DIE BADISCHE JÄGERBÜCHSE M 1863


Geschichte


Text: Udo Lander

Mit Erlass Nr. 2066 des Badischen Kriegsministeriums vom 22. Januar 1864 wurde die im Jahr zuvor normierte Hinterladerbüchse M 1863 sowie die von der Schießkommission des Jägerbataillons dafür vorgeschlagene Munition als Feuerwaffe für das Jägerbataillon eingeführt1.

Damit hatte Baden – wenn auch nur für einen kleinen Teil der Armee – im Bereich der süddeutschen Kaliberunion als erstes Land den bedeutenden Schritt vom Vorderlader zu einem modernen, feldbrauchbaren Hinterladersystem getan – ein Vorgang, der in weiten Teilen des Deutschen Bundes für gehöriges Aufsehen und entsprechende Beachtung sorgte.

Die Gründe, warum sich Baden gegen das zumindest seit 1848 bekannte preußische Zündnadelsystem Dreyse und für die Übernahme des Terry-Verschlusses entschieden hat, waren folgende: Die Übernahme des preußischen Systems mit seinem Kaliber von 15,43mm hätte die Kaliberunion der süddeutschen Staaten gesprengt, dagegen eignete sich das Terry-System sehr gut für das bereits bei der Infanterie eingeführte Vereinskaliber 13,9mm. Ein weiterer Grund lag im System selbst: Die Zündung der von hinten in das Patronenlager eingeschobenen Patrone geschah nach wie vor durch ein Perkussionszündhütchen von außen – das Perkussionssystem war beibehalten worden – was bedeutete, dass der Zündstrahl das Patronenpapier durchschlagen musste; die Gasabdichtung nach hinten geschah durch einen in der Patrone eingearbeiteten Filzpfropf, der beim Schuss im Patronenlager verblieb und durch den nächsten Schuss aus dem Lauf getrieben wurde. Der nicht zu unterschätzende Vorteil dieses Verfahrens beruhte darin, dass im Notfall, wenn keine fertige Büchsenmunition mehr vorhanden war, die Büchse auch von vorne mit den normalen Infanteriegeschossen des kleinen 13,9mm-Kalibers geladen werden konnte, wozu allerdings bei jeder Ladung ein Filzpfropf zur Gasabdichtung in den Lauf gegeben werden musste.

Der Verschluss wird durch einen in der hinteren Verlängerung des Laufes axial beweglichen Zylinder gewährleistet, dessen im vorderen Viertel angebrachten Verriegelungswarzen durch Drehung des Zylinders nach rechts in entsprechende Ausfräsungen der Verschlusskammer eingreifen. Das Öffnen geschieht also durch Aufdrehen und Zurückziehen, das Schließen durch Vorschieben und Zudrehen des Zylinders. Ein Zusammenwirken von Verschluss und Perkussionsschloss gewährleistet, dass erst bei völlig zugedrehtem Zylinder der Hahn nach vorne schlagen kann, womit ein unbeabsichtigtes Abfeuern der Waffe bei aufgesetztem Zündhütchen und gespanntem Hahn, aber noch nicht geschlossener Patroneneinlage zuverlässig verhindert wird. Das Laden umfasste fünf Handgriffe:

1. Öffnen des Verschlusses

2. Einlegen der Patrone

3. Vorschieben der Patrone in das Patronenlager und Schließen des Verschlusses

4. Spannen des Hahns

5. Aufsetzen des Zündhütchens

Damit entsprach die Anzahl der Ladegriffe exakt derjenigen, die für das preußische Zündnadelsystem erforderlich war, wenngleich nicht verkannt werden darf, dass das zeitraubende Aufsetzen eines Zündhütchens die Feuergeschwindigkeit im Vergleich zu einem Zündnadelgewehr erheblich herabsetzte.

Bemerkenswert an der badischen Büchse M 1863 ist ihr Derivationsvisier, das auf eine Erfindung des Großherzoglich Hessischen Hauptmanns Wilhelm v. Ploennies zurückgeht2, und das die für lange Zeit unerklärliche Seitenabweichung des Geschosses – die sogenannte „Derivation“ – ausglich. Ursache dieser Geschossabweichung waren die sogenannten „konischen Pendelungen“, die bei allen Langgeschossen auftreten und dem Luftwiderstand einen seitlichen Angriffspunkt bieten. Dabei ist für die Größe der Derivation in erster Linie die Geschwindigkeit des Geschosses maßgeblich, d.h. mit zunehmender Geschwindigkeit wirkt sich die Derivation immer geringer aus. Dies erklärt, warum die sehr schwere3n und daher langsam fliegenden Spitzkugeln z.B. des Minié-Systems die größten Seitenabweichungen hatten. Um diese Seitenabweichung auszugleichen, war das Visierscharnier der badischen Jägerbüchse nicht wie üblich im Winkel von 90° zur Laufachse, sondern schräg zur Laufachse montiert, so dass, je höher das Visier eingestellt wurde, sich der Kimmeneinschnitt immer weiter aus der Ebene der Laufachse entfernte. Die Seitenabweichung wurde somit durch entsprechendes Vorhalten ausgeglichen.

Laut Vollmer wurden 1000 Büchsen bei der Firma Spangenberg & Sauer in Suhl gefertigt.

1865 wurden dann die Büchsen auf das Zündnadelsystem umgebaut, weshalb Exemplare im Originalzustand sehr selten sind.

Die hier vorgestellte Büchse befindet sich im WGM (Inventarnummer 006496).



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