Jägerbüchse M 1850 aus Mecklenburg-Schwerin


Geschichte


Um den Anforderungen der am 8. Juli 1820 zu Frankfurt am Main von den Staaten des Deutschen Bundes angenommenen „Schlussakte“ in Bezug auf das deutsche Bundesheer entsprechen zu können, war eine Reorganisation des Großherzoglich Mecklenburg-Schwerin’schen Militärwesens notwendig. Es sollte ein Heer in der Gesamtstärke von 1% der Bevölkerung aufgestellt werden und es wurde daher angeordnet, dass Mecklenburg, welches damals 385.000 Einwohner zählte, ein Grenadier-Bataillon, zwei Musketier-Bataillone zu 4 Kompanien, ein leichtes Infanterie-Bataillon zu drei Kompanien, ein Dragoner-Regiment, eine Artillerieabteilung und eine Pionier- und Pontonierabteilung stellte.
Während für die übrigen Truppen der jeweilige Stamm bereits vorhanden war, musste das Leichte Infanterie-Bataillon neu errichtet werden. Dasselbe wurde am 1. Juli1821 in Schwerin aufgestellt, wobei Offiziere und Ärzte der anderen Truppenteile sowie 13 Unteroffiziere und 53 Gemeine aus der 4. Kompanie des Grenadier-Bataillons den Stamm der neuen Einheit bildeten. Sein Etat war festgesetzt auf 342 Kombattanten und 5 Nichtkombattanten.

Am 11. Mai 1822 empfingen die Kompanien des Leichten Bataillons je 30 englische Büchsen mit Hirschfängern, welche an speziell ausgesuchte Mannschaften ausgegeben wurden; diese führten von da an die Bezeichnung „Jäger“.

1845wurde das Leichte Infanterie-Bataillon auf vier Kompanien verstärkt , von denen die 1. und 4. Kompanie „Schützen“ waren. Das Bataillon hatte eine Gesamtstärke von 15 Offizieren, 52 Unteroffizieren, 17 Hornisten und 359 Mann. Im Jahre 1850 erhielt dieses Bataillon den Namen „Mecklenburg-Schwerin’sches Leichtes Bataillon“.

Auf großherzoglichen Befehl kam es im darauffolgenden Jahr zur Bildung je eines Musketier- und Jägerbataillons. Zu beiden Truppenteilen musste das Leichte Bataillon den Stamm stellen, so dass die 2. und 3. (Schützen)-Kompanie dem neuerrichteten Musketierbataillon zugewiesen wurde, während die 1. und 4. (Jäger)-Kompanie den Stamm des neuen Jägerbataillons bildete.

Dieses Jägerbataillon hatte eine Kriegsstärke von 351 Mann und wurde „mit den sehr gut schießenden Büchsen aus der Suhler Fabrik“ bewaffnet, welche bereits seit 1850im ehemaligen Leichten Bataillon bei den Jägerkompanien 1 und 4 eingeführt waren, was dadurch belegt wird, dass das recht lange Schwanzschraubenblatt der vorliegenden Büchse mir „L.B.1.2.“ = Leichtes Bataillon 1. Kompanie, Büchse N°2 signiert ist.

Geht man von einer Gesamtmannschaftsstärke des Leichten Bataillons von 359 Mann aus und berücksichtigt man die Tatsache, dass nur die beiden Jägerkompanien1 und 4 mit Büchsenbewaffnet waren, kommt man auf einen ungefähren Gesamtbestand von nur ca. 180 Büchsen des vorliegenden Modells, was, gemessen an den Waffenbeständen anderer Bundeskontingente, eine sehr kleine Anzahl ist, womit auch die heutige Seltenheit der Mecklenburger Büchse begründet werden kann.

Technische Daten

Gesamtlänge 1155mm

Lauflänge mit Patentschwanzschraube 745mm

Länge der Schlossplatte 130mm

Länge des Hirschfängerhakens 114mm

Anzahl der Züge 8

Kaliber Feld/Zug 16,2/17,3mm

Zugtiefe 0,55mm

Die Kaliberdifferenz zwischen dem in der Literatur angegebenen ursprünglichen Normalkaliber von 15,95mm und den heute an der Mündung gemessenen 16,2mm lässt sich auf Korrosion, häufige Benutzung und dementsprechende Reinigung zurückführen.

