DIE BADISCHE JÄGERBÜCHSE M 1843


Geschichte


DIE BADISCHE JÄGERBÜCHSE M 1843 - DAS VORDERLADERSYSTEM DES JOHANN J. WILD


Text: Udo Lander


Der perfekte Vorderlader

Sozusagen am Vorabend des allgemeinen Übergangs auf die verschiedensten Arten von Hinterladersystem sollte sich die seit Jahrhunderten bekannte und von Generationen von Jägern benutzte Vorderlader-Pflasterbüchse nochmals zu ungeahnten Höhen aufschwingen. Triebfeder dieser Entwicklung war der 1814 in Richterswil in der Schweiz geborene Ingenieur und Schützenoffizier Johannes J. Wild( [i]), welcher mit seiner für viele seiner insbesondere militärisch gebildeten Zeitgenossen nahezu unvorstellbaren Erfindung gehörig Staub aufwirbelte und entsprechenden Erfolg hatte. Sein System war deswegen so aufsehenerregend, weil es Dinge in sich vereinigte, die nach uralter Kenntnis und Erfahrung absolut unvereinbar miteinander waren.


Die Grenzen der Pflasterbüchse

So war es für jeden, der von der Materie zumindest ein gewisses Maß an Ahnung hatte, absolut klar, daß eine Pflasterbüchse zwar eine hervorragende Waffe war, wenn es um den präzisen Schuß ging. Genau so klar war aber auch, daß diese Präzision mit erheblichen Nachteilen erkauft werden mußte. Das Laden mit offenem Pulver, Kugel und Kugelfutter, das Eintreiben der Kugel mit einem Hammer in den Lauf, das beständige Reinigen des Laufinneren und das lästige Nachschleppen von den dazu notwendigen Gerätschaften machte den generellen Gebrauch einer solchen Waffe bei allen Infanterieteilen absolut unmöglich, von den damit verbundenen Kosten einmal ganz abgesehen. Dazu kam ein weiterer, nicht zu unterschätzender Nachteil dieser Büchsen. Eine große und für die Infanterie im Hinblick auf die Schußweiten der

gegnerischen Artillerie wünschenswerte Reichweite der Pflasterbüchse war nicht möglich; grundsätzlich lag ihre Schußweite sogar erheblich unter jener der bis jetzt verwendeten glattläufigen Infanteriegewehre. Der Grund dafür lag darin, daß eine Ladung, die eine entsprechende Schußdistanz bewirkt hätte, nicht verwendet werden konnte, weil eine solche das Geschoß veranlaßt hätte, die Züge zu überspringen. Dies hätte aber negative Auswirkungen auf den Drall des Geschosses und damit wieder auf die Präzision gehabt. Im direkten Zahlenvergleich stellte sich dies wie folgt dar: Während ein herkömmliches Infanteriegewehr mit Rollkugel und glattem Lauf eine V0 von 390-420m/s erreichte, kam eine Pflasterbüchse nur auf eine V0 von 270-330m/s. Und da sich die Schußweiten verhalten wie die Geschwindigkeiten, schoß das Infanteriegewehr folglich ein Viertel weiter als die Büchse.

Basierend auf diesen Erkenntnissen stellte Johannes Wild nun folgende Forderungen auf:


"1. soll eine Büchse wenigstens so weit schießen wie ein Infanteriegewehr

2. soll sie bei der größten Ladung, die der Mann des Rückstoßes wegen zu ertragen vermag, Schuß halten, d.h. die Kugel soll nicht aus den Zügen springen

3. muß sie sich mit Patronen und zudem leicht und ohne Setzer und Hammer laden lassen, so daß die Kugel nur mit dem Ladestock hinuntergetrieben werden kann

4. soll sie bei 100 Schuß schießen, ohne daß das Rohr gereinigt zu werden braucht, zu welchem der Schütze im Feld nicht immer Zeit und Gelegenheit hat

5. soll sie leicht sein, höchstens 5 kg wiegen und dabei eine Kugel führen, wovon 40 bis 50 auf ein Kilogramm gehen

6. soll dabei die Ausrüstung bis auf die eines gewöhnlichen Infanteristen wegfallen, und statt wie bisher in einem schwer beladenen Weidsack nur in einer Patronentasche bestehen"( [ii])


Diesen in den Augen seiner Zeitgenossen beinahe phantastischen Forderungen - nach heutigen Maßstäben würde man sie im Bereich der Science Fiction ansiedeln - setzte Wild die Krone auf, indem er tatsächlich eine Waffe vorstellte, die alle seine Forderungen nachprüfbar erfüllte.


