Die Spitzkugel-Pistole M 1851 für Unteroffiziere und Trompeter der Dragoner des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin
Geschichte
Die Spitzkugel-Pistole M 1851 für Unteroffiziere und Trompeter der Dragoner des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin
Text: Udo Lander
Am 22.Mai 1849 kam es zum Abschluss einer Militärkonvention zwischen dem Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin und dem Königreich Preußen. Der § 2 dieses von den jeweiligen Landesherrn unterzeichneten Vertragswerkes sah für die großherzoglich mecklenburgischen Truppen unter anderem eine Kaliberangleichung der Handfeuerwaffen an die in Preußen verwendeten Gewehre, Karabiner und Pistolen vor. Dies bedeutete neben erheblichen finanziellen Aufwendungen für die vertragsgemäß neu zu beschaffenden Feuerwaffen auch das Ende der Karriere der in England im Jahre 1819 beschafften und in der Schweriner Münze auf das Perkussionssystem umgebauten Pistole M 1841.
Schwerin sucht nach einem Lieferanten
Da man in Mecklenburg-Schwerin seit jeher über keine eigenen Waffenmanufakturen verfügte, musste man sich zwangsläufig um einen ausländischen Lieferanten bemühen.
Sicherlich wäre es naheliegend gewesen, sich wegen der Neubeschaffung von Pistolen direkt an den Vertragspartner Preußen mit dessen leistungsfähigen Waffenfabriken zu wenden. Doch dieser Weg konnte nicht beschritten werden, da Preußen gerade selbst im Begriff war, ebenfalls eine neue Pistole für seine berittenen Truppen einzuführen.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren die berittenen Truppen Preußens noch mit der Steinschlosspistole M 1823 ausgerüstet. Der dringend notwendige Übergang auf das Perkussionssystem wurde nun mit der Normierung des neuen Pistolenmusters 1850 vollzogen. Da die preußischen Gewehrfabriken aber in der Hauptsache noch immer mit der Produktion von Zündnadelgewehren M/41 beschäftigt waren, und gleichzeitig mit der Fertigung der neuen Kavalleriewaffe auch die Umarbeitung der alten Steinschlosspistolen M 1823 auf das Perkussionssystem begonnen hatte, war die Kapazität der staatlichen Gewehrfabriken restlos ausgelastet.
Deswegen vergab Berlin erhebliche Aufträge zur Fertigung der neuen preußischen Pistole M 1850 an die private Suhler Gewehrindustrie. Es ist daher einleuchtend, dass eine Abgabe neuer Pistolen an ausländische Bündnispartner, in diesem Falle Mecklenburg-Schwerin, zu diesem Zeitpunkt keinesfalls in Frage kommen konnte.
So blieb der Schweriner militärischen Führung kein anderer Weg, als sich in der Pistolenfrage wie manch anderer Staat ebenfalls an die leistungsfähigen Suhler Waffenproduzenten zu wenden.
Die Lieferung aus Suhl
Der Umfang der Pistolenbestellung beim Suhler Fabrikenkonsortium Spangenberg, Sauer, Sturm & Hähnel (S&C) war jedoch eher bescheiden. Grund dafür war eine großherzogliche Verfügung aus dem Jahre 1851, wonach die Ausrüstung der Mannschaften mit Pistolen gänzlich abgeschafft worden war. Lediglich den Unteroffizieren und Trompetern war seit dieser Zeit eine Faustfeuerwaffe zugestanden, die Mannschaften dagegen führten nur noch einen Spitzkugelkarabiner.
Da der Kriegsetat des zu diesem Zeitpunkt einzigen mecklenburgischen Dragoner-Regiments für das Haupt- und Reservekontingent nur 61 Unteroffiziere und 17 Trompeter vorsah (das zweite Dragoner-Regiment wurde erst 1867 aufgestellt), dürfte sich die Gesamtbestellung bei Spangenberg in Suhl unter Berücksichtigung eines zusätzlichen, doppelten Bevorratungsbestandes auf ca. 160 Pistolen belaufen haben. Dieser kleinen Fertigungsstückzahl entspricht natürlich die heutige Seltenheit der mecklenburgischen Pistole, deren Existenz manchem Sammler von Ordonnanzwaffen des Deutschen Bundes deswegen gänzlich unbekannt sein dürfte.
Aber nicht nur die geringe Anzahl der gefertigten Pistolen erstaunt, weit erstaunlicher ist, für welche Pistolenkonstruktion sich die Mecklenburger Militärs damals entschieden haben.
