HIRSCHFÄNGER ZUR BADISCHEN JÄGERBÜCHSE M 1843


Geschichte


Text: Udo Lander

Die Wild'sche Büchse der badischen Jäger

Nach den Bestimmungen der Kriegsverfassung des Deutschen Bundes sollten zwanzig Prozent der Mannschaften der Infanterie mit gezogenen Waffen ausgerüstet sein.Dieser Forderung genügten jedoch längst nicht alle Gliedstaaten des Deutschen Bundes. Auch Baden, das die in den Jahren 1803/04 beschafften gezogenen Schützengewehre von Pistor in Schmalkalden während der napoleonischen Kriegen gegen glattläufige Voltigeurgewehre aus Frankreich eingetauscht hatte, schob lange Jahre das leidige, weil teuere Büchsenproblem vor sich her. Es behielt die nun allerdings modernisierten, d.h. auf das Perkussionssystem umgebauten, teils aus Frankreich, teils aus St.Blasien stammenden Voltigeurgewehre für die Schützen bei. Erst im Jahre 1843 kam es nach großangelegten Versuchen, die durch eine badisch-württembergisch-darmstädtische Kommission in Ludwigsburg durchgeführt worden waren, zur Einführung einer Büchse nach dem revolutionierenden System des Johannes Wild, welche jedoch erst im Jahre 1846 an die Truppe ausgegeben worden ist.


Da sich die badische Gewehrfabrik St.Blasien zum Zeitpunkt der Einführung der Wild'schen Büchse bereits in Auflösung befand, kam im Bereich des VIII. Armeekorps nur noch die Königlich Württembergische Fabrik in Oberndorf am Neckar als Hersteller und Lieferant in Frage. Somit fertigte Oberndorf neben dem Kontingent an Wild'schen Büchsen für Hessen-Darmstadt und Württemberg, die sich beide im Interesse einer gleichförmigen Munitionsversorgung innerhalb des VIII. Armeekorps ebenfalls zur Übernahme dieses Systems entschieden hatten, auch die von Baden in Auftrag gegebene Menge an neuen Büchsen. Allerdings war mit deren Einführung die Zwanzig-Prozent-Forderung der Bundeskriegsverfassung noch längst nicht erfüllt: Lediglich die besten drei Mann der bei jeder Infanterie-Kompanie vorhandenen zehn Schützen erhielten die neue Waffe, indem sie gleichzeitig zu "Scharfschützen" avancierten. Bei einem Ist von 48 Kompanien bedeutete dies die Beschaffung von ca. 150 Büchsen nach dem Wild'schen System.

Infolge der revolutionären Ereignisse des Jahres 1849 und der damit im Zusammenhang stehenden Gesamtauflösung der badischen Armee kam es 1850 zur Reorganisation des badischen Militärwesens, anläßlich derer unter anderem zehn selbständige Infanterie-Bataillone zu vier Kompanien aufgestellt wurden. Als weitere Maßnahme wurde durch Höchste Ordre vom 19. Februar 1850 angeordnet, daß die Infanterie-Bataillone Nr.5 und Nr.10 als Füsilier-Bataillone aufzustellen waren, wobei die dritten Glieder dieser Einheiten mit Büchsen ausgerüstet werden, die übrigen Bataillone aber keine Scharfschützen mehr haben sollten. Kurz darauf revidierte man dies und befahl am 18. November 1851 die Vereinigung sämtlicher Scharfschützen der Infanterie in einer besonderen Schützenabteilung zu zwei Kompanien in der Garnison Karlsruhe, wobei die Anzahl der mit Büchsen und Hirschfängern Auszurüstenden auf 346 Schützen festgelegt wurde. Offensichtlich gelang es jedoch nicht, die anvisierte Mannschaftsstärke ganz zu erreichen, denn bis Mitte 1852 belief sich die Anzahl der Schützen in jeder Kompanie auf nur 100 Mann. Am 3. November 1852 wurde eine dritte Kompanie errichtet, und am 18. Februar 1854 erging der Befehl zur Aufstellung einer vierten Kompanie unter gleichzeitigem Garnisonswechsel nach Freiburg/Br; die neue Sollstärke belief sich dabei auf 676 Jäger Da die seit 1846 im Bestand der Armee vorhandenen ca. 150 Wild'schen Büchsen zur Ausrüstung des nun vier Kompanien starken Bataillons bei weitem nicht ausreichten, war durch Erlaß des Kriegsministeriums bestimmt worden, daß das Bataillon bis zur Bereitstellung der kompletten Anzahl Büchsen im Falle einer Feldaufstellung mit Füsiliergewehren zu bewaffnen sei.