Die Büchsenlauf-Revolution

Die Vorteile von Wild's System lagen darin, daß das Geschoß auf Grund der Anordnung der Züge im Lauf eine größtmögliche Rotation erhielt, womit eine hohe Treffgenauigkeit erreicht wurde. Weiterhin ließ sich die Büchse sehr leicht laden, da nicht das Geschoß selbst, sondern ein sie umgebendes spezielles Kugelfutter in die Züge gedrückt wurde. Eine Verformung des Geschosses durch den Ladestock mit seinen negativen Auswirkungen auf die ballistische Form des Geschosses unterblieb daher und kam so ebenfalls der Schußweite zugute.Zusätzlich wurde durch das speziell entwickelte Kugelfutter das Laufinnere bei jedem erneuten Laden gereinigt, so daß eine hohe Anzahl von Schüssen möglich wurde, ohne daß der Lauf ausgewaschen werden mußte; dies kam natürlich der erzielbaren Feuergeschwindigkeit zugute. Darüber hinaus hatte das Geschoß auf Grund des umgebenden Kugelfutters keinerlei Kontakt mit der Laufwandung, so daß hier keine Abnutzung auftreten konnte; dabei war es egal, ob das Geschoß aus weichem oder hartem Blei gefertigt war. Schließlich war es möglich, alle herkömmlichen Pflasterbüchsen auf das Wildsche System umzuändern( [iii]).


Kernpunkt von Wild's Erfindung war somit das Kugelfutter oder Pflaster. Wild hatte genialerweise erkannt, daß eine Büchse sich nur dann leicht laden ließ, wenn nicht das Geschoß selbst in die Züge gepreßt werden mußte, sondern wenn dies sozudagen stellvertretend durch einen weicheren Körper übernommen wurde. Weiterhin war ihm klargeworden, daß eine das Laden mit zunehmender Schußanzahl erschwerende Verkrustung des Laufinneren nur durch ständige Reinigung verhindert werden konnte. Dazu war es erforderlich, daß sich dieser weiche Körper ganz exakt in die Züge des Laufs einschmiegen konnte.

Diese beiden grundsätzlichen Bedingungen konnten aber nur unter einen Hut gebracht werden, wenn dieser "weiche Körper", nämlich das Kugelfutter, ganz spezielle Eigenschaften hatte.


Das von Johannes Wild entwickelte Stoffpflaster war aus Leinen und hatte eine doppelt so hohe Zug-oder Zerreißfestigkeit wie das Geschoßblei. Dies war erforderlich, damit das Geschoß durch das Pflaster einwandfrei in den Zügen geführt werden konnte, ohne daß es beschädigt oder gar zerrissen wurde. Darüber hinaus mußte die Dichte des Stoffpflasters so groß sein, daß es keinerlei Treibgas am Geschoß vorbeiströmen ließ; dies hätte eine Verringerung der Reichweite bedeutet. Schließlich war das Pflaster trotz seiner hohen Dichte von ca. 0,6-0,7g/cm3 und einer Stärke von 0,55mm so saugfähig (100cm2 wiegen 3,25-3,5g), daß es in kürzester Zeit eine gewisse Menge Wasser aufnehmen konnte, ein Detail, das, wie sich zeigen wird, von entscheidender Wichtigkeit war.

