Die französische Kavalleriepistole M An 13


Geschichte


DIE FRANZÖSISCHE KAVALLERIEPISTOLE M AN 13 - EINE BEINAHE UNENDLICHE GESCHICHTE

Text: Udo Lander

Gerade vier ganze Jahre hat es seit Einführung der Pistole M An 9 gedauert,bis dieses Modell, welches das Design der künftigen französischen, aber auch ausländischen Faustfeuerwaffen nachhaltigst beeinflussen sollte, nach und nach von einem neuen Muster abgelöst wurde. Dabei ist es eigentlich falsch,das Nachfolgemodell als "neu" zu bezeichnen, war es doch technisch/mechanisch absolut identisch mit der Vorgängerwaffe - lediglich die Form des Laufrings und dessen Befestigung, sowie der damit in Zusammenhang stehende verkürzte Vorderschaft waren verändert. Bezüglich der Gesamtproportionen, der Waffenfunktion und ihrer Handlichkeit aber war alles beim alten geblieben.

Pistole M An 9Warum nun aber, so erhebt sich fast zwangsläufig die Frage, hat man das bisherige Pistolenmuster M An 9 denn überhaupt nach so kurzer Zeit überarbeitet und verändert, wenn bis auf ein paar formale Dinge letztendlich doch alles so blieb, wie es bisher war? Sicherlich wäre es doch einfacher und wirtschaftlicher gewesen, die Fertigung der bisherigen Pistole weiterzuführen, anstatt in den Staatsmanufakturen St.Etienne, Maubeuge und Charleville neue Gussformen und Werkzeuge herstellen zu lassen, um damit die veränderten Teile der überarbeiteten Pistole produzieren zu können.

Neuorganisation des Manufakturwesens

Tatsächlich lag der Grund für diese Aktivitäten nicht in etwa zu vermutenden Mängeln der Pistole M An 9 begründet, sondern hing zusammen mit neuverordneten Organisationsstrukturen innerhalb des französischen Waffenmanufakturwesens.

Napoleon BonaparteBonapartes Ziel, seine neugeschaffene Dynastie und das durch die Revolution und die militärischen Erfolge gegenüber den alten Mächten sehr selbstbewusst gewordene Frankreich zur führenden Macht Europas zu machen, konnte natürlich nur gegen den entschiedenen Widerstand seiner Nachbarn durchgesetzt werden. Das aber bedeutete, daß die aus der Revolution hervorgegangene französische Armee als sein Werkzeug enorm schlagkräftig zu sein hatte und dementsprechend auszubilden und vor allem auszurüsten war. Da diesem Heer infolge der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht bis dahin ungekannte Mengen an Soldaten zur Verfügung standen, war eine rasche Ausrüstung der Verbände mit Waffen in dieser großen Anzahl aber nur zu bewerkstelligen, wenn alle Anstrengungen unternommen wurden, die vormals so hervorragenden französischen Waffenproduktionszentren wieder zu aktivieren und ihre Leistungsfähigkeit in bis dahin nicht gekanntem Maße zu steigern. Dazu gehörte aber auch zwangsläufig, daß Sonderentwicklungen an Waffen für gewisse Teilbereiche der Armee, deren Produktion anderweitig fehlende Manufakturkapazität band, gestoppt werden mussten.

Die Marine verliert ein Privileg

Die französische Waffenmanufaktur in Tulle hatte bisher - völlig unabhängig von den anderen Manufakturen - ausschließlich für die Marine und die in den französischen Kolonien eingesetzten Truppen gearbeitet. Das heißt, alles, was die französische Kriegsmarine und die Kolonialtruppen an Feuer- und Blankwaffen-Nachschub brauchten, kam aus der Manufaktur Tulle. Dieses der Marine zugestandene Privileg, eine eigene, ihr unterstellte Waffenmanufaktur außerhalb der Kontrolle der Zentralgewalt zu unterhalten und ausschließlich für sich und ihre Belange arbeiten zu lassen, wurde im Jahr 13 der Revolution aufgehoben. Die Manufaktur Tulle gelangte nun gleichfalls unter die Aufsicht und Befehlsgewalt des französischen Kriegsministeriums und damit unter die Oberaufsicht der Artillerie, welche ja, wie bekannt, auch für die Kontrolle der anderen Staatsmanufakturen zuständig war. Damit musste die Marineleitung nicht ganz zu Unrecht befürchten, unter anderem die von ihr auf Grund eigener Erfahrungen entwickelten und auf ihre Belange abgestimmten Waffensysteme zu verlieren. Dies galt natürlich besonders auch für das marineeigene Pistolenmuster M 1786, welches im Jahr 13 immer noch produziert wurde, und das man nun befürchtete, gegen die nach Marineauffassung nicht geeignete Kavalleriepistole M An 9 eintauschen zu müssen. Zumindest ließen die während der Revolution propagierten und im Kaiserreich durch Napoléon Bonaparte stark forcierten zentralistischen Vereinheitlichungstendenzen, denen die nun durchgesetzte Neuorganisation der Waffenproduktion letztendlich zuzuschreiben war, diese Annahme durchaus berechtigt erscheinen.