Um den bedeutenden Fehlbestand an Büchsen auszugleichen, befahl der badische Großherzog schließlich am 9. November 1854, "daß zur gleichmäßigen und vollständigen Bewaffnung des Jägerbataillons

1. die in dessen Besitz befindlichen Wild'schen Büchsen zur Verwendung der Geschosse nach dem System Minié auf das Kaliber des Füsiliergewehrs aufgekolbt und mit fünf Minié-Zügen versehen werden.....".

Dieser kurze und knappe Befehl bedeutete das definitive Aus für das 14-zügige Wild-System in Baden. Gerade acht Jahre lang konnten sich die badischen Schützen mit den unleugbaren Vorteilen der Wild'schen Büchse auseinandersetzen, da hieß es schon wieder umlernen auf ein neues System.

Im Interesse einer Kaliberstandardisierung bei den Infanterie-Feuerwaffen innerhalb des VIII. Armeekorps hatten sich Baden, Württemberg und Hessen-Darmstadt zur Übernahme des in Frankreich entwickelten Systems Minié entschieden. Dieser Entscheidung mußte das Wild'sche System trotz seiner unbestreitbaren Vorteile zwangsläufig zum Opfer fallen, weil es eben speziell gefertigte Patronen benötigte, die mit den nun geltenden Intentionen nicht mehr vereinbar waren. Nach Jahrhunderten ihrer Entwicklung und Verwendung war damit die Pflasterbüchse letztlich doch ins Reich der Geschichte eingegangen - der Fortschritt hatte sie überrollt.

Ein zweites Leben

Der Befehl vom 09. November 1854, mit dem der Umbau der Wild'schen Büchsen auf das Minié-System angeordnet worden war, besagte ferner, "...daß die auf den vollen Stand noch fehlenden 450 Büchsen sofort in Bestellung gegeben werden, dieselben wie die bisherigen mit Messinggarnituren versehen werden, und daß für dieselben gleichzeitig 450 Stück Hirschfänger nach der bestehenden Ordonnanz angeschafft werden sollen"

Die Abänderung der Büchsen, d.h. das Ausschleifen der 14-zügigen Läufe und Einschneiden von fünf flachen Zügen nach dem System Minié, fand bis zum 10. Januar 1855 in der Königlich Württembergischen Waffenfabrik Oberndorf a.N. statt.

Bezüglich der Neubeschaffung der 450 Minié-Büchsen wandte man sich, da Oberndorf wegen Umänderung von 20 000 württembergischen und großherzoglich hessischen Infanteriegewehren auf das Minié-System ausgelastet war, an Suhler Waffenfabrikanten, deren Liefervermögen aber offenbar auch nur sehr beschränkt war. Am 12. März 1859 hatte das Jägerbataillon erst 446 Büchsen bei einem Soll von 650 Stück im Bestand, so daß noch 204 Büchsen fehlten. Da die vorliegende Waffe auf der Nase des Kolbenblechs die Nummer "465" zeigt, also offensichtlich erst nach der Bestandszählung vom 12. März 1859 zur Truppe kam, ist davon auszugehen, daß sie erst im Laufe des Jahres 1859 gefertigt und an das Jägerbataillon ausgeliefert wurde.

Darüber hinaus ist anzumerken, daß die neugefertigten Minié-Büchsen sich von den umgebauten Wild'schen Büchsen durch das Fehlen des Kolbenfachs unterschieden. Dieses Kolbenfach war bei der Wild'schen Büchse wegen der Ladeweise mit Schußpflaster, die in genügender Zahl im Kolbenfach mitgeführt werden mußten, unbedingt notwendig. Beim Minié-System konnte es jedoch entfallen, da hierbei keine Schußpflaster mehr erforderlich waren.

Hirschfängers zur badischen Jägerbüchse M 1843

Zu den oben beschriebenen Büchsen wurde immer der gleiche Hirschfänger M 1843 getragen. Er hat ein quer gerilltes Messinggefäß mit Verriegelungsfeder, gerader, sich zu den Enden hin vergreitende Parierstange, gerade, beidseitige hohlgeschliffene Rückenklinge mit Klingenspitze in der Mitte. Die zugehörige schwarze Lederscheide mit Mund- und Ortblech aus Messing hat einen Tragehaken am Mundblech.


Badischer Scharfschütze mit Büchse M 1843, Wasserflasche und Hirschfänger


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