Das ganze System konnte aber nur dann richtig funktionieren, wenn die Züge des Laufs so angeordnet waren, daß die sich natürlicherweise ergebenden Pflasterfalten jeweils in einen Zug zu liegen kamen; es mußten also ebensoviele Züge vorhanden sein, als das Pflaster beim Umlegen um das Geschoß Falten bildete. Diesen Zusammenhang nun hatte Wild mit Hilfe von Annäherungsformeln und experimentellen Versuchen auf eine mathematische Grundlage gestellt und dabei gefunden, daß in Abhängigkeit von der von ihm verwendeten Pflastergröße der Lauf je nach Kalibergröße ca. 12-14 Züge mit einer Zugtiefe von 0,23mm bis 0,27mm und einem Drallwinkel von 3 Grad haben mußte, was einer Geschoßdrehung auf 1019mm entsprach. Die Breite der Züge betrug 1,9mm, wobei das Breitenverhältnis von Zug zu Feld sich wie 3:2 darstellte( [iv]). Der Spielraum zwischen Geschoß und Laufwand lag bei 0,7mm (dies galt für ein Kaliber von 20 bis 60 Kugeln auf ein Kilogramm).

Bei dieser Anordnung war gewährleistet, daß in jeden Zug des Laufs eine Pflasterfalte zu liegen kam!


Der Ladevorgang dieser Büchse sah nun so aus, daß die Patrone, in der Pulver, Geschoß und Pflaster eingebunden waren, wie beim herkömmlichen Infanteriegewehr aufgebissen und das Pulver samt der Papierhülse, und nachfolgend die Kugel mit dem Pflaster in den Lauf geladen wurde. Dabei verhinderte der speziell gestaltete Ladestock, welcher an der Handgabungsseite einen Stopper besaß, der den Stock nur bis zu einer bestimmten Tiefe in den Lauf eindringen ließ, ein Aufstoßen der Kugel auf der Pulverladung, so daß ein immer gleichbleibender Verbrennungsraum entstand. Dadurch wurde erreicht, daß das Geschoß sich schon beim ersten Entzünden der hintersten Pulverkörner in Bewegung setzte und somit das Kugelfutter nicht verbrannt werden konnte, wenn die Ladung schließlich voll entflammt war. Daß das Geschoß auf diese Art und Weise durch den Ladestock auch nicht deformiert werden konnte, weil es auf Grund des Stoppers nicht auf den Laufgrund gerammt wurde, ist einleuchtend und kam der Reichweite zugute.


Mit Wassereinspritzung gegen Vorurteile

Der Clou des Ganzen war aber nun folgender:

Statt wie bisher das Kugelfutter mit Fett zu tränken, was das Laden erleichtern sollte, dafür aber die Laufverkrustung förderte, wurde das Wild`sche Geschoß trocken geladen und nach Abschluß des Ladevorgangs spritzte der Schütze ein Zehntel des Kugelgewichts Wasser (!) in den Lauf.

WasserflascheDazu trug dieser über der Schulter ein kleines Fläschchen, welches ca. 100g Wasser faßte und unten eine Vorrichtung hatte, welche, unter Druck auf den Lauf gesetzt, exakt die erforderliche Menge Wasser abgab. Diese "Wassereinspritzung" hatte zur Folge, daß die im Lauf vom vorhergegangenen Schuß vorhandenen Verbrennungsrückstände aufgeweicht und angelöst, und schließlich beim Schuß vom neu geladenen Kugelpflaster hinausgefegt wurden. Dieser Vorgang ermöglichte mehr als 100 Schuß, ohne daß das Rohr auch nur einmal ausgewaschen werden mußte.

Zum Thema "Pulver" schrieb Wild in der Abhandlung, in welcher er sein System anpries: "Das Pulver für Büchsen soll nicht gar zu entzündlich sein; am besten ist dasselbe, wenn es aus 75 Theilen Salpeter, 13 Theilen Kohle und 12 Theilen Schwefel zusammengesetzt ist, und dabei das Korn einen Durchmesser von 1-1,4mm hat. Ist die Entzündbarkeit des Pulvers zu groß, so entzündet sich beinahe die ganze Ladung, bevor sich die Kugel merklich von ihrer Stelle bewegt. Die Intensität des Feuers ist dann zu groß, als daß das Kugelfutter widerstehen könnte; letzteres wird daher verbrennen und die Kugel wird, ohne den Zügen zu folgen, aus dem Rohr geworfen".