Spitzkugelpistole M 1851
Technische Daten und Beschreibung
Gesamtlänge 379mm
Lauflänge 221mm
Kaliber des gezogenen Laufs 15,3/16,3mm
Anzahl der Züge 4
Schlossblechlänge 115mm
Gegenblechlänge 105mm
Gewicht 1350 g
Nussbaum-Halbschaft mit Eisenbeschlägen, diese bestehend aus von unten am Lauf verschraubtem Laufring, Abzugsbügel mit Fingerhaken, oberem und unterem Kolbenbügel, Kolbenkappe und s-förmigem Gegenblech; gezogener Lauf mit Patentschwanzschraube, im Bereich des Pulversacks achtkantig, dann rund mit Mündungswulst; in den Lauf integrierter Pistonsockel mit Reinigungsschraube; rückliegendes Perkussionsschloss ohne Pistonsicherung; Visiereinrichtung bestehend aus Standkimme auf dem Schwanzschraubenblatt und Eisenkorn auf dem Lauf.
Die Mecklenburger Variante der preußischen Pistole M 1850
Betrachtet man die Mecklenburger Pistole nur oberflächlich, ist man versucht, anzunehmen, es handele sich um ein preußisches Modell; zu groß ist ihre Ähnlichkeit mit der preußischen Pistole M 1850 - wenn man einmal vom Material der Beschläge absieht, die bei der vorliegenden Waffe aus Eisen, beim preußischen Pendant aber aus Messing gefertigt sind.
Aber auch das Fertigungsjahr 1851 auf dem Lauf, das man von vielen preußischen Pistolen M 1850 kennt sowie dessen Platzierung an exakt der selben Stelle des Laufs im Nahtbereich zwischen Lauf und Patentschwanzschraube bestärken den Betrachter in dieser Annahme.
Tatsächlich entsprechen die Formen und die Dimensionen der eisernen Beschläge, des Schaftes und des Laufs exakt der in Preußen eingeführten Waffe. Abweichend ausgeführt sind lediglich das rückliegende Perkussionsschloss mit seinem dazu passenden Gegenblech und vor allem der vierfach gezogene Lauf. Dies alles kann beim unvoreingenommenen Betrachter die Vermutung aufkommen lassen, hier eine seltene preußische Versuchswaffe in Händen zu halten. Tatsächlich wurde die Pistole auch als solche zum Kauf angeboten.
Doch ein Blick auf die an der Pistole vorhandenen Stempel zeigt sofort, dass eine preußische Provenienz des Stückes auszuschließen ist, denn an der Nahtstelle zwischen Lauf und Patentschwanzschraube, dort wo man an den preußischen Pistolen in aller Regel das sattsam bekannte "FW"-Monogramm des preußischen Königs unter einer Krone findet, liest man eindeutig ein "MS", das zweifellos als "Mecklenburg-Schwerin" zu deuten ist. Dies ist insofern nichts ungewöhnliches, als andere und ähnliche Länderkennungen, wie zum Beispiel "SH" für Schleswig-Holstein oder "SCG" für Sachsen-Coburg Gotha bekannt sind. Dazu kommt die in ihrer Schreibweise für Preußen völlig untypische Truppensignatur an der Kolbenkappe.
Zwang zur Rationalisierung
Warum sich die Mecklenburger Militärs für diesen Pistolentyp mit gezogenem Lauf und Rückschloss entschieden haben, liegt auf der Hand.
Im Jahre 1851 hatte Mecklenburg-Schwerin damit begonnen, seine Infanterie mit gezogenen Spitzkugelgewehren auszurüsten, welche ebenfalls ein Rückschloss besaßen und die gleichfalls aus Suhl bezogen worden waren. Diese Gewehre wurden in einer kleinen Schrift des damaligen Divisionskommandeurs von Witzleben im Jahre 1852 wegen ihrer hervorragenden Konstruktion ganz ausdrücklich hervorgehoben und den Soldaten als "Modellgewehre erster Klasse" zur besonderen Pflege anempfohlen .
So ist anzunehmen, dass man das System der Gewehre sowohl auf den gleichzeitig für die Mannschaften des Dragoner-Regiments eingeführten Spitzkugelkarabiner als auch - mit Rücksicht auf eine einheitliche Munitionsausstattung - auf die Pistole für die Unteroffiziere und Trompeter übertragen hat.