Die Marineleitung protestierte gegen das von ihr vermutete Vorhaben des Kriegsministeriums bezüglich der zukünftigen Marinepistole und tatsächlich gelang das auch aus heutiger Sicht beinahe Unvorstellbare: Kriegsministerialbeamte zeigten ein gewisses Maß an technischer Kompetenz, Einsicht in das Notwendige und Entschlussfreudigkeit, und es kam einKompromiss zustande, mit dem sowohl die Marine, als auch das Heer vortrefflich leben konnte. Was war geschehen?

Der Kompromiss

Seit rund 20 Jahren verwendete die Flotte die in Tulle für die Belange der Marine entwickelte und gefertigte Pistole M 1786. Deren Besonderheit bestand darin, daß ihr Laufring nicht, wie bei den vom Heer favorisierten Waffenmustern üblich, mit Arretierfedern fixiert, sondern mit einem Verbindungsarm an der vorderen Schlossschraube befestigt war. Die Gefahr, daß der Laufring in der Hektik des Kampfes verloren ging, weil irgendetwas den Knopf der Arretierfeder eindrückte, war damit gebannt. Auch war der Vorderschaft dieser Pistole so gearbeitet, daß er den leicht tromblonierten Lauf auf eine gehörige Länge frei stehen ließ. Dies hatte sich in vielen Jahren des Gebrauchs bewährt und von Seiten der Marineleitung sah man überhaupt keinen vernünftigen Grund, auf diese für gut befundenen konstruktiven Details zugunsten sicherlich schlechterer Lösungen ohne entscheidenden Widerstand zu verzichten. Offenbar konnten die von den Verhandlungsführern der Marine ins Feld geführten Pro-Argumente überzeugen, denn man setzte sich zumindest in diesem Punkt durch und der Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Vorstellungen der Marine und des Heeres bezüglich des für beide Teilstreitkräfte verbindlichen Pistolenmusters war geboren:
Die neu konzipierte Pistole besaß den von der Marine geforderten besonderen Laufring mit Verbindungssteg zur vorderen Schlossschraube mit freistehendem, allerdings nicht mehr tromblonierten Lauf. Der Rest der Waffe, also der, wenn auch im vorderen Bereich deutlich verkürzte Schaft, das Schloss und die Messingbeschläge entsprachen völlig der bisher bei der Kavallerie verwendeten Pistole M An 9. Die für die Marine bestimmten Pistolen erhielten wegen der speziellen Erfordernisse des Borddienstes einen Gürtelhaken an der linken Seite, womit sie - allerdings sehr zur Verwirrung heutiger Sammler, und abgesehen von den nicht immer vorhandenen marinetypischen Ankerstempeln - genau so aussahen, wie die Pistolen, die für die französischen Dragoner bestimmt waren. Diese hatten ja schon zu Zeiten der Pistole M 1777 und auch während der Fertigungsperiode der Pistole M An 9 nur Waffen mit Gürtelhaken verwendet, da ihre wechselvollen und vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten sowohl als Kavalleristen, aber auch als Infanteristen ein Mitführen der Pistole am Mann bei abgesessenen Einsätzen einfach erforderlich machte. Dies war letztendlich ja auch der Grund, weswegen Dragoner, unabhängig davon, welchem nationalen Kontingent sie angehörten, zumindest zu jener Zeit nie Karabiner, sondern immer Gewehre mit Bajonett führten; der infanteristische Anteil bei dieser Waffengattung stand doch sehr im Vordergrund!

Die Produktion läuft an

Die Fertigung der Pistole M An 13 begann in den Manufakturen Versailles, Saint-Etienne, Tulle und Charleville bereits im Jahr 1806, wohingegen die Manufaktur Maubeuge die Produktion dieser Waffe erst ein Jahr später aufnahm. Aus der nachfolgenden Tabelle, deren Angaben auf im französischen Artillerie-Archiv Montrouge aufbewahrten Aktenmaterial beruhen, geht hervor, daß bei der Produktionseinstellung im Jahr 1818 insgesamt 151555 Paare der Pistole M An 13 fertiggestellt worden waren, wobei der Hauptanteil aus den drei Manufakturen St.Etienne, Charleville und Maubeuge kam. Damit dürfte auf Grund der nachweisbaren Gesamtfertigungszahl von über 300 000 Waffen dieses Typs feststehen, daß die Pistole M An 13 sicherlich die meistproduzierte französische Pistole an sich war, ja, daß sogar keine andere europäische Pistole der Vorderlader-Ära jemals ihre Produktionszahlen erreicht hat.
Pistole M An 13
Aus der nachfolgenden Tabelle kann weiterhin abgelesen werden, daß im Verlauf des Jahres 1813, dem Jahr der Katastrophe in Russland und der nachfolgenden Wiederaufstellung einer neuen französischen Armee, die schließlich im Oktober 1813 anlässlich der dreitägigen Völkerschlacht bei Leipzig vernichtend geschlagen wurde, die Produktionszahlen der Pistole M An 13 mit 28 411 Paaren ihren Höchststand erreichten( ).
Dies und die oben genannten Zahlen werfen ein bezeichnendes Licht auf die nach dem Revolutions-Chaos wieder gewonnene enorme Leistungsfähigkeit der französischen Waffenmanufakturen.