"Eine Büchse, so eingerichtet und geladen, "führte Wild weiter aus, "schießt weiter und sicherer als alle bisher gekannten Handfeuergewehre; denn es kann die Kugel mit einer anfänglichen Geschwindigkeit von 420-460 m/s und darüber geschossen werden, ohne daß sie aus den Zügen springt. Während sie bei der bisherigen Einrichtung der Büchsen nur mit einer Geschwindigkeit von 260-320 m/s fortgetrieben werden darf, da sie, sobald es über diese hinausgeht, verworfen wird. Man trifft mit meiner Büchse auf 400m ebenso sicher, wie mit den bisherigen auf 300m, auf 600m so sicher, wie mit diesen auf 400m; und dies mit einer Kraft, die eine Kugel von 24,6g bei 7g Pulver auf 200m Schußweite, durch sechs hintereinander mit je 25cm Zwischenraum aufgestellte Scheiben, jede von 22mm Dicke, hindurch treibt. Auf 700m schlägt die Kugel noch durch eine Scheibe von 30mm Dicke.


Es ist einleuchtend, daß alleine die abenteuerliche Vorstellung "Wasser in einem Gewehrlauf" und das dazu noch bei jedem Schuß, die Kritiker und ewig Gestrigen auf den Plan rief. Das Ganze mußte ihnen ja auch wie ein Sakrileg vorkommen, war man doch seit Jahrhunderten bemüht gewesen, um Gottes Willen kein Wasser in den Lauf gelangen zu lassen - die Furcht vor dem Rost saß tief. Doch Johannes Wild konnte durch entsprechende Vorführungen die Masse seiner Kritiker beruhigen sowie von seiner Erfindung überzeugen, und schließlich gelang ihm im Jahre 1841 der Durchbruch. Eine vom Kanton Baselland eingesetzte Kommission unterzog seine neu entwickelte Waffe zusammen mit zwei weiteren Schweizer Stutzen am 16. Juli 1841 in Bad Bubendorf/Schweiz gründlichen Versuchen. Diese bewiesen, daß die Wild'sche Büchse tatsächlich so gut war, wie ihr geistiger Vater vorgegeben hatte, und daß sie sich tatsächlich allen an den Versuchen teilnehmenden Konkurrenzsystemen als klar und eindeutig überlegen erwiesen hatte.

"Die Versuche waren mit drei Stutzern vorgenommen worden, die 24,5, 22,3 und 19,5 Kugeln auf ein Pfund führten, die Pulverladung war 1/4 kugelschwer und wurde mit Patronen geladen",berichtete die Versuchskommission, und führte weiter aus, "daß der Zweck der Versuche war, die Vortheile der nach dem System des Herrn Ingenieur Wild angefertigten Stutzer kennen zu lernen, welche nach unserem Dafürhalten darin bestehen

1. daß sich die Kugel leicht, ohne Schlägel nur mit dem Ladestock ladet

2. daß das Rohr nach 100 Schüssen nicht gereinigt zu werden braucht

3. daß die Kugel mit starker Ladung Schuß hält, d.h. die Kugel nicht aus den Zügen wirft

4. daß eine größere Schußweite und mehr Kraft aug große Distanzen erhalten wird, als bei den bis anhin bekannten Systemen.

Es wurde auf 600, 800 und 1000 Schritt geschossen.

Das Resultat dieser Prüfung war außerordentlich und würde sich nach unserer Meinung noch günstiger herausstellen, wenn die gleichen Versuche mit Stutzen gemacht würden, mit deren Leistungen die Schützen durch öftere und mehrfache Übung vertraut wären...". [v] Das gute Abschneiden dieser neuen Erfindung sprach sich in der Schweiz, aber auch international sehr schnell herum. Insbesondere mehrere deutsche Kriegsministerien interessierten sich sehr stark für diese Büchse.


