Englische Boxlockpistolen von BOND in London
Geschichte
Text Udo Lander
Über das Thema „englische Boxlockpistolen“ wurde schon sehr viel und ausführlich berichtet. Und nicht zuletzt dank der wirklich gelungenen Sonderausstellung im Wehrgeschichtlichen Museum Rastatt zu diesem Thema konnte der eine oder andere Interessierte sich einen sicherlich recht nachhaltigen Eindruck von dieser sehr vielfältigen Pistolenspezies verschaffen.
Ohne Schlüssel ging nichts
So ist allgemein bekannt, dass bei die Mehrzahl dieser Taschenwaffen der meistens glatte Lauf zum Einbringen der Ladung abgeschraubt werden konnte. In den somit freistehenden Gewindeteil mit integrierter Pulverkammer wurde dann das Pulver eingegeben, eine kalibergleiche Kugel der konkaven Frontseite aufgesetzt und der Lauf wieder aufgeschraubt. Durch die Passkugel erreichte man, dass nur wenig Treibgas am Geschoss vorbei ungenutzt entweichen konnte, was der Treffgenauigkeit und Reichweite zu Gute kam. Damit Lauf und Pistole fest verbunden wurden, benutze man einen speziellen Schlüssel, welcher entweder über den Lauf geschoben in einen außen am Lauf angebrachten Nocken eingriff, mit dessen Hilfe das Drehmoment auf den Lauf übertragen wurde. Andere Schlüssel griffen mit einem sternförmig gearbeiteten Konus in Pseudozüge an der Laufmündung ein, womit ebenfalls ein Festziehen des Laufs auf dem Gewindesockel möglich wurde. Nachteilig an diesem ansonsten recht guten System war, dass der Verlust des Schlüssels ein erneutes Laden unmöglich machte: Der fest angezogene Lauf war ohne dieses Werkzeug nicht mehr abschraubbar. Zwar hätte man die Pistole durchaus auch von vorne laden können, dazu wäre jedoch ein Ladestock notwendig gewesen, der aber auch nicht zur Verfügung stand.
Wie das nachfolgend vorgestellte Pistolenpaar eines Londoner Büchsenmachers der bekannten BOND-Familie demonstriert, waren sich manche Waffenhandwerker dieses Mankos durchaus bewusst und haben versucht, die systemimmanenten Nachteile durch eine andere Konstruktion auszugleichen.
Der Unterschied
Auf den ersten Blick unterscheiden sich die beiden Pistolen von Bond aus London im feuerbereiten Zustand nicht von den allgemein bekannten Boxlockpistolen mit abschraubbarem Lauf. Brettschaft, Schlosskasten, typischer Hahn mit Schiebesicherung, Pfanne mit Batterie und der dort aufgesetzten Batteriefeder alles ist so, wie man es eigentlich kennt.
Schaut man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass eine normalerweise sichtbare Nahtstelle zwischen Schraublauf und Pulverkammer gar nicht existiert. Bei noch genauerem Hinsehen entdeckt man schließlich, dass sich zwischen Lauf und Beginn des Schlosskastens eine Naht befindet, die sich sogar bis in den Anschluss der Pfanne an den Schlosskasten erstreckt. Nicht nur der Lauf ist abschraubbar, nein, das gesamte System zusammen mit Pfanne und Batterie lässt sich in einem Stück vom Schlosskasten abschrauben!
Zum Auf- oder Abschrauben dient dabei sozusagen als Handhabe oder Hebel die Batterie mitsamt der Pfanne, so dass der Gebrauch eines wie auch immer gearbeiteten Schlüssels mit den bereits dargestellten Nachteilen entfällt. Damit sich das System nach dem Laden nicht ungewollt öffnet, kann der Abzugsbügel in Längsrichtung verschoben werden. Diese Bewegung wird im Schlosskasten so umgesetzt, dass ein Verriegelungsstift beim Vorschieben des Abzugsbügels aus der Frontplatte des Schlosskastens austritt und in eine Bohrung eingreift, die an der hinteren Stirnseite der Pfanne angebracht ist. Dies gewährleistet, dass sich zum einen das Laufgewinde nicht öffnen kann und dass zum anderen die Schlagfläche der Batterie immer exakt vor dem Hahn steht. Damit der Abzugsbügel in der vorderen Position bleibt und nicht selbsttätig und vor allem ungewollt die Laufsperre aufhebt, wird er im Innern des Schlosskastens mittels einer Blattfeder gerastet. Diese Rast benötigt beim Zurückziehen des Abzugsbügels ein gewisses Maß an Kraft zur Entriegelung.
