Das Württembergische Pionier-Zündnadel-Gewehr

aptiert nach Beck


Geschichte


Text Hartmann Hedtrich

Nachdem in Württemberg am 22.6.1867 der Entscheid zugunsten des Zündnadelgewehrs, System Dreyse und der zugehörigen Einheitspatrone gefallen war, sollte zuerst die Infanterie damit ausgerüstet werden. Hierzu wurden die 1857 eingeführten Vereinsgewehre auf das Zündnadelsystem umgebaut. Da die Zahl der geänderten Gewehre nicht ausreichte, wurden in Oberndorf neue Gewehre, basierend auf dem preußischen Modell 62 hergestellt. Bei beiden Modellen wurde das preußische Zündnadelsystem der Jägerbüchse M/65 verwendet. Das aus dem Vereinsgewehr hergestellte Zündnadelgewehr wurde als Modell 67 und das neue Zündnadelgewehr als Modell 68 bezeichnet. Schon in einem Rapport vom 17. Oktober 1868 wurde angeregt auch die Artillerie und die Pioniere mit Zündnadelgewehren auszurüsten. Durch Erlass vom 22. Dezember 1868 gab aber das Kriegsministerium zu erkennen, dass die vorhandenen Geldmittel in erster Linie zur Ausrüstung der Infanterie, einschließlich der erforderlichen Reserven, zu verwenden seien. Wahrscheinlich werde sich jedoch an der Erigenz für die Infanteriegewehre eine solche Ersparnis ergeben, dass das Kriegsministerium doch noch in die Lage komme, für das Pionierkorps und die Artillerie Zündnadelgewehre zu beschaffen. Da das seitherige Pionier- bzw. Artilleriegewehr zu kurz sei, um auch als Stoßwaffe gebraucht zu werden, sollte aus der kleinkalibrige Jägerbüchse ein praktisches Zündnadelgewehre für die Pioniere und Artillerie gemacht werden. In der Chronik der Gewehrfabrik wird 1869 erwähnt, dass 1 Mustergewehr eines Pionier-Zündnadel-Gewehrs aus einer Jägerbüchse hergestellt wurde.

Am 29. Juli 1869 erhielt das Pionierkorps ein aus der bezeichneten Minie- Jägerbüchse „transformiertes“ Zündnadelgewehr, um dasselbe zu begutachten. Schloss, Kaliber, Drall, Zahl und Tiefe der Züge, Visiereinrichtung und Ladung war dem umgeänderten Infanteriegewehr übereinstimmend konstruiert und das Standvisier auf 200 Schritt gelegt.

Zum Aufstecken als Stoßwaffe wurde das Haubajonett des kleinkalibrigen Minie-Artilleriekarabiners gewählt. Durch teilweise Ausfüllung der Griffnut wurde der Griff des Haubajonetts handlicher gemacht und durch Aufbohrung des Parierstangenrings an den größeren Laufdurchmesser angepasst. Getragen wurde es in der alten Lederscheide mit eiserenen Beschlägen. Da es auch zum Feldgebrauch der Pioniere an Stelle des seitherigen Pionier-Faschinenmessers geeignet war, waren somit alle zur Führung der fraglichen Zündnadelwaffe bestimmten Mannschaften des Pionierkorps, der Arsenalabteilung, der bespannten Munitionskolonen und das Proviantwesen mit dem gleichen Seitengewehr versorgt.

Hauptmann Finck errechnete in einem Plan vom 30. Oktober 1868 einen Bedarf von 1459 Zündnadelgewehren für die Artillerie und die Pioniere. Am 30. Dezember 1869 legte die Arsenaldirektion eine vorläufige Vereinbarung über die Abänderung von 1500 Jägerbüchsen in Pionier- und Artillerie-Zündnadelgewehre vor, welche am 30. Dezember vom Kriegsministerium genehmigt wurde. Darin wurde vereinbart, dass die Gewehrfabrik Oberndorf die Änderung von 1500 Jägerbüchsen in Pionier- und Artillerie-Zündnadelgewehre, sowie der Artillerie-Seitengewehre nach gegebenem Muster unter den folgenden Bedingungen übernimmt:

Der Fabrik werden zur Abänderung pro Gewehr der Lauf mit Visier, der Ladestock, zwei Bunde mit Bundfedern, die Kolbenkappe mit zwei Schrauben, eine Bügelholzschraube und das Haubajonett übergeben. Außerdem noch 900 Abzugsbügel aus Arsenalbeständen, welche für das Gewehr 1857 bestimmt waren (sie sind bei den fertigen Gewehren leicht an der mit einem eisernen Bolzen verschlossenen Bohrung für die Befestigung des Riemenbügels zu erkennen). Die Fabrik sollte unter Benützung dieser Teile die neuen Gewehre nach der Dimensionstabelle und dem Mustergewehr herstellen. Als Endtermin zur Vollständigen Ablieferung wurde der 30. September 1870 festgesetzt, unter der Voraussetzung, dass die Art der bevorstehenden Verbesserung des Schlosses (gemeint ist die Aptierung nach Beck) spätestens bis zum 1. Mai bekannt sein muss.