Die Wild'sche Büchse der badischen Jäger

Nach den Bestimmungen der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes sollten zwanzig Prozent der Mannschaften der Infanterie mit gezogenen Waffen ausgerüstet sein( [vi]).Dieser Forderung genügten jedoch längst nicht alle Gliedstaaten des Deutschen Bundes. Auch Baden, das die in den Jahren 1803/04 beschafften gezogenen Schützengewehre von Pistor in Schmalkalden während der napoleonischen Kriegen gegen glattläufige Voltigeurgewehre aus Frankreich eingetauscht hatte( [vii]), schob lange Jahre das leidige, weil teuere Büchsenproblem vor sich her. Es behielt die nun allerdings modernisierten, d.h. auf das Perkussionssystem umgebauten, teils aus Frankreich, teils aus St.Blasien stammenden Voltigeurgewehre für die Schützen bei. Erst im Jahre 1843 kam es nach großangelegten Versuchen, die durch eine badisch-württembergisch-darmstädtische Kommission in Ludwigsburg durchgeführt worden waren( [viii]), zur Einführung einer Büchse nach dem revolutionierenden System des Johannes Wild, welche jedoch erst im Jahre 1846 an die Truppe ausgegeben worden ist.


Da sich die badische Gewehrfabrik St.Blasien zum Zeitpunkt der Einführung der Wild'schen Büchse bereits in Auflösung befand, kam im Bereich des VIII. Armeekorps nur noch die Königlich Württembergische Fabrik in Oberndorf am Neckar als Hersteller und Lieferant in Frage. Somit fertigte Oberndorf neben dem Kontingent an Wild'schen Büchsen für Hessen-Darmstadt und Württemberg, die sich beide im Interesse einer gleichförmigen Munitionsversorgung innerhalb des VIII. Armeekorps ebenfalls zur Übernahme dieses Systems entschieden hatten, auch die von Baden in Auftrag gegebene Menge an neuen Büchsen. Allerdings war mit deren Einführung die Zwanzig-Prozent-Forderung der Bundeskriegsverfassung noch längst nicht erfüllt: Lediglich die besten drei Mann der bei jeder Infanterie-Kompanie vorhandenen zehn Schützen erhielten die neue Waffe, indem sie gleichzeitig zu "Scharfschützen" avancierten( [ix]). Bei einem Ist von 48 Kompanien bedeutete dies die Beschaffung von ca. 150 Büchsen nach dem Wild'schen System.

Infolge der revolutionären Ereignisse des Jahres 1849 und der damit im Zusammenhang stehenden Gesamtauflösung der badischen Armee kam es 1850 zur Reorganisation des badischen Militärwesens, anläßlich derer unter anderem zehn selbständige Infanterie-Bataillone zu vier Kompanien aufgestellt wurden. Als weitere Maßnahme wurde durch Höchste Ordre vom 19. Februar 1850 angeordnet, daß die Infanterie-Bataillone Nr.5 und Nr.10 als Füsilier-Bataillone aufzustellen waren, wobei die dritten Glieder dieser Einheiten mit Büchsen ausgerüstet werden, die übrigen Bataillone aber keine Scharfschützen mehr haben sollten( [x]). Kurz darauf revidierte man dies und befahl am 18. November 1851 die Vereinigung sämtlicher Scharfschützen der Infanterie in einer besonderen Schützenabteilung zu zwei Kompanien in der Garnison Karlsruhe, wobei die Anzahl der mit Büchsen und Hirschfängern Auszurüstenden auf 346 Schützen festgelegt wurde( [xi]). Offensichtlich gelang es jedoch nicht, die anvisierte Mannschaftsstärke ganz zu erreichen, denn bis Mitte 1852 belief sich die Anzahl der Schützen in jeder Kompanie auf nur 100 Mann. Am 3. November 1852 wurde eine dritte Kompanie errichtet, und am 18. Februar 1854 erging der Befehl zur Aufstellung einer vierten Kompanie unter gleichzeitigem Garnisonswechsel nach Freiburg/Br; die neue Sollstärke belief sich dabei auf 676 Jäger( [xii]) Da die seit 1846 im Bestand der Armee vorhandenen ca. 150 Wild'schen Büchsen zur Ausrüstung des nun vier Kompanien starken Bataillons bei weitem nicht ausreichten, war durch Erlaß des Kriegsministeriums bestimmt worden, daß das Bataillon bis zur Bereitstellung der kompletten Anzahl Büchsen im Falle einer Feldaufstellung mit Füsiliergewehren zu bewaffnen sei.

