Kleinkaliber-Gewehr von Rheinmetall


Historisches


Text: Gregor Wensing

Im Rahmen eines Besuches beim Kommando Territoriale Verteidigung in Bad Godesberg am 10. August 1966 wurde einem Rheinmetall-Beauftragten aufgezeigt, dass Reservistenverbände der Bundeswehr sich bei der Ausübung des Schießsportes nur sehr selten des eingeführten G3 bedienen konnten. Militärische Schießstände durften lediglich ausnahmsweise benutzt werden und auf zivilen Schießständen waren G3 nicht zugelassen – zumal das „Kriegswaffenkontrollgesetz“ den Erwerb von (militärischen Halb-) und Vollautomaten in Deutschland ausschloss (anders als in vielen anderen westeuropäischen Staaten, wo diesbezügliche Regelungen auf die Eignung und Zuverlässigkeit des Schützen oder Sammlers abheben und nicht auf die technischen Merkmale. So ist ja allgemein bekannt, dass jeder Milizionär in der Schweiz sein Schnellfeuergewehr nach Ende der Dienstzeit mit nach Hause nehmen soll).

Damit war der Anstoß erfolgt, für Reservisten der Bundeswehr ein dem G3 ähnliches Kleinkalibergewehr zu bauen, das - aus Gründen der dann nicht notwendigen Umgewöhnung - äußerlich und in der Handhabung völlig dem G3 gleichen, aber als Kleinkaliberwaffe nicht unter das KWKG fallen sollte.

Seitens der Reservistenverbände wurde daraufhin vorgeschlagen, dazu ausgemusterte G3 auf das Kaliber .22lfB umzubauen. Bei einer Zahl von etwa 1.300 Kameradschaften der Reservistenverbände mit rund 60.000 Mitgliedern (im Jahre 1966) zeichnete sich ein interessanter Markt für ein derartiges Gewehr ab. Schon im Januar 1967 signalisierte die Firma Frankonia, dass sie einen Absatz von 20.000 – 25.000 dieser Kleinkalibergewehre erwarte, „sofern beim Bund die Freigabe dieser Version zum Verkauf als Sportwaffe erreicht wird.“

Nach seinem Besuch beim Kommando Territoriale Verteidigung in Bad Godesberg bekam ein Repräsentant der Firma Rheinmetall spätestens Anfang Oktober 1966 eine Musterwaffe vorgelegt, die ein Büchsenmacher der Reservistenkameradschaft Köln in Eigenregie angefertigt hatte. Sie bestand aus G3-Teilen mit einem Rohr im Kaliber .22lfB, einem entsprechend abgeänderten Schloss sowie einem G3-Stahlmagazin mit einem Einsatz zur Aufnahme der Kleinkaliberpatrone. Rheinmetall hatte diese Bearbeitung durch die Abgabe von Nicht-KWKG-Teilen unterstützt.

Man wusste bei Rheinmetall allerdings bereits zu dieser Zeit, dass man in Oberndorf bei Heckler & Koch bereits eine andere Idee verwirklicht und der Kampftruppen-Schule in Hammelburg zur Verfügung gestellt hatte. Die Schwaben boten nämlich ein Wechselsystem bestehend aus einem speziellen Verschluss und einem Einstecklauf für das Kaliber .22lfB an. Dazu gehörte ein G3-Magazin mit integriertem Magazin für die Kleinkalibermunition. Da man innerhalb der Firma Rheinmetall zunächst annahm, dass man sich bei Heckler & Koch dieses Reduziersystem patentrechtlich hatte schützen lassen und sich vor allem bei der Form des Verschlusses eine Parallelentwicklung abzeichnete, wollte man sich mit diesem Thema zunächst nicht weiter befassen.

Hinzu kam, dass die Idee für ein Reservistengewehr bereits schon rund ein Jahr vor dem genannten Besuch eines Rheinmetall-Repräsentanten beim Kommando Territoriale Verteidigung an die Firma herangetragen worden war, man aber deren Umsetzung irgendwie übersehen hatte.