Die Ausrüstung der Unteroffiziere und Trompeter mit der neuen Pistole begann bereits im Juli 1851, doch wurden die neuen Waffen erst nach Herausgabe der dazu notwendigen Vorschriften und Munitionsetats im folgenden Jahr in Gebrauch genommen. Als Übungsmunition veranschlagte man für jeden Unteroffizier und Trompeter 30 scharfe Patronen pro Jahr. Von dieser Munition verschossen die Soldaten mit der Pistole 18 Schuss zu Fuß, 10 zu Pferd und 2 zu Versuchen jeweils auf 100 Schritt.
Der Dorn in Mecklenburg
Die mecklenburgischen Spitzkugelwaffen, sowohl die Gewehre, als auch der Karabiner und die Pistole waren ursprünglich für das von dem französischen Obristen Thouvenin entwickelte Ladungssystem eingerichtet, das es ermöglichte, Geschosse, deren Durchmesser im Interesse einer leichten Ladefähigkeit kleiner als das Laufkaliber war, durch Rammstöße mit dem Ladestock im Kaliber zu vergrößern. Durch diese Kalibervergrößerung erreichte man, dass das Geschoss in die Züge gepresst wurde und damit die erwünschte Führung und so den richtungsstabilisierenden Drall erhielt. Dazu befand sich an der Patentschwanzschraube im innern des Laufs ein ca. 30mm langer, zylindrischer Dorn exakt in der Seelenachse, um den herum sich das Treibladungspulver ansammeln konnte und auf dem das Geschoss wie auf einem Amboss mittels des Ladestocks gestaucht wurde.
Die Untersuchung des Laufs ergab aber, dass die vorliegende Pistole diesen Dorn nicht, oder besser gesagt, nicht mehr besitzt.
Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass Mitte der 50-er Jahre des 19. Jahrhunderts das ebenfalls von einem Franzosen entwickelte MINIÉ-System das bisher gebräuchliche System THOUVENIN verdrängte und von vielen Armeen des Deutschen Bundes übernommen wurde.
Diese neue Konstruktion kam ohne Dorn zur Kalibererweiterung des Geschosses aus, weil nun das Projektil am Boden mit einer von unten nach oben konischen Höhlung versehen war, in der ein sogenanntes "Culot" saß. Der Expansionsdruck der Treibgase presste beim Schuss das eiserne Culot in die Höhlung, wodurch das Geschoss aufgeweitet wurde und dadurch Führung in den Zügen erhielt.
Der Umbau auf dieses neue System war recht einfach, brauchte man doch nur den Dorn an der Patentschwanzschraube zu entfernen. Und genau dieser Umbau wurde an der Pistole offensichtlich vorgenommen, womit sie mit einfachen Mitteln zwar wieder auf dem für Vorderlader technisch neuesten Stand ihrer Zeit, aber im Hinblick auf die seit langem Furore machenden Zündnadelwaffen restlos veraltet war. Dennoch ist die vorliegende Pistole entsprechend der an der Kolbenkappe vorhandenen Stempelung zumindest noch bis kurz vor dem Feldzug von 1866 in der 2. Eskadron des Mecklenburgischen Dragoner-Regiments von einem Unteroffizier oder Trompeter dieses Verbandes verwendet worden.
Dann aber waren auch ihre Tage gezählt. Mit großherzoglicher Verfügung vom 9.Mai 1866 hatten die Mannschaften des Dragoner-Regiments ihren altehrwürdigen Vorderlader-Spitzkugelkarabiner M 1851 gegen neue preußische Hinterlader-Zündnadelkarabiner M/57 einzutauschen , was durchaus als Fortschritt zu werten ist.
Ganz hart aber traf es die Soldaten mit den Pistolen: Gleichzeitig mit der Umrüstung auf die Zündnadelkarabiner mussten die Unteroffiziere und Trompeter des Regiments ihre veralteten, doch immerhin gezogenen und daher eigentlich recht treffsicheren Vorderlader-Pistolen M 1851 abgeben. Als Ausgleich erhielten sie dafür die in der preußischen Armee eingeführten, noch weit anachronistischeren, glatten Pistolen M 1850, ein Vorgang, der sich bei anderen, durch Militärkonventionen an Preußen gebundenen Kontingenten mehrfach wiederholte. Allerdings war der Grund hierfür keinesfalls in einem übermächtigen preußischen Konservativismus zu suchen, sondern einfach im Zwang zur Munitionsvereinheitlichung zwischen der preußischen Armee und den berittenen Kontingenten der mit Preußen verbündeten Staaten.