Nach Prüfung eines Musters durch die Gewehrfabrik im Spandau und Gutbefund derselben wurde ein Vertrag zur Änderung von 1500 Jägerbüchsen in Pionier- und Artilleriezündnadel-Gewehre abgeschlossen und mit Dekret vom 9. Dezember 1870 genehmigt. Laut den Recherchen von Hans Reckendorf wurden die Gewehre aber erst im Betriebsjahr 1871/72 hergestellt. Dem gegenüber steht aber, dass alle, bisher bekannten württembergischen Pionier-Zündnadel-Gewehre mit dem Fertigungsjahr 1870 und dem Ausgabejahren 1871 bis 1872 gezeichnet sind.

Erst nach Ende des deutsch-französischen Krieg, im Laufe der Jahre 1871/72 wurden, zum Leidwesen der Pioniere die neuen Zündnadelwaffen ausgegeben. So vermerkt die Regimentsgeschichte der Pioniere beim Ausbruch des Krieges 1870/71: Die Gewehre neuer Ordonnanz konnten zum großen Leidwesen der Vorgesetzten nicht mehr zur Abgabe gelangen. Die Mannschaften mussten mit den seitherigen kleinen Vorderladergewehren, bei welchen ein Aufpflanzen des Seitengewehrs nicht möglich war, Ausmarschiren.

Und nach dem Krieg: Den 18. August 1871 hatten die Pioniere die längst ersehnten „Zündnadelgewehre“ – vorerst 450 Stück ohne Bajonette, welche erst später eintrafen – erhalten, es wurde sogleich mit der Einübung der Handgriffe und Chargierung durch die im Jahre 1868 in Koblenz kommandiert gewesenen Unteroffiziere begonnen.

Nach den verfügbaren Quellen wurden nur die Pioniere mit dem Zündnadelgewehr ausgerüstet, weshalb auch es dann auch offiziell als Württ. Pionier-Zündnadel-Gewehr bezeichnet wurde.

Aptierung der württembergischen Pionier-Zündnadel-Gewehre nach Beck

Bereits 1868 konnte der preußische Werkführer Beck ein verbessertes Zündnadelschloss entwickeln. Dabei wurde der Lauf durch eine Kautschukdichtung im Verschluss gasdicht abgeschlossen. Der in die Luftkammer reichende Teil des Nadelrohres wurde abgeschnitten und durch einen beweglichen Stahlpuffer ersetzt, der durch eine Schraube im vorderen Kammerteil festgehalten wurde. Unter diesem Puffer lag die Kautschukdichtung.

Für das aptierte Zündnadelsystem wurde auch eine neue Patrone eingeführt. Sie enthielt ein auf 21g erleichtertes, verkleinertes Langblei im Kaliber 12 mm mit einer Länge von 24,6 mm. Es war damit gelungen, aus den großkalibrigen Gewehren ein kleinkalibriges Geschoss zu verschießen. Auch der Boden der Patrone wurde verstärkt und zwischen zwei Lagen Papier ein gefettetes Leinenscheibchen mit kreuzförmigem Einschnitt für den Nadeldurchgang eingelegt. Das Fett sollte die Zündnadel kühlen und reinigen. Da die Pulverladung unverändert (4,8 g) blieb, erreichte das um 30% erleichterte Ge-schoss eine deutlich höhere Anfangsgeschwindigkeit. Sie steckte die Flugbahn und erweiterte den Wirkungsbereich von 800 auf 1200 Schritt.

Für die neue Patrone wurde auch ein neues Visier benötigt. Das alte Quadrantenvisier wurde durch das preußische Visier ersetzt. Dieses hatte ein Standvisier für 200, eine kleine Klappe für 300 Meter und ein Leitervisier mit einem großen und durchbrochenen Schieber mit doppelter Kimme. Die untere Kimme des Schiebers gibt die Elevation für die näheren Entfernungen bis 800 Meter, die obere für die weiteren bis 1200 Meter, wenn der Schieber auf die entsprechend nummerierten Teilstriche der Leiterbalken gestellt wird.

Per Vertrag vom 8. bzw. 11. Januar 1872 zwischen dem Kriegsministerium und der Gewehrfabrik Oberndorf sollten dort 34000 Zündnadel-Infanteriegewehre und 1500 Pionier-Zündnadel-Gewehre aptiert werden. Das Artilleriedepot Ludwigsburg sollte alle zur Änderung der Verschlüsse notwendigen Halteschrauben und Kautschukringe sowie 20000 Einsatzzylinder und Puffer bereitstellen. Die restlichen Einsatzzylinder und Puffer lieferte die Gewehrfabrik, welche auch die Visiere gegen ein neues nach preußischem Muster austauschen sollte. Im Betriebsjahr 1872/73 wurden in Oberndorf 32024 Zündnadel-Infanterie sowie 450 Pionier-Zündnadel-Gewehre geändert, die restlichen Waffen im Betriebsjahr 1873/74.

Im Gegensatz zu den Infanteriegewehren wurden die Quadrantenvisiere der Pionier-Zündnadelgewehre beim Umbau nicht ausgetauscht. Es wurden lediglich Änderungen an der Visierklappe und der Skala (die Entfernungsanzeige wurde von 200 bis 900 auf 200 bis 500 geändert) vorgenommen.


Mündungsdeckel nach der Art des preußischen Pionier-Zündnadelgewehrs U/M mit Haken zum Zusammensetzen der Gewehre.


Geschichte Techn. Daten Bestempelung Literatur Zum Anfang