Bereits im Oktober des Jahres 1966 war jedoch zu erfahren, dass eine Verwendung von G3-Reduziersystemen durch Reservistenverbände außerhalb des Kasernengeländes abgelehnt wurde – schließlich hätte man dann einem Reservisten nach schweizer oder dänischem Vorbild ein Schnellfeuergewehr mit nach Hause geben müssen! Einem Nun-Zivilisten? Ein Schnellfeuergewehr? In Deutschland undenkbar. Wie auch beim BGS so entschied man sich ebenfalls bei der Bundeswehr letztlich dafür, lediglich Einstecksysteme für die Einsatzwaffen in Auftrag zu geben, welche aber dann in der Kaserne verblieben. Somit konnte die Entwicklung von H&K dem Dilemma der Reservistenverbände nicht abhelfen. Folgerichtig ging Heckler & Koch später mit seinem HK41 daher einen völlig anderen Weg.

Es musste daher eine andere Lösung gefunden werden: die Geschäftsleitung der Firma Rheinmetall plante spätestens im Dezember 1966, in ihrem Zweigbetrieb in Müllheim (Baden), die Bearbeitung und Fertigung von Zivilwaffen zu beginnen. Schon vorher gab es Überlegungen, die Entwicklung eines Reservistengewehres auch hierhin zu verlagern. Die ersten Experimentalstücke gedachte man aus ausgemusterten G3 der Bundeswehr herzustellen. Eine entsprechende Anfrage nach Überlassung von 5 G3 erging am 6.10.1966 an das Kommando Territoriale Verteidigung.

Ein Terminplan – leider undatiert – sah den Eingang der Musterwaffe und 2 Satz Musterteilen bis Dezember 1966 vor; im Januar 1967 sollte der Auftrag über die Fertigung der Nullserie (500 Stück) erfolgen, zwischen Februar und Mai 1967 sollten diese in Fünfzigerlosen montiert werden. Ab dem Juni 1967 strebte man eine Serienproduktion von 500 Gewehren pro Monat an.

Im Oktober 1966 waren die Forderungen präzisiert worden, welche das Kleinkalibergewehr erfüllen sollte:

1) Es sollte „dem in der Bundeswehr eingeführten Sturmgewehr G3 in der äußeren Form, in der Handhabung beim Schießen und ungefähr im Gewicht gleichen“.

2) Es durfte „keine Kriegswaffe nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen“ sein, sondern sollte „ein Sportgewehr sein, das jede Person gegen Vorlage eines Waffenscheines erwerben kann.“

3) Es musste vom G3 abweichende Teile haben, nämlich

- „Kaliber 022 Zoll long Rifle

- Munition Kal. 022

- abgeänderter Verschluß

- Abzugseinrichtung nur für Einzelfeuer, nicht leicht auf Dauerfeuer umzubauen

- Magazin für Munition Kal. 022

- äußerliche Kennzeichnung, die das Kleinkalibergewehr gegenüber dem Sturmgewehr G3 der Bundeswehr deutlich sichtbar macht.“


In der Folgezeit muss der Betrieb in Müllheim (Baden) fünf G3 zum Umbau erhalten haben, wobei die Aktenlage nichts über die Quelle aussagt. Unter dem Datum des 22.11.1966 und des 13.1.1967 kam nämlich aus Müllheim die Nachricht von der Fertigstellung der ersten beiden Gewehre. Es handelte sich dabei um Selbstlader, aus denen lediglich Einzelfeuer abgegeben werden konnte. Die Gewehre erhielten ein Original-G3-Magazingehäuse, welches für die Aufnahme von wahlweise 5-, 8- oder 10schüssigen Kleinkalibermagazinen eingerichtet war.

„Ein Musterstück dieses Kleinkalibergewehres ging am 12. Jan. 1967 an die Abt. VL ab, als Unterlage für die Bearbeitung der Freigabe beim Bund“.

