Steinschlosspistole für die Gendarmerie des Großherzogtums Cleve-Berg 1808 - 1813


Geschichte


Text: Udo Lander

Durch die Errichtung des Rheinbundes im Juni 1806, welche die Auflösung des altehrwürdigen „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ zur Folge hatte, war es Napoleon I. gelungen, zwei Ziele gleichzeitig zu erreichen: Auf der einen Seite bedeutete der Rheinbund eine empfindliche Schwächung seiner Hauptgegner Preußen, Österreich und Russland, auf der anderen Seite hatte der französische Kaiser dadurch nahezu unbeschränkte Zugriffsmöglichkeiten auf die Militärkontingente der Mitgliedsstaaten des Rheinbundes erhalten. Eben davon machte Bonaparte im Laufe seiner Regierungsjahre exzessiven Gebrauch.

Düsseldorf rüstet auf

Einer dieser Rheinbundstaaten war das von Napoleon aus bayerischen und preußischen Landesteilen Ende 1805 künstlich geschaffene Großherzogtum Cleve-Berg, in dessen Hauptstadt Düsseldorf anfänglich des Kaisers Schwager Joachim Murat als Großherzog regierte. Murat erschien zunächst, bezogen auf die Größe seines Territoriums, die Errichtung eines Infanterie- und eines Kavallerieregiments als vollauf genügend. So erging der Beschluss zur Errichtung eines Chevaulegers-Regiments am 21. Mai 1807 und schon im April 1808 konnte das Regiment als komplett gemeldet werden.

MuratNach dem Frieden von Tilsit, der dem kleinen Großherzogtum eine nicht unbedeutende Gebietsvergrößerung auf Kosten Preußens einbrachte, ließ Murat noch ein zweites Infanterieregiment errichten, doch wollte Napoleon sich damit nicht zufrieden geben.

Noch bevor sein Schwager den Thron in Düsseldorf verließ, um als König in Neapel Einzug zu halten, hatte Napoleon, der die Regierung in Düsseldorf nun stellvertretend für seinen noch minderjährigen Neffen Louis übernommen hatte, den Innenminister Graf Nesselrode beauftragt, eine Reorganisation und Vermehrung des cleve-bergischen Truppenkontingents in die Wege zu leiten. Nach entsprechender Vorlage entschied der Kaiser am 29. August 1808, daß das Großherzogtum ab sofort eine Infanteriebrigade à drei Regimenter, ein Regiment Kavallerie, ein Bataillon Artillerie und zwei Kompanien Veteranen sowie eine Legion Gendarmerie mit 342 Mann zu stellen habe; alles zusammen mussten somit 6.600 Soldaten aufgebracht und ausgerüstet werden.

Schon drei Jahre später setzte ein neuerliches kaiserliches Dekret die Stärke des großherzoglichen Militärs auf vier Regimenter Infanterie und ein Regiment Chevaulegers-Lanciers mit insgesamt 9.400 Soldaten fest.

Nach der Katastrophe in Russland im Winter 1812 musste das Großherzogtum 1813 dann nochmals 5000 Mann, eine Brigade Kavallerie, ein Regiment Infanterie und eine Kompanie berittene Artillerie stellen.

Die Folgen der Dauer-Rekrutierung

Als sich im Großherzogtum das Desaster der Grande Armee während der letzten Monate des Jahres 1812 herumgesprochen hatte und bekannt wurde, daß schon wieder eine neue Armee mit tausenden von Soldaten ausgehoben werden sollte, kam es in Cleve-Berg zum allgemeinen Aufstand.

Das Großherzogtum hatte 1813 noch einmal eine kaiserliche Ordre erhalten, zum Aufbau einer neuen, umfangreichen Armee schon wieder 5000 Infanteriesoldaten und 500 Kavalleristen zu stellen. Ohne Verzögerung begann die Aushebung, und obwohl Berg bereits den größten Teil seiner Söhne und Männer verloren hatte, blieb die Regierung hart bei der Durchsetzung der kaiserlichen Ansprüche. Von vornherein hatte man die Namen aller dienstfähigen Männer im Alter von 15 bis 50 Jahren erfasst, aber immer mehr der von der Konskription betroffenen Dienstpflichtigen begannen sich zu verstecken oder zu fliehen, um sich so nach Möglichkeit dem verhassten Militärdienst zu entziehen.

Die Bergische Gendarmerie greift durch

Sofort aber wurden von der Regierungsseite strengste Gegenmaßnahmen getroffen: Die Bergische Gendarmerielegion, hervorgegangen aus dem Bergischen Sicherheitskorps von 1782 und eigentlich

geschaffen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Land, gerierte nun unter der Führung eines Elsässers mit Namen Fittreman im ständigen Kampf mit den Einwohnern zum Jäger nach Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern, stellte diese, nahm sie fest und führte die Delinquenten dem Militär zu. Es war oft ein jammervolles Schauspiel, wenn man 20 bis 30 dieser armen Elenden zusammengetrieben hatte und ein Gendarm die Gefesselten mit einem Seil am Sattelknopf angebunden wegführte. Man brachte sie in besonderen Baracken unter, wo sie von einem Detachement französischer Veteranen bewacht wurden, deren Loyalität zum Kaiser über jeden Zweifel erhaben war. Ein einziges Mal konnten etwa 200 Gefangene in die Wälder entkommen, doch hatte man auch für diese Fälle vorgesorgt: Konnte oder wollte man die Flüchtigen nicht fangen, sperrte man einfach deren Vater, Mutter oder Ehefrau so lange ein, bis der unglückliche Deserteur freiwillig zur Fahne eilte. Auf diese Art und Weise fehlte hinterher kein Einziger mehr .