Hirschfänger zur Büchse 1843

Um den bedeutenden Fehlbestand an Büchsen auszugleichen, befahl der badische Großherzog schließlich am 9. November 1854, "daß zur gleichmäßigen und vollständigen Bewaffnung des Jägerbataillons

1. die in dessen Besitz befindlichen Wild'schen Büchsen zur Verwendung der Geschosse nach dem System Minié auf das Kaliber des Füsiliergewehrs aufgekolbt und mit fünf Minié-Zügen versehen werden....."( [xiii]).

Dieser kurze und knappe Befehl bedeutete das definitive Aus für das 14-zügige Wild-System in Baden. Gerade acht Jahre lang konnten sich die badischen Schützen mit den unleugbaren Vorteilen der Wild'schen Büchse auseinandersetzen, da hieß es schon wieder umlernen auf ein neues System.

Im Interesse einer Kaliberstandardisierung bei den Infanterie-Feuerwaffen innerhalb des VIII. Armeekorps hatten sich Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt zur Übernahme des in Frankreich entwickelten Systems Minié entschieden. Dieser Entscheidung mußte das Wild'sche System trotz seiner unbestreitbaren Vorteile zwangsläufig zum Opfer fallen, weil es eben speziell gefertigte Patronen benötigte, die mit den nun geltenden Intentionen nicht mehr vereinbar waren. Nach Jahrhunderten ihrer Entwicklung und Verwendung war damit die Pflasterbüchse letztlich doch ins Reich der Geschichte eingegangen - der Fortschritt hatte sie überrollt.


Ein zweites Leben

Der Befehl vom 09. November 1854, mit dem der Umbau der Wild'schen Büchsen auf das Minié-System angeordnet worden war, besagte ferner, "...daß die auf den vollen Stand noch fehlenden 450 Büchsen sofort in Bestellung gegeben werden, dieselben wie die bisherigen mit Messinggarnituren versehen werden, und daß für dieselben gleichzeitig 450 Stück Hirschfänger nach der bestehenden Ordonnanz angeschafft werden sollen"( [xiv]).

Die Abänderung der Büchsen, d.h. das Ausschleifen der 14-zügigen Läufe und Einschneiden von fünf flachen Zügen nach dem System Minié, fand bis zum 10. Januar 1855 in der Königlich Württembergischen Waffenfabrik Oberndorf a.N. statt.

Bezüglich der Neubeschaffung der 450 Minié-Büchsen wandte man sich, da Oberndorf wegen Umänderung von 20 000 württembergischen und großherzoglich hessischen Infanteriegewehren auf das Minié-System ausgelastet war, an Suhler Waffenfabrikanten, deren Liefervermögen aber offenbar auch nur sehr beschränkt war. Am 12. März 1859 hatte das Jägerbataillon erst 446 Büchsen bei einem Soll von 650 Stück im Bestand( [xv]), so daß noch 204 Büchsen fehlten. Da die vorliegende Waffe auf der Nase des Kolbenblechs die Nummer "465" zeigt, also offensichtlich erst nach der Bestandszählung vom 12. März 1859 zur Truppe kam, ist davon auszugehen, daß sie erst im Laufe des Jahres 1859 gefertigt und an das Jägerbataillon ausgeliefert wurde.