In diese Zeit fallen bei Rheinmetall auch Versuche mit Sturmgewehren in den Kalibern „7,62 x 39mm“ und „.223“.

Im Januar 1967 wurde präzisiert, dass man eine „einfachste und billigste Herstellung“ und damit einen geringstmöglichen Verkaufspreis anstrebe. Das neue Gewehr sollte „wesentlich billiger als jedes Konkurrenzgewehr“ durch Verzicht auf Bedienungskomfort zugunsten einer billigen Fertigung sein. Als Gewicht wurden maximal 3,5 kg angesetzt, die Rohrlänge sollte ca. 450 mm betragen.

Der Monatsbericht vom Januar 1967 meldet, dass „verschiedene Einzelteile für die von VL (Anm.: Abteilung "Verrechnung Leistungsaufträge") in Auftrag gegebenen 5 Stück Reservistengewehre“ gefertigt wurden. Und: „Für die endgültige Fertigstellung der 5 Gewehre sind einschl. Montage noch ca. 150 Arbeitsstunden im Februar erforderlich.“ Diese 5 Reservistengewehre sollten dann im Mai 1967 „der Fa. Frankonia zur Werbung übergeben“ werden; man erwartete eine Anschlussbestellung von weiteren 500 Exemplaren.

In diese Zeitspanne fällt auch eine Beschreibung der Unterschiede zum G3, welche den Umbau in ein Schnellfeuergewehr schlecht möglich machen sollten:

1) Die Bohrung im Verrieglungsstück zur Aufnahme des Laufes wurde von 22 mm auf 22,5 mm vergrößert, so dass ein originaler G3-Lauf nicht eingesetzt werden kann.

2) Die Verrieglungsanlagen, in welche das Verschlussstück eines originalen G3 eingreift, wurden so nachgeschliffen, dass das Kleinkalibergewehr nach Einsetzen eines G3-Verschlusses nicht funktionsfähig ist.

3) Das Griffstück wurde so ausgeführt, dass der eingebaute Einzelfeuerabzug nicht mehr gegen einen Original-G3-Abzug ausgetauscht werden kann. Nur durch die Beschaffung eines neuen Abzugskastens könnte die Originalfunktion wiederhergestellt werden – allerdings wurde eine Einlage eingeschweißt, die das Anbringen eines Original-Abzugssystems unmöglich macht. Die Rückänderung des eingesetzten modifizierten Abzuges ist daher selbst unter Verwendung von Originalteilen nur schwer zu bewerkstelligen.

4) Das Griffstück ist zwar schwenkbar aber nicht mehr demontierbar (wie beim G3) und daher fest mit dem Gehäuse verbunden.

5) Auslösehebel und Fangklinke sind aus dem Abzug entfernt.

6) Die Entfernung der Auslösekante für den (entfernten) Auslösehebel am Verschlussträger verhindert zusätzlich den Umbau in eine Dauerfeuerwaffe.

7) Der Kleinkaliberlauf und die Verwendung einer Randfeuerpatrone erlauben kaum die Umrüstung auf eine (militärische) Großkaliberpatrone.

8) Das Auswerferfenster ist der Größe der Kleinkaliberpatrone angepasst worden und müsste zum Verschießen einer größeren (Militär-)Patrone wieder ausgefräst werden.


Soweit die Aktenlage … nun zur Realität …

Als das vorliegende Gewehr vor ca. 10 Jahren in einem westlichen Nachbarland auftauchte, war es dort behördlich nicht bekannt (nach deutscher Lesart also „illegal“). Zum Glück besteht in diesem Nachbarland (wie anderswo auch) die Möglichkeit, derartige Gegenstände auch nachträglich behördlich bekannt zu machen, so dass dieses Gewehr in den Besitz einer Sammlers kam und damit Schutz genoss. Aber es dauerte noch einige Jahre bis zum Fall des „Anscheinsparagrafen“, bis dieses Gewehr in sein Mutterland zurückkehren konnte.

