Die preußische Grenzaufseher-Pistole M 18510
Geschichte
Text : Udo Lander
Die preußische Kavalleriepistole M 1850 dürfte so ziemlich jedem Sammler bekannt sein, der sich nur ein bißchen mit militärischen Vorderladern auskennt. Ihre charakteristischen Messingbeschläge, ihr Mündungswulst und die für sie besonders typische Pistonsicherung machen das Erkennen und die historische Einordnung dieser letzten preußischen Vorderladerpistole recht leicht. Wenn dann neben dem Baujahr und der sattsam bekannten Chiffre "FW" unter Krone auf dem Lauf möglichst noch deutlich ein "Potsdam" auf dem Schloss und ein preußischer Truppenstempel am Abzugsbügel oder an der Kolbenkappe zu finden ist, dann ist die Sammlerwelt in Ordnung.
Aber wehe, es taucht ein Stück auf, das in allen Details mit der preußischen Kavalleriepistole M 1850 übereinstimmt, das aber dennoch ganz anders aussieht, vor allem viel kleiner ist und keine Truppenstempel zeigt, dann beginnt das Rätselraten und damit die Spekulation. Die Phantasie schießt ins Kraut und die abenteuerlichsten Zuschreibungen werden unter die gläubig staunende Sammlergemeinde gebracht.
Technische Daten und Beschreibung
(in Klammern die Maße der Kavalleriepistole M 1850)
Gesamtlänge 348mm (385mm)
Lauflänge 205mm (222mm)
Kaliber des glatten Laufe 14,5mm (15,2mm)
Gewicht 1075g (1390g)
Nussbaum-Halbschaft mit Eisenbeschlägen, diese bestehend aus von unten am Lauf verschraubtem Laufring, Abzugsbügel mit Fingerhaken, Kolbenkappe, s-förmigem, bündig im Schaftholz eingelassenem Schlossgegenblech und oberem Kolbenbügel. Perkussionsschloss mit flachem, in das Schaftholz bündig eingelassenem Schlossblech, gewölbtem Perkussionshahn und durch Batteriefeder unterstützten Piston-Sicherungsflügel. Pistonsockel für kleines Zündhütchen.
Marken, Stempel und Signaturen
"SUHL V.C.S." unter Krone auf dem Schlossblech - Hersteller Valentin Christoph Schilling in Suhl;
"1851" auf der linken oberen Kantfläche des Laufs an der Nahtstelle zwischen Lauf und Patentschwanzschraube - Fertigungsjahr;
"FW" unter Krone auf der oberen Kantfläche des Laufs ("FW" auf der Patentschwanzschraube, Krone auf dem Lauf) - Monogramm des preußischen Königs Friedrich Wilhelms IV als staatliche Abnahmemarke;
"FW" unter Krone an Unterseite des Vorderschafts und an linker Schaftseite
Keine Truppenstempelung.
Könnte das nicht eine Kadettenpistole sein?
Betrachtet man die Dimensionen der kleinen Pistole im Vergleich zu denjenigen der preußischen Kavalleriepistole M 1850, so treten die Unterschiede doch sehr deutlich zu Tage. Auch die aus Eisen und nicht aus Gussmessing gefertigten Beschlagteile machen die kleine M 1850 absolut unverwechselbar. So drängt sich beim Betrachter eigentlich sofort die Frage auf, ob denn diese Waffe wirklich für militärische Zwecke bestimmt war oder nicht.
Insbesondere das gegenüber der preußischen Ordonnanz deutlich geringere Laufkaliber, aber auch das kleine Piston, das keinesfalls für die Aufnahme der in aller Regel verwendeten, großen Militär-Zündhütchen geeignet sein konnte, lassen den kundigen Sammler stutzig werden. Gleichzeitig hat man aber in der zur Verfügung stehenden Literatur gelesen oder aber von Sammlerkollegen erfahren, daß es sich hierbei vielleicht um eine preußische Kadettenpistole handeln könnte - das seltene Vorkommen der Pistole auf dem Sammlermarkt scheint diese Vermutung doch beinahe zu untermauern.
Dieser Annahe steht aber leider entgegen, daß es weder bei der preußischen, noch bei irgendeiner anderen deutschen Armee jemals berittene Kadetten gegeben hat, und nur Kadetten zu Pferd hätten, wenn überhaupt, Pistolen geführt - wo, außer in einem Sattelfutteral hätten die Kadetten auch ihre Pistolen ohne den dazu unabdingbar erforderlichen Gürtelhaken denn unterbringen sollen?