Beschreibung

Nussbaum-Vollschaft mit Eisenbeschlägen, diese bestehend aus halbem, von unten verschraubtem Mündungsband, zwei Ladestockröhrchen, Abzugsbügel mit schneckenförmig eingerollter Handlauflage, Kolbenfach mit Klappdeckel an der rechten Kolbenseite, Kolbenkappe und Schlossgegenblech für zwei Schrauben. Achtkantiger Lauf mit langem Schwanzschraubenblatt und Patentschwanzschraube mit Thouveninschem Dorn. Neu gefertigtes Perkussionsschloss mit flachem, bündig im Schaftholz eingelassenem Schlossblech und federgestützter Pistonsicherung. Für die Waffe besonders charakteristischer Splitterschutzschirm am Pistonsockel an der dem Hahn zugewandten Seite. Lauf/Schaftverbindung durch zwei Laufschieber, die Schraube des Mündungsbandes und die Kreuzschraube. Eiserne Schaftverstärkung am Kolbenhals.

Das Schlossblech zeigt die Herstellersignatur „“Suhl S&C“ unter Krone, alle Metallteile sind mit den Zeichen der in Suhl zum Dienst abgestellten preußischen Abnahmeoffizieren versehen und die Schraubenköpfe tragen teilweise die Nummer „29“. Die Signatur „S&C“ steht für den Firmenzusammenschluss „Spangenberg, Sauer & Sturm, C. G. Hänel sowie Valentin Christoph Schilling“, welcher in diesem Zusammenhang ab 1849 erwähnt wird.

Der Thouveninsche Dorn

Die Patentschwanzschraube ist mit einem 7,1mm dicken und 43,4mm langen Dorn versehen, der an der Stoßseite abgerundet ist und zur Stauchung des unterkalibrigen Geschosses diente, was beim Ladevorgang dadurch erreicht wurde, dass der Ladestock das Spitzgeschoss auf den Dorn rammte. Hierdurch erzielte man eine Querschnittsvergrößerung des Geschosses, so dass dieses nun die erforderliche Führung in den Zügen erhielt. Um die Spitze des Bleigeschosses nicht zu verformen, war der Ladestock an seiner Stossseite mit einer der Geschossformentsprechenden Aushöhlung versehen.

Der Vorteil dieses von dem Franzosen Thouvenin entwickelten Dornsystems lag darin, dass das unterkalibrige Geschoss leicht zu laden, d.h. leicht durch den Lauf zu befördern war, was bei den herkömmlichen Büchsensystemen mit den annähernd kalibergleichen Pflasterkugeln wegen der zunehmenden Laufverkrustung nur mit von Schuss zu Schuss steigendem Kraftaufwand möglich war.

Die gesamte Ausführung der Büchse erinnert sehr stark an die preußische Jägerbüchse M 1810/35/47, nur dass das Schloss wie bei der preußischen Kavalleriepistole M 1850 mit dem Schaft bündig eingelassen ist und eine entsprechende Pistonsicherung aufweist. Als eigenständig kann hingegen der Piston-Splitterschutz bezeichnet werden. Die gekonnt eingepasste, beidseitige Eisenmanschette am Kolbenhals wurde wohl vom Bataillonsbüchsenmacher nach Kolbenbruch an dieser Stelle eingepasst und mit jeweils sieben Schrauben fixiert – sicherlich ungewöhnlich aber höchst effektiv!

In Verwendung blieb die Mecklenburger Jägerbüchse bis zum Jahr 1862. Sie wurde in diesem Jahr vom preußischen Zündnadel-Füsiliergewehr M/60abgelöst, welches man ohne Abänderungen übernommen hat.

Rückblickend ist festzustellen, dass es für das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin möglicherweise einfacher und billiger gewesen wäre, eine der sicherlich zahlreich vorhandenen und deshalb billiger produzierbaren Jägerbüchsen anderer Bundesstaaten zu übernehmen. Auch ist nach Einführung des preußischen Exerzierreglements für die Mecklenburg-Schwerin’sche Armee im Jahr 1838 eine starke Affinität zur preußischen Armee offensichtlich, was durch die Ähnlichkeit der preußischen mit der mecklenburgischen Büchse unterstrichen wird. Gleichzeitig wird jedoch eine nicht übersehbare, heute nur schwer nachvollziehbare Tendenz deutlich, ein gewisses Maß an Eigenstaatlichkeit, und sei es auch nur auf dem Bewaffnungssektor, zu demonstrieren.

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