An seine Entdeckung schlossen sich intensive Nachforschungen an, die das überraschende Ergebnis erbrachten, dass keine der befragten Stellen (BKA, WTS, Dynamit Nobel, Grenzschutzschule) und entsprechend interessierte Sammler, ja, zunächst nicht einmal die Firma Rheinmetall dieses Gewehr kannten. Auch einem ehemaligen Geschäftsführer der Firma Frankonia war das Gewehr nicht bekannt, denn er hätte sich sonst „ein solches Stück gleich für die Sammlung geschnappt, wenn es in den Verkauf gelangt wäre“ (mündliche Information).

Lediglich das Beschussamt Ulm, welchem das Gewehr ausweislich der Stempelung vorgelegt worden war, konnte ein Dokument präsentieren, nach welchem dieses Gewehr und vier andere am 24. August 1967 dort geprüft worden sind. Ein Einlieferungsschein spricht von „5 G3 KK, autom. Gewehre (Dauerfeuerabzug blockiert)“ mit den Seriennummern 6000 – 6004. Nachdem so ein Hinweis erhalten war, konnte der Archivar der Firma Rheinmetall gezielt suchen und die für diesen Artikel zugrundeliegenden Dokumente aufstöbern.

Zurück zum Protokoll des Beschussamtes; es listet gnadenlos auf:

„Der Beschuß aller 5 Waffen konnte nicht anerkannt werden.

Bei den Läufen ist die Aussparung am Mundstück für die Auszieherkralle zu tief eingearbeitet. Die Patronenhülse hat daher an dieser Stelle keine Anlage und wird durch den Gasdruck stark aufgebeult. In einem Fall wurde die Hülse durchschlagen. Die Patronenlager sind im hinteren Teil sehr weit gehalten. Teilweise befindet sich am hinteren Ende des Lagers ein Grad, hervorgerufen durch den Schlagbolzen.

Bei der Waffe Nr. 6002 traten Versager auf, zudem wird die Hülse nicht ausgeworfen und verbleibt in der Kammerbahn.

Bei Nr. 6000 wird ebenfalls die Hülse nicht ausgeworfen.

Die Waffen wurden mit dem Rückgabezeichen versehen.“

Die Firma Rheinmetall versuchte es noch einmal und legte am 18. September 1967 drei der Gewehre erneut vor: Die mit den Seriennummern 6001, 6002 und 6003. Man hatte wohl gut nachgearbeitet, denn diesmal klappte es und diesen drei Waffen wurde dann das Beschusszeichen eingeprägt.

In den Akten der Firma Rheinmetall fand sich bislang keine Notiz über eine definitive Lieferung dieser 3 Gewehre an die Firma Frankonia. Ebenso ist kein Hinweis zu finden, was mit den beiden anderen geschehen ist (Nr. 6000 und 6004). Und auch die verschlungen Wege, auf denen das beschriebene Gewehr in unser Nachbarland gelangte, werden wohl nie aufgedeckt werden können.

Festzuhalten ist in jedem Fall, dass seine Reise ins Ausland dieses Gewehr (als „Anscheinswaffe“) höchstwahrscheinlich vor dem Schmelzofen bewahrt hat, da eine „Legalisierung“ in Deutschland kaum geglückt und zudem seine Tage als „Anscheinswaffe“ auch gezählt gewesen wären.

In den Unterlagen von Rheinmetall taucht immer wieder die Zahl „5“ auf – genau die Anzahl an Kleinkalibergewehren, die am 24. August 1967 im Ulmer Beschussamt aktenkundig wurden, so dass vermutet werden darf, dass nur diese 5 Musterwaffen gefertigt wurden. Man hat offensichtlich den Plan einer Serienfertigung gleich nach der Zurückweisung durch das Beschussamt aufgegeben und trotz Bestehens der Beschussprobe im Folgemonat nicht wieder in Erwägung gezogen.


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