So schön und wertsteigernd der Gedanke an eine spezielle preußische Kadettenpistole auch sein mag, so ist er doch einfach unlogisch und von daher nicht weiter zu verfolgen!
Militär oder nicht Militär?
Nachdem die Frage bezüglich der Kadettenpistole definitiv geklärt sein dürfte, ist alles andere eigentlich recht einfach.
Wie bereits geschildert, stimmen das Laufkaliber der kleinen Pistole M 1850 und die Dimension ihres Zündkegels nicht mit denjenigen der beim preußischen Militär verwendeten Waffen überein. Das heißt, aus der fraglichen Waffe konnte die preußische Standardmunition für die Kavallerie keinesfalls verschossen werden.
Darüber hinaus war es nicht möglich, die seit langem in der preußischen Armee eingeführten und zum Zeitpunkt der Fertigung der hier behandelten Waffe in der Hauptsache noch bei der Landwehr verwendeten Perkussionszündhütchen zu benutzen, da diese einfach viel zu groß für den kleinen Zündkegel waren.
Diese beiden Feststellungen sprechen eindeutig gegen eine Verwendung der Pistole beim Militär, wenn man nicht unvernünftigerweise unterstellt, daß die preußische Armeeführung sich auf die Sonderbevorratung einer speziellen Munition und kleinerer Zündhütchen eingelassen hat - ein völlig absurder Gedanke. Auch die Theorie, man habe es hier vielleicht mit einer Offizierpistole zu tun, wird wegen des Kaliberunterschieds zu den regulären Militärpistolen und dem nichtmilitärischen Zündkegel unhaltbar.
Schließlich kann keine der bekannten kleinen Pistolen M 1850 einen eindeutig zuschreibbaren Truppenstempel vorweisen, auch dies ist ein klares Zeichen dafür, dass keine dieser Waffen sich jemals im Bestand der Armee befand. Was also steckt dahinter?
Langsam lichtet sich das Dunkel
Da alle bekannten Pistolen dieses Typs entsprechend ihren gleichlautenden Signaturen auf Lauf und Schloss entweder im Jahr 1851 oder 1852 von Valentin Christoph Schilling, einem Suhler Unternehmer und Waffenfabrikanten hergestellt worden sind und sie alle staatlich/ärarische Abnahme- und Kontrollstempel vorweisen können, sind die Pistolen ohne jeden Zweifel Gegenstand eines staatlichen Fertigungsauftrages gewesen.
In wie weit bei diesem staatlichen Auftrag das preußische Kriegsministerium seine Hände mit im Spiel hatte, ist nicht festzustellen, wegen der weitgehenden Übereinstimmungen der kleinen Pistole mit der normalen Kavalleriepistole M 1850 ist es jedoch denkbar. Nutznießer des Auftrages aber war ganz eindeutig nicht die preußische Armee, sondern, man höre und staune, das preußische Finanzministerium!
"Das preußische Grenzaufseherpistol M 1851"
Am 27.September 1852 erschien zu Berlin in einer Beilage zu einem Verwaltungsfachblatt die "Instruktion für die Grenzaufsichtsbeamten über die praktische Behandlung und den dienstlichen Gebrauch des Gewehrs und Pistols1".
In dieser Instruktion wird nach der "äußerst exakten und akribischen Beschreibung eines "Grenzaufsehergewehrs" im folgenden, zweiten Teil "das Grenzaufseherpistol" ausführlichst in allen seinen Teilen geschildert.
Diese Beschreibung ist in 11 Punkte unterteilt, wovon die Punkte 3 bis 8 auf die einzelnen Beschlagteile eingehen. Am Ende der Beschreibung heißt es:
"Die sub 3-8 erwähnten Theile sind aus Eisen gefertigt und mit Ausnahme der Schiene gehärtet".
Über den an der Pistole vorhandenen Abzugsbügel kann man lesen: "Dieser wird mit dem an seinem hinteren Fuße befindlichen Haken in das Abzugsblech eingehakt und durch eine Schraube mit seinem Blattheile an das letztere befestigt. Am hinteren Theil des Bügels befindet sich ein Fingergriff zum Einlegen des Mittelfingers während des Anschlags des Pistols".