Feuerwaffen aus Essen

Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und letztlich auch zur Jagd auf Deserteure waren die in zwei Eskadrons à zwei Kompanien organisierten, berittenen Gendarmen des Großherzogtums Cleve-Berg mit einem Pallasch, einem Karabiner und einem Paar Pistolen ausgerüstet. Die Feuerwaffen entsprachen dabei im Großen und Ganzen denjenigen der französischen Gendarmerie, wenngleich sie in Details davon abwichen. Auch kamen diese Waffen nicht aus einer der französischen Staatsmanufakturen, sondern sie sind im Großherzogtum selbst beschafft worden.

Zur Ausrüstung der Gendarmen lieferte die in Essen wieder neu errichtete und seit Februar 1808 arbeitsfähige Gewehrfabrik der Herren Pieul und Pelletier aus Lüttich neben den erwähnten Karabinern eine nicht näher bekannte Anzahl von Gendarmeriepistolen, die offensichtlich Teil einer 6.000 Militärwaffen umfassenden Bestellung war . Geht man jedoch von einer Mannschaftsstärke von 342 Mann und paarweiser Ausstattung mit Pistolen aus, so dürften mindestens 684 Pistolen für die bergische Gendarmerie gefertigt worden sein. Dies erscheint zwar als eine stattliche Anzahl, gemessen jedoch an den Stückzahlen anderer Feuerwaffen aus den französischen Staatsmanufakturen, allen voran die Kavalleriepistole M an 13 mit weit über 150 000 Paaren, relativiert sich dieser Eindruck sehr schnell.

Gendarmeriepistole aus der Waffenfabrik Essen

Technische Daten und Beschreibung

Gesamtlänge 247mm

Lauflänge 130mm

Schlosslänge 103mm

Länge des Laufrings oben 34mm

Kaliber 15,2mm

Dunkler Nussbaum-Vollschaft mit Messingbeschlägen, diese bestehend aus rechtsseitig federarretiertem, doppelbündigem Laufring mit Trichter für den Ladestock, Schlossgegenblech für zwei Schrauben, Kolbenkappe und einteiligem Abzugsbügel mit vorderer und hinterer Verlängerung, Steinschloss nach französischem Vorbild M an 9 mit gewölbtem Herzhahn und gegossener Messingpfanne, auf dem Schlossblech außen die Herstellersignatur „Manufre De Eßen“, darüber Kontrollstempel „P“ (vermutlich Pieul oder Pelletier). Sehr gute Schlossfunktion. Runder, am Pulversack seitlich abgeflachter Lauf ohne Visiereinrichtung. Zugehöriger, eiserner Ladestock mit Endgewinde und nagelförmigem Kopf.

Die in den Jahren 1808 und 1809 für die cleve-bergische Gendarmerielegion gefertigten Pistolen orientierten sich deutlich an den französischen Vorbildern des Modells an 9, selbst die Dimensionen stimmen bis auf den Millimeter, die Beschläge jedoch hat man in der Essener Fabrik aus Messing gegossen. Auch die Schäftung ist im Bereich des Kolbens geringfügig anders ausgeführt, als man dies von den französischen Pendants gewöhnt ist.

Das Privileg

Dem eifrigen Bemühen des Ministers des Innern, Grafen Nesselrode in Verbindung mit dem kaiserlichen Kommissar Beugnot hat es die Essener Manufaktur zu verdanken, daß ihr der französische Kaiser in Anbetracht der geleisteten Arbeit für die cleve-bergischen Rheinbund-Truppen im November 1809 das Privileg erteilte, sich ab sofort „Großherzoglich Bergische Manufaktur“ nennen zu dürfen.

Die Herstellersignatur „Manufacture de Essen“ auf dem Schlossblech der Gendarmeriepistole belegt somit eindeutig, daß die Pistole vor dem November 1809 gefertigt worden ist. Erst ab diesem Monat durfte sich die Waffenfabrik mit der Erteilung des kaiserlichen Privilegs „großherzoglich“ nennen und signierte folglich ab dieser Zeit mit „Manufacture Grande Ducale à Eßen“. Da auch erst ab dieser Zeit das strikte französische Kontrollsystem in der Waffenfabrik aktiviert wurde, findet man an der vorliegenden Pistole natürlich keine entsprechenden Kontrollstempel auf dem Lauf oder gar eine Modellbezeichnung auf der Verlängerung der Schwanzschraube.

Feuerwaffen aus der Manufaktur Essen, die mißverständlicherweise von vielen deutschen Sammlern als „französisch“, von den meisten französischen Sammlern aber als „deutsch“ bezeichnet und eingeordnet werden, sind heute sehr selten zu finden.

Bekannt sind einige wenige Pistolen M an 13 und noch weniger Karabiner M 1786, jeweils mit der Signatur „Manufacture Grande Ducale à Eßen“ auf den Schlossblechen. Darüber hinaus existiert im Wehrgeschichtlichen Museum in Rastatt eine Kavalleriepistole mit der ungefähren Form der französischen Kavalleriepistole M 1763/66, die auf ihrem Schlossblech als einzig weitere bisher bekannte Waffe ebenfalls das zuerst verwendete Signat „Manufacture de Eßen“ zeigt.

Die hier vorgestellte Gendarmeriepistole nach dem französischen Muster an 9 aus der Manufaktur Essen jedoch ist die einzige ihrer Art, die überlebt und bis heute bekannt geworden ist. Sie ist ein zwar stummer, aber dennoch sehr beredter Zeuge für eine besonders schlimme Zeit in Deutschland, welche nun schon fast 200 Jahre zurückliegt.........sie ist ein Teil unserer Geschichte geworden!

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