließung der badischen Gewehrfabrik St. Blasien als Lieferant badischer Militärwaffen aufgetretene württembergische Gewehrfabrik in Oberndorf nicht zur Verfügung stand, weil sie durch Aufträge zur Umänderung von Infanteriegewehren des VIII. Bundesarmeekorps auf das Minié-System völlig ausgelastet war, musste die Wallbüchsenbestellung nach Suhl vergeben werden. Inwieweit der Impuls zur Beschaffung dieser badischen Wallbüchsen für die Bundesfestung Rastatt nicht aus Karlsruhe selbst, sondern möglicherweise von der Bundesmilitärkommission Frankfurt kam, konnte nicht festgestellt werden.
Da Baden bereits 1852 für die Bewaffnung seiner Infanterie-Regimenter das Minié-System übernommen hatte, war es nach dem Umbau der Wild’schen Büchsen der Jäger auf das Minié-System nur folgerichtig, auch die bestellten Wallbüchsen nach diesem Vorderladersystem fertigen zu lassen. Zu den Merkmalen des von dem französischen Offizier Claude Minié im Jahre 1849 entwickelten Systems gehörte ein Lauf mit fünf flachen Zügen und ein Expansions-Spitzgeschoss.
Die badische Wallbüchse
Die badische Wallbüchse mit brüniertem Lauf, einer Gesamtlänge von 1420 mm, einer Lauflänge von 1000mm, einem Kaliber von 18,6 mm und einem Gewicht von rund 17 Pfund, besaß das gleiche Visier wie das bei der badischen Infanterie eingeführte Minié-Gewehr M1852, lediglich die Einteilung war eine andere. Kaliber und Gewicht der aus der Wallbüchse verschossenen Projektile war etwas größer als bei den Infanteriewaffen. Das Geschossgewicht betrug 52,98 g, seine Länge 32,25 mm und der zylindrische Teil des Spitzgeschosses hatte einen Durchmesser von 17,43 mm. Die Geschossspitze war lang und sehr stark gewölbt, so dass der Schwerpunkt sehr weit vorne saß. Diese Geschossverhältnisse waren zusammen mit der starken Pulverladung ursächlich dafür, dass die Flugbahn des Wallbüchsenprojektils deutlich niedriger lag, als die des Infanteriegewehrs auf gleiche Entfernung. Die Verhältnisse des Geschosses trugen wesentlich zur Abflachung der Flugbahn bei, mithin auch dazu, dass die Visierhöhen für gleiche Distanzen nicht unwesentlich niedriger als die des Infanterie-Gewehrs waren.
Bei der Minié-Patrone wurde die Pulverladung immer vom Geschoss getrennt verpackt. Das Geschoss war umgekehrt (Geschossboden nach unten) im Boden eingesetzt und das Ende der Patrone zur besseren Ladeweise gefettet. Die sichere Trennung des Geschosses war notwendig, um einerseits das Oxidieren des Bleis zu verhindern, anderseits um zu vermeiden, dass sich einzelne Pulverkörner zwischen Geschoss und Hülse setzen, wodurch eine Vergrößerung des Durchmessers am Geschossende der Patrone entstehen konnte, welche bei dem geringen Spielraum die Ladefähigkeit beeinträchtigen hätte.
Wo sind sie geblieben?
Von den insgesamt 150 Wallbüchsen, die Suhl nach Rastatt lieferte, sind heute nur noch wenige Stücke nachweisbar. Alle sind auf dem Schlossblech mit der Herstellersignatur „S&C“, mit der Herstelleradresse „SUHL“ und dem Baujahr auf dem Lauf gezeichnet. Die Seriennummer und die badische Abnahme Marke „ZD“ befinden sich auf der linken Laufseite. Auch der große Abnahmestempel mit dem Monogramm des Großherzogs ein stilisiertes „L“ befindet sich auf dem Schaft unter dem Abzugsbügel. Aber nur eine von den Büchsen zeigt einen Truppenstempel (?) auf der Nase ihres Kolbenblechs, welcher „No 5. 15. 6“ lautet und mit Ausnahme der Ordnungszahl „No. 5“ leider nicht deutbar ist. Da dem Bearbeiter ein mit den Wallbüchsen zeitgleiches Faschinenmesser für Mannschaften der badischen Festungsartillerie M 1854 vorliegt, dessen Truppenstempel „B.F.A.3.72.“ lautet, was eindeutig als Waffe Nr. 72 der 3. Batterie des seit 1866 aus drei Batterien bestehenden Badischen Festungs-Artillerie-Bataillons zu lesen ist, kann davon ausgegangen werden, dass auch die badischen Wallbüchsen, wenn überhaupt, dann analog zu dieser Stempelung gekennzeichnet sein müssten. Da dies offensichtlich nicht der Fall ist, kann es sich beim erwähnten Stempel eigentlich nicht um eine badische Signatur handeln möglicherweise wurde der Stempel „No. 5.15.6“ erst viel später und nach Ausmusterung der Büchsen geschlagen.