Ein weiterer Unterschied
Die Andersartigkeit der vorliegenden Konstruktion im Gegensatz zu den bekannten Taschenpistolen mit Schraublauf zeigt sich darüber hinaus erst nach dem Entfernen des Laufs: Während bei den herkömmlichen Schraublaufpistolen der feststehende Gewindeteil am Schlosskasten hohl gearbeitet ist und als Pulverkammer dient, sucht man Derartiges am Pistolenpaar von Bond vergeblich. Zwar existiert auch hier ein Gewindeteil am Schlosskasten, doch eine Pulverkammer sucht man vergeblich, und eine konkave Aushöhlung der Frontseite dieser Pulverkammer, in die normalerweise die Kugel eingelegt wurde ist auch nicht vorhanden. Im Gegenteil, dort wo normalerweise die Einlage für das Geschoss zu erwarten wäre. sieht man nur eine genau gegensätzlich geformte, also konvexe Abschlussfläche, auf die mit Sicherheit keine Kugel aufgelegt werden konnte.
Wie also hat man sich den Ladevorgang vorzustellen? Auf die herkömmliche Art kann das jedenfalls nicht funktionieren.
Der Ladevorgang
Den technischen Daten kann man entnehmen, dass zwischen dem Kaliber an der Mündung und dem Kaliber an der Gewindeseite des Laufs ein Unterschied von
0, 62mm besteht, d.h. der Innendurchmesser der Laufbohrung ist hinten etwas größer als an der Mündung. . Zum Laden, so ist anzunehmen, hat man eine Passkugel eingeschoben, deren Durchmesser größer war als das Mündungskaliber, die dann ihrerseits den Lauf in Richtung der Mündung abdichtete. In den nun hinter der Kugel freien Raum des Innengewindeteils brachte man dann das Pulver ein und danach wurde der Lauf wieder aufgeschraubt. Der damit in den Lauf eindringende Gewindebolzen drückte nun das Pulver zusammen mit der Kugel in Richtung Mündung, wodurch diese eine optimale Passung im Lauf erhielt.
Fraglich bleibt, ob das Geschoss einzeln und das Pulver tatsächlich in loser Form aus einer Pulverflasche eingefüllt wurde, oder ob man vorgefertigte Papierpatronen mit eingebundener Kugel verwendet hat. Das Letztere erscheint praktikabler, vor allem erforderte es weniger Handgriffe und war damit schneller. Doch die weitere Vorgehensweise verdrängt den Gedanken an eine Papierpatrone vollends, sie ist nur möglich bei lose eingeschüttetem Pulver aus einer Pulverflasche
Handicap
Noch fehlte zum Abschluss des Ladevorgangs das Pulver in der Pfanne. Am einfachsten und logischsten wäre es gewesen, wenn das Pulver vom Laufinnern und bei geschlossenem Pfannendeckel durch das Zündloch in die Pfanne hätte rieseln können. Die sechs Umdrehungen des Laufs, die nötig waren, um den Lauf festzuschrauben, hätten sicherlich ausgereicht, genügend Pulver in die Pfanne zu befördern. Voraussetzung dafür wäre aber gewesen, dass das Pulver lose und nicht in einer Papierpatrone im Lauf lag. Jedoch die Praxis des Aufschraubens des Laufs zeigt klar und unmissverständlich, dass es so nicht funktionieren kann egal ob mit oder ohne Papierpatrone:
Wie erwähnt, wäre es zum Funktionieren dieser Art der Pfannenbeschickung erforderlich gewesen, dass der Pfannendeckel geschlossen bleibt. Doch die Praxis zeigt, dass dies unmöglich ist. Mit geschlossenem Pfannendeckel lässt sich der Lauf nicht auf seinen Gewindesockel aufschrauben die dann in Feuerstellung stehende Batterieschlagfläche bleibt am Abzugsbügel hängen, selbst wenn dieser in seiner hintersten Stellung steht. Nur das Öffnen der Batterie und damit der Verlust des Zündpulvers lässt weitere Laufdrehungen zu. Natürlich konnte man das Herausfallen des Pulvers aus der Pfanne dadurch verhindern, dass der Lauf mitsamt der geöffneten Pfanne immer nach oben gehalten wird und man dafür die Pistole dreht . Das funktioniert tatsächlich, doch dürfte eben diese Schwierigkeit dafür gesorgt haben, dass sich diese Pistolenart niemals flächendeckend durchsetzen konnte. Das System blieb jedenfalls bis heute nahezu unbekannt, wenngleich renommierte englische Büchsenmacher wie Durs Egg oder Joseph Manton ebenfalls Pistolen mit dieser Konstruktion fertigten.
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