Geschichte
Herrmann Weygand beschreibt 1875 in seinem Buch über die modernen Ordonnanz-Präcisionswaffen der Infanterie das Chassepotgewehr wie folgt:
Frankreich hatte unter der bewährten leitung des Direktors der Schiessschule zu Vincennes, Oberleutenant Nessler seit 1858 Versuche mit einem Hinterladungs-Gewehr mit Kapselzündung von Chassepot (Arbeiter in der Werkstätte des Depot central d`artillerie) als neues Modell angestellt, um gleichzeitig die mechanische und ballistische Frage zu erledigen, da die vorhandenen Vorderlader dem Kaliber 17 bis 18 mm angehörten. Von 1859 bis 1863 fanden Versuche und dann eine Massenprüfung bei den Truppen statt. Der schleswig’sche Krieg 1864 verdrängte die Kapselzündung durch Versuche mit der Nadelzündung. Waffe und Munition waren zwar noch nicht „fertig“, aber Sadowa mahnte zur Entscheidung. Nach Massenprüfungen im Lager von Chalons im August 1866 wurde am 30. desselben Monats das Chassepot-Gewehr vom Kaliber 11 mm. zur französischen Ordonnanz-Waffe als „fusil modèle 1866“ erhoben (Fig. 34).
Der Mechanismus (Fig. 35 & 36) ist eine zeitgemäße Modifikation der Dreyse’schen Konstruktion. Kammer und Schlösschen vertritt der, durch seine Verbindung mit dem Daumenstollen, in der Kolbenbahn des ans Rohr geschraubten Verschluss-Gehäuses an einer Handhabe vor- und rückwärts bewegliche Verschlusskolben, dessen zylindrische Bohrung eine eingeschraubte durchlochte Scheibe in zwei Theile trennt. Im vorderen kürzeren und engeren Teil führt sich das Nadelrohr, dessen geringe Beweglichkeit eine Grenzschraube fixirt. Zwischen Nadelrohr und Verschlusskolben lagert eine Kautschukscheibe für den gasdichten Abschluss des Rohrs. Der hintere längere und weitere, durch eine für den Nadelbolzenschaft durchlochte Schraube geschlossene Teil nimmt die Spiralfeder und den Nadelbolzen auf, welchen ein Stift mit dem Daumenstollen bleibend verbindet.
Die Zündnadel und ihren Bolzen vereinigt behufs raschen Ersatzes einer Nadel – ein Nadelkopf – der einen T-förmigen Durchlass für den analogen vorderen Teil des Bolzens und in seiner Achse eine Durch- und Aufbohrung für die Nadel mit ihrem Ansatze hat.
Zur größeren Beweglichkeit ist der Daumenstollen mit einer Leitrolle verbunden, welche auf dem Schweifteil des Gehäuses zum leichten Vor- und Zurückschieben des Mechanismus gleitet. Die Leitschraube oder eine am Daumenstollen vorn unten vorstehende Nase tritt beim Abfeuern der Waffe in den in Fig. 36 ersichtlichen Schlitz, die Spann rast, neben dem sich rechts eine kürzere Ruhrast befindet. Der Abzug wirkt auf den doppelarmigen, durch eine Feder niedergedrückten Gelenkhebel.
Die außer dem Laden und Abfeuern nötigen Funktionen des Spannens, Öffnens und Schließens der Waffe, werden durch drei Griffe erledigt.
1) Zurück ziehen des Nadelbolzens am Daumenstollen, bis dessen untere Nase hinter den senkrechten, in die Kolbenbahn des Gehäuses vorstehenden Gelenkhebel-Arm getreten ist: Spannen und Fixieren der Spiralfeder. Die Leitschraube ist aus der Spannrast des Kolbens getreten, dadurch
2) das Links drehen und Zurück ziehen des Kolbens an der Handhabe ermöglicht: Öffnen. An Stelle der Anlehnung der Nase am Gelenkhebel findet nun hierbei eine solche der Leitschraube oder ihres Ersatzes am hinteren Kolbenende statt (Fig. 36), so dass die Spiralfeder doch gespannt bleibt. Diese Bewegung begrenzt eine an der rechten Gehäusewand hinten angebrachte und in einer Rinne des Kolbens sich führende Grenzschraube, durch Anstoßen an das Ende dieser Rinne. Nach dem Laden:
3) Vorschieben und Rechts drehen des Kolbens: Schließen. Die untere Nase des Daumenstollens findet wieder ihre alte Anlehnung am Arm des Gelenkhebels und bei normal zugedrehtem Verschluss steht die Leitschraube dem Spannrast-Einschnitt gegenüber. Sie tritt in diesen ein, wenn durch die Wirkung des Abzugs die Nase den Halt am Gelenkhebelarm verliert und der Daumenstollen mit Bolzen und Nadel durch die Kraft der Feder zur Zündung vorgeschnellt wird. Die Expansion der Gase presst durch die Stossplatte den Kautschouc-Ring zusammen, der sich saugend zum Abschluss des Spielraumes an die Seelenwände anschliesst.*
Das Zerlegen und Zusammensetzen des Verschlusses erfordert Schraubenzieher von verschiedenen Formen.