Die Produktionszahlen der Pistole M An 13 ( Paare )

Manufaktur 1806 1807 1808 1809 1810 1811 1812 1813 1814 1815 1816 1817 1818 Total
Versailles 11 - 144 - - - - 123 103 30 - - - 411
Turin - - - - - - - 667 36 - - - - 703
St.Etienne 1288,5 6650 8330,5 12026 13363,5 8750 5350 10766 1975 1155,5 950 72,5 - 70677,5
Tulle 257 856 145,5 104,5 - - - 2070 - - - - 145 3578
Maubeuge - 5708 3695 2872 2757 4418 3365 7056 606 197,5 - - - 27674,5
Charleville 1992,5 7709 6344,5 6366,5 4566 5466 6368 7560 755 99 - - 453 47675,5
Mutzig - - - - - - - 169 138 264,5 226 - 40 837,5
Jahres-Prod. 3549 20923 18659,5 21369,5 20686 15630 15083 28411 3613 1746,5 1176 72,5 638 151555

Nach Betrachtung der obigen Tabelle muss zwangsläufig auch ein Wort zur Modellbezeichnung "An 13" gesagt werden:
Am 24. November 1793 wurde in Frankreich der Revolutionskalender eingeführt mit der Maßgabe, daß der 22. September 1792, jener Tag, an dem die Republik ausgerufen worden war, der erste Tag dieser neuen Ära sein sollte. Das Jahr 13 fiel somit auf die Zeitspanne zwischen dem 22. September 1804 und dem 22. September 1805. Wenn man nun aber berücksichtigt, daß der republikanische Kalender durch Bonaparte bereits am 22. Dezember 1805 wieder außer Kraft gesetzt wurde, müsste man eigentlich annehmen, daß die nach diesem Datum produzierten Pistolen des hier besprochenen Typs mit einer Modellbezeichnung herkömmlicher Art (M 1804) versehen sein müssten. Dies aber war nie der Fall! Noch 1813, im letzten Jahr ihrer Fertigung, trugen die französischen Kavalleriepistolen das revolutionäre Signum "M An XIII" (oder "M an 9") auf der Verlängerung der Schwanzschraube.

Aus Alt mach Neu

Neben der Neuproduktion der Pistole M An 13 wurden auch geringe Mengen an noch vorhandenen Pistolen des Vorgängermodells An 9 dem neuen Waffenmuster angeglichen, indem man die Schäfte im Laufbereich gekürzt und den entsprechenden Laufring angebracht hat. Allerdings blieb die auf der Verlängerung der Schwanzschraube bereits vorhandene Beschriftung "M an 9" (oder "M an IX") erhalten. Inwieweit diese Umbauten in den Fertigungszahlen der o.a. Tabelle integriert sind, ist leider nicht feststellbar, doch handelt es sich bei diesen eigentlich "falsch" beschrifteten Waffen um einwandfreie Manufakturerzeugnisse, die, wenn man es genau betrachtet, weitaus rarer sind, als die regulären Modelle der neuen Pistole.

Die europäische Dimension

Es ist sicherlich leicht vorstellbar, daß eine in solch großen Stückzahlen gefertigte Waffe wie die Kavalleriepistole M An 13 zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die europaweite Präsenz der napoleonischen Armeen in nahezu allen Ländern des Kontinents bekannt wurde. Den mit ihr in Berührung gekommenen führenden Militärs anderer Staaten und deren Streitkräften, aber auch ausländischen Waffenfabriken konnten somit ihre Vorteile - Handlichkeit, Stabilität, Reparaturfreundlichkeit und dennoch sehr kostengünstige Fertigung - einfach nicht verborgen bleiben. Und so verwundert es nicht, daß viele europäische Kriegsministerien sich über kurz oder lang dazu entschlossen oder von französischer Seite dazu veranlasst wurden, mehr oder weniger exakte Kopien des französischen Vorbilds in den landeseigenen Waffenfabriken anfertigen zu lassen. So sind Produktionen der Manufakturen Neapel, Brescia und Gardone in Italien bekannt, aber auch in Holland, Spanien, ja selbst in den Vereinigten Staaten, aber auch in einigen deutschen Gewehrfabriken wurde diese Pistole mit teils ländereigenen Merkmalen gefertigt.

Tatsächlich waren viele dieser außerhalb des eigentlichen französischen Staatsgebiets hergestellten An 13-Pistolen oder deren Kopien oft noch perkussioniert im Gebrauch. Manche wurden sogar lange nach Napoleons Untergang noch weiterproduziert, zu einer Zeit, als das französischen Pendant und Vorbild längst ausgesondert und durch weiterentwickelte Pistolenmuster ersetzt war - deutlicher Hinweis auf die hervorragende und zuverlässige Konstruktion dieser Waffe!

Geschichte Techn. Daten Bestempelung Literatur Zum Anfang