Darüber hinaus ist anzumerken, daß die neugefertigten Minié-Büchsen sich von den umgebauten Wild'schen Büchsen durch das Fehlen des Kolbenfachs unterschieden. Dieses Kolbenfach war bei der Wild'schen Büchse wegen der Ladeweise mit Schußpflaster, die in genügender Zahl im Kolbenfach mitgeführt werden mußten, unbedingt notwendig. Beim Minié-System konnte es jedoch entfallen, da hierbei keine Schußpflaster mehr erforderlich waren.

Nach der Einführung des Minié-Geschosses kam es häufig vor, daß durch ungleichmäßige Einwirkung der Treibgase das Geschoß im Lauf zerissen wurde, so daß der zylindrische Teil stecken blieb und der Spitzteil den Lauf verließ. Treffer konnten dabei natürlich nicht einmal auf kürzeste Entfernung erzielt werden. Dieser Überstand war um so empfindlicher, als der steckengebliebene Teil des Geschosses sich in der Regel so fest im Lauf verkeilte, daß nur durch sehr zeitraubende Manipulationen mit Ladestock und Krätzer der Geschoßrest aus dem Lauf geholt werden konnte, was im Ernstfall für die davon betroffenen Soldaten schlimme Folgen haben konnte.

Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, stellte Hauptmann Beust vom Jägerbataillon entsprechende Versuche an, die dazu führten, daß am Boden der Spitzkugel ein Pappdeckelspiegel angebracht wurde, der nun durch die Wirkung der Treibgase das Spitzgeschoß vor sich her aus dem Lauf trieb. Um zu gewährleisten, daß die Treibgase weiterhin das Culot in den Geschoßboden eintreiben konnten und das Geschoß damit erweitert wurde, hatte der Papptreibspiegel eine axiale Bohrung.

Dieses Geschoß wurde nach endgültiger Prüfung durch das badische Kriegsministerium in Karlsruhe am 09.Januar 1859 mit Erlaß Nr.535 offiziell eingeführt. Hauptmann Beust erhielt für seine außerordentlichen Verdienste vom Großherzog das Ritterkreuz des Ordens vom Zähringer Löwen verliehen( [xvi]).

Damit war das letzte Kapitel badischer Vorderladerbüchsen aufgeschlagen - nur noch wenige Jahre mußten sich die Jäger mit den Tücken dieses Systems auseinandersetzen: Im Jahre 1864, und damit früher, als die meisten Kollegen anderer Armeen, erhielten sie eine Hinterladerkonstruktion, die so herausragend war, daß sie eine eigene Geschichte wert ist..............


[i]) Heer, Eugen: Der Neue Stöckel, 3 Bde., Schwäbisch Hall 1978, Bd.2, S.1384

[ii]) Allgemeine Militärzeitung Darmstadt (AMZ) Jg.1842, Nr.126, S.1001 ff

[iii]) Wie Anmerkung 2

[iv]) Wie Anmerkung 2, S.1004

[v]) Wie Anmerkung 2, S.1008, Bericht der Versuchskommission

vom 04. August 1841

[vi]) AMZ 9 (1834), S.418-424

[vii]) Lander, Udo: Die badischen Gewehre und Karabiner M 1803 in: Deutsches Waffen-Journal Jg.1990, H.5, S.750 ff

[viii]) AMZ Jg.1844, S.549 ff

[ix]) v.Freydorf,die geschichtlichen Uniformen des jetzigen Badischen Leibgrenadier-Regiments, Karlsruhe 1903, S.200

[x]) Verordnungsblatt des badischen Kriegsministeriums (VoBl), 8.3.1850, S.48

[xi]) Geschichte der Schützenabteilung, späteren Jägerbataillons, jetzt Füsilierbataillon 1. Badischen Leibgrenadier-Regiments Nr 109, 1851-1867 (Handschrift), S.1

[xii]) wie Anm.10, S.19

[xiii]) wie Anm.10, S.4

[xiv]) ebenda

[xv]) Wie Anm.11, S.9

[xvi]) ebenda


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