Das Rohr vom Kaliber 11 mm. hat vier den Felder gleichbreite entgegen der gewöhnlichen Anordnung von rechts über oben nach links gehende Züge mit einer Umdrehung auf 550 mm. oder 50 Kaliber (3936) und ein Treppen- und Leiter-Visier. Mit und ohne Bajonett ist die Waffe 1870 resp. 1305 mm lang und 4,68 resp. 4,05 Kilogramm schwer.
Die 32 g schwere Papierpatrone hat einen Überzug von Seide-Musselin; innen am Boden sitzt auf einem Guttaperchascheibchen das durchlochte Zündhütchen. Das mit einer gefetteten Haube versehene Geschoss (25 g.) und die Ladung (5,6 g.) trennt eine Cartonscheibe. 94 Patronen repräsentieren 3 Kilogramm.
In ballistischer Beziehung bildet das Chassepotgewehr mit den bayerischen, englischen, niederländischen und schweizerischen Waffen eine Gruppe, steht aber diesen in der Präzision weit nach; in mechanischer Beziehung sind sie ihm überlegen, da sie nur zwei, Chassepot drei Griffe zur Handhabung fordern.
Die hier vorgestellte Waffe ist der ab 1869 gefertigte Carabin de Cavalerie et de Gendarmerie a Cheval er wurde bei der Kavallerie und den berittenen Gendarmen geführt. Der Karabiner ist 13 cm kürzer als das Gewehr und hat im Gegensatz zum diesem Messingbeschläge und einen gebogenen Kammerstängel.
Antoine Alphonse Chassepot (*4. März 1833 in Mutzig; + 5. Februar 1905 in Gasny Frankreich) war Arbeiter in der Waffenfabrik von Saint-Thomas in Paris. 1858 wurde er dort Beamter und legte 1863 dem französischen Kriegsministerium das Modell eines Hinterladegewehrs, anfangs mit Perkussionszünder, ohne Einheitspatrone, später die Nachbildung eines Zündnadelgewehrs von Johann Nikolaus von Dreyse mit Einheitspatrone vor. Erst nachdem die Erfolge des preußischen Zündnadelgewehrs 1866 die Überlegenheit der Hinterlader bewiesen hatten, wurde sein Chassepotgewehr als Waffe für die französische Infanterie und leichte Kavallerie unter der offiziellen Bezeichnung Fusil modèle 1866 eingeführt.
Es waren folgende Modelle des Systems Chassepot eingeführt:
Infanteriegewehr M 1866 (Fusil modèle 1866)
Gewehr Modell 1866 pour la Cavalerie d`Afrique
Karabiner Modell 1866 (Carabin de Cavalerie et de Gendarmerie a Cheval)
Karabiner für die Gedarmerie (Carabine de Gendarmerie a pied)


Technische Daten und Maße
Abmessungen und Daten :
Gesamtlänge: 11175 mm
Lauflänge: 670 mm
Schlosssystem: Zylinderverschluss System Chassepot
Kaliber: 11,0 mm (gemessen 11,10 mm)
Züge: 4, rechts
Gewicht: 3493 g mit Gewehrriemen
Schaft: Nussbaumschaft
Beschreibung
Dunkler Nussbaumschaft, Zündnadelschloss System Chassepot mit abgebogenem Kammerstengel, Laufringe, Abzugsbügel und Schaftkappe aus Messing, Riemenbügel am Abzugsbügel und Mittelring. Auf der ganzen Länge runder, am Patronenlager achtkantiger blanker Lauf Treppenrahmenvisier von 160 bis 1000 Meter, Eisenkorn auf dem Lauf.
Weißer originaler Gewehrriemen mit Waffennummer.
Stempel und Signaturen
Auf der Hülse links : St. Etinne Mle 1866 (Hersteller und Modell )
Auf Lauf, Schloss, Hülse : 31131 (Waffennummer )
Lauf rechte Seite : S 1872 (Jahr der Herstellung ) ME
Auf der Kolbenkappe: 19 C (Truppenstempel) = 19. Chasseurs à Cheval
Auf dem Schaft linke Seite : G 31131 (Waffennummer)
Auf dem Schaft rechte Seite : Runder Stempel: MA = Manufacture d`Armes (Waffenfabrik)
AVRIL = Monat der Herstellung, 1872 = Jahr der Herstellung,
MS = Initialen des Fabrikdirektors, T = Initiale des Kontrolleurs.
Auf dem Gewehrriemen innen: G 31131
Literatur
- Boudriot, Jean; ARMES A FEU FRANCAISES 1833 - 1918, Paris 1963
- Finze, Wolfgang, Chassepot Zündnadelgewehre, Norderstedt, 2018
- Grap, Hans-Joachim, Chasseurgewehr und Chassepotkarabiner Modell 1873, DWJ 1984, Heft1, Seite 54 - 59
- Grap, Hans-Joachim, Franzosen in deutschen Diensten, DWJ 1987, Heft 9, Seite 1036 - 1043
- Instruktion über den Chassepot-Karabiner, Berlin, 1873
- Michels, R., der Chassepot-Karabiner zum Unterricht für Unteroffiziere eingerichtet in Fragen und Antworten, Paderborn,1874
- Wirtgen, Rolf ( Bearbeiter ) u.a., Das Zündnadelgewehr: Eine militärische Revolution im 19. Jahrhundert, Herford, 1991 Portrait de Treminitin