Bezüglich des Schafts erfährt man, daß "dieser von Nussbaumholz gefertigt und braun gebeizt ist; er umschließt mit seinem vorderen Theile nur die hintere Hälfte des Laufs".
Zum Pistolenlauf teilt die Instruktion unter anderem mit "daß derselbe mit einer Patentschwanzschraube versehen ist und er mit dieser eine Länge von 7,90 Zoll hat. Sein Kaliber beträgt 0,55-0,56 Zoll und das Innere des Laufs ist glatt. Die Patentschwanzschraube und das Hintere des Laufs bilden einen Achtkant, dessen drei untere Kanten abgerundet sind; der vordere Theil des Laufs ist konisch nach der Mündung zu. Um der Abnutzung der Mündung des Laufs im Pistolenhalfter vorzubeugen, hat dieselbe eine ringförmige Verstärkung erhalten und ist aus gleichem Grunde das Korn aus Stahl gefertigt".
Allerdings unterscheidet sich der "kleine" Lauf vom Lauf der Kavalleriepistole in einem wesentlichen Punkt, der in der zitierten Vorschrift auch ganz klar angesprochen wird. Während bei der Kavalleriepistole die von unten eingesetzte Befestigungsschraube des Laufrings in ein Gewinde fasst, welches in einen an der Laufunterseite angelöteten, eisernen Stollen eingeschnitten ist, besitzt die kleinere Variante eben diesen Stollen nicht. Bei der Pistole mit den Eisenbeschlägen sitzt die Laufringschraube im Gewinde eines Eisenplättchens, welches im Schaftbett eingelassen ist. Darüber hinaus ist der Schraubenkopf im Laufring versenkt, wohingegen dieser bei der Kavalleriepistole in voller Größe übersteht. Dies ist im übrigen der einzige konstruktive Unterschied zwischen diesen beiden Pistolenmustern.
Um den Lesern weitere Zitate zu ersparen, sei angeführt, daß die Beschreibung des Schlosses exakt den Vorgaben der preußischen Kavalleriepistole M 1850 entspricht. Lediglich der Zipfel der Feder für den Sicherungsflügel ist bei der vorliegenden Pistole recht eigenwillig ausgeführt und entspricht in diesem Punkt nicht dem, was man gewöhnlich an dieser Stelle zu sehen bekommt. Allerdings scheint es, was diesen Zipfel anbetrifft, unterschiedliche Fertigungsreihen gegeben zu haben, denn es sind Grenzaufseherpistolen bekannt, deren Federzipfel völlig demjenigen der preußischen Kavalleriepistole M 1850 entspricht.
Damit und mit den Aussagen der angeführten Zitate mag hinlänglich bewiesen sein, um was für eine Waffe es sich bei der "kleinen M 1850" in Wirklichkeit handelt. Leider macht die zitierte Vorschrift keinerlei Angaben zum Jahr der Einführung der beiden Grenzaufseherwaffen, da aber alle bisher bekannt gewordenen Pistolen und Gewehre der preußischen Grenzaufseher als früheste Datierung das Fertigungsjahr 1851 auf dem Lauf tragen, erscheint es sinnvoll, beide Waffen im Unterschied zu den Kavalleriepistolen des preußischen Militärs als Grenzaufseherpistole M 1851 anzusprechen - zumindest solange, bis die tatsächliche Einführungsverordnung gefunden ist!
Erste Folge daraus ist die Eliminierung der nur provisorisch gegebenen Modellbezeichnung "Kleine Pistole M 1850" - endlich hat das Kind seinen richtigen Namen! Zweite Folge daraus dürfte sein, daß die Sammler preußischer Militärwaffen aufatmen können, denn sie müssen diese Grenzaufseherpistole M 1851 nicht unbedingt in ihrer Sammlung haben und sparen dadurch unter Umständen viel Geld.
Den Sammlern aber, die sich noch den Blick für interessante Stücke bewahrt haben, oder denen generell alles Preußische heilig ist, sei die Grenzaufseherpistole warm ans Herz gelegt: Sie ist selten, sie ist formschön, sie ist von hoher Qualität, sie ist letztendlich nichts anderes als eine verkleinerte Version der Kavalleriepistole M 1850 und sie ist hundertprozentig preußischen Ursprungs